Laudatio zur Verleihung des Deutschen Biographiepreises 2010
an Prof. Dr. Lutz von Werder und Andrea Richter
Freitag, den 24. September 2010
16 Uhr, Forum der Kardinal-von-Galen Gesamtschule Nordwalde bei Münster,
anläßlich der Eröffnung der 3. Nordwalder Biografietage 2010
Von Dr. Andreas Mäckler, Biographiezentrum

© 2010 Dr. Andreas Mäckler, andreas@maeckler.com

Verehrte Damen und Herren, liebe Andrea Richter, lieber Prof. Lutz von Werder,

ich freue mich, heute bei Ihnen anlässlich der Eröffnung der Biografietage in Nordwalde den Deutschen Biographiepreis 2010 an Sie, Andrea Richter und Prof. Lutz von Werder, verleihen zu dürfen.

Wir verleihen den Deutschen Biographiepreis zum dritten Mal in zwei Kategorien: als Verlags- und Privatbiographie. Das erste Mal ging der Preis 2008 in der Kategorie Privatbiographien an die Biographinnen Irene Wahle und Rona Schneider sowie in der Kategorie Verlagsbiographie an die Autorin Alexandra Senfft , die dieses Jahr auch bei den Biografietagen in Nordwalde sein wird, und 2009 an den Regisseur Rosa von Praunheim für seinen autobiographischen Dokumentarfilm Meine Mütter. In der Kategorie Privatbiographie erhielt Dr. Inka Postrach den Deutschen Biographiepreis 2009. Sie ist auch dieses Jahr mit einer Lesung bei den Biografietagen hier in Nordwalde vertreten.

Der Deutschen Biographiepreis ist ein Kollegenpreis des Biographiezentrums, der Vereinigung deutschsprachiger Biographinnen und Biographen, also ein Preis von Biographen für Biographen. Er ist leider noch undotiert, aber gleichwohl möchten wir damit die Wertschätzung einer jeden Lebensgeschichte auf zweierlei Weise fördern: auf der Leistungsebene, indem wir ein hervorragendes Werk der biographischen Publizistik eines Jahres würdigen, und in der privaten, familiären Sphäre. Wir sind der Überzeugtung, ein jedes Leben und seine Geschichte sind wert, wahrgenommen, aufgeschrieben und damit für die Erinnerung nachfolgender Generationen erhalten zu bleiben. Wir glauben, dass jeder von uns bewusster aufwächst und lebt, wenn wir die Lebensgeschichte unserer Eltern und Großeltern, unsere Familiengeschichte kennen. Deshalb fördern wir im Biographiezentrum die Kultur der Privatbiographien – das sind Bücher, die in kleiner Auflage ediert, nur für die Familie, für Freunde und Nachkommen geschrieben werden. Hier suchen wir Werke, die aufgrund ihrer zeitgeschichtlichen und emotionalen Aussagekraft mit etablierten Verlagsbiographien berühmter Menschen mithalten können. Wir glauben, dass der innere Wert einer Lebensgeschichte nicht alleine über ihre Öffentlichkeitswirkung zu definieren sei, sondern vor allem auch über die Wirkung, die sie beim Lesenden oder Zuhörenden ausübt.

Schauen Sie sich daher bitte unsere Ausstellung der ausgezeichneten Bücher des Deutschen Biographiepreises der letzten Jahre an! Wir legen größten Wert auf eine bestmögliche Verbindung von Inhalt und Form, gerade bei den Privateditionen, die ein Familienschatz sind, der von Generation zu Generation weitergegeben werden kann.

Deshalb bin ich stolz auf Andrea Richter! Sie hat 2009 nicht nur mit Bravour unseren ersten Ausbildungsgang zur Biographin in der Akademie des Biographiezentrums absolviert und als Abschlussarbeit eine herausragende Privatbiographie eingereicht, sondern anschließend zusammen mit Oberstleutnant a.D. Andreas Timmermann-Levanas ein Buch geschrieben, das vor wenigen Tagen im Campus Verlag erschienen ist und ebenfalls hier bei den Biografietagen vorgestellt wird. Ich bin mir sicher, ihr Buch mit dem Titel Die reden – Wir sterben: Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden – ein Buch über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, das auch zahlreiche Einzelschicksale biographisch behandelt – wird in Politik, Bundeswehr und Medien Aufmerksamkeit erregen.

Ich bin deshalb auch stolz auf die Autorin Andrea Richter, weil ich mir einbilden darf, unsere Studenten in der Akademie des Biographiezentrums für aktuelle biographische Themen sensibilisiert und ihnen das Handwerkszeug mit auf den Weg gegeben zu haben, solche Themen zu finden, aufzuarbeiten und erfolgreich anzubieten. Ich wünschte mir, alle unsere Absolventen wären so erfolgreich! Da empfinde ich wahrscheinlich ähnlich wie alle Lehrer hier im Saal.

Wir vom Biographiezentrum sind glücklich über diese Privatbiographie im Umfang von 386 Seiten, die Andrea Richter für ihre Mutter Elisabeth geschrieben und in kleiner Auflage ediert hat. Diese Biographie von Elisabeth Richter ist so hervorragend geschrieben und als Buch gestaltet worden, dass sie mit dem Deutschen Biographiepreis 2010 geradezu ausgezeichnet werden muss!

Schauen wir in das Buch hinein: Eine junge Münchnerin im Jahr 1934. Wie kommt sie zum Studieren nach Kanada und in die USA, 1936 zu einer West- und Weltreise durch den amerikanischen Kontinent, über den Pazikfik und durch ganz Ostasien? Und wie kommt sie Jahre später, Anfang 1945, von Siebenbürgen/Rumänien für dreieinhalb Jahre als Kriegsgefangene nach Russland, in ein ukrainisches Kohlebergwerk in einen Schacht auf 800 Meter Tiefe?

Zwei Leben? Ein höchst ungewöhnlicher Lebensweg rund um den Globus, den Elisabeth Richter vor 70 Jahren in Briefen, Tagebüchern und Fotos zeitnah dokumentierte und jetzt, im Alter von 95 Jahren, mit ihren Erinnerungen angereichert hat. Ihr präziser, persönlicher, humorvoller und auch kritischer Blick zeigt ein Leben der Extreme – zwischen Freiheit und Zwang, Abenteuerlust und Überlebenskampf.

Es ist das Lebensbild einer starken und mutigen Frau. Eine Heldenreise.

Hier schließt sich der Kreis zu dem Preisträger in der Kategorie Verlagsbiographie, Prof. Lutz von Werder, für sein Buch Die Welt romantisieren. Wie schreibe ich meine persönliche Mythologie?, das 2009 im Schibri-Verlag Berlin-Milow erschienen ist – ein biographischer Ratgeber, den wir mit unserem Preis ebenso würdigen. Gäbe es den Deutschen Biographiepreis für ein Lebenswerk im Dienste des biographischen Schreibens, hätte Lutz von Werder als Vater der deutschen Schreibwerkstättenbewegung diesen Preis mehr als verdient. Alle, die kreatives und biographisches Schreiben lehren oder praktizieren, haben ihm und seinen Büchern viel zu verdanken! Doch ich möchte den Jubilar mit einer Auszeichnung für sein Lebenswerk nicht ängstigen, vermittelt es doch immer auch ein gemischtes Gefühl, als sei damit in der Außenwirkung das eigene Leben und Schaffen abgeschlossen, während man selbst sich noch in voller Schaffensblüte fühlt.

Lutz von Werders Bücher zum kreativen und autobiographischen Schreiben sind eine Quelle der Inspiration. Sie nicht durchzuarbeiten heißt, die eigene Biographie in ihrem Facettenreichtum nur ungenügend auszuloten. So widmet sich sein neues Werk, das wir heute mit dem Deutschen Biographiepreis 2010 auszeichnen, der Heldenreise unseres Lebens.

Bestimmt haben auch Sie manchmal das Gefühl, Ihr Leben sei tiefer und kostbarer, als das tägliche Allerlei im Hamsterrad vermuten lässt. Diesen tiefen Wunsch nach Größe und Bedeutung, den der winzige Mensch im Universum seit Angedenken hegt, formuliert Lutz von Werder in seinem neuen Buch zeitaktuell: „Das Problem ist, viele Menschen sind heroischer, als sie denken. Die heutige Welt braucht heroische Menschen, die angesichts größter Herausforderungen sich als Helden des Alltags erkennen und wissen, dass sie auf der Heldenreise für Männer wie für Frauen unterwegs sind.”

Manche Menschen glauben, wenn sie von dem Thema der Heldenfahrt hören, es ginge darum, wie im Karneval sich ein Heldenkostüm überzustülpen und als Superman oder Supergirl im Getümmel aufzutauchen. Das ist auch eine nette Form der Heldenreise. Es gibt sogar einige Übungen in dem Buch, mit denen die Lesenden schreibend in der Rolle ihrer Lieblingshelden agieren können: Manche Männer mögen gern Winnetou oder James Bond sein, Frauen gefallen sich in der Rolle der Amazone oder Mutter Teresa. Junge Leute stehen eher auf Lara Croft oder Luke Skywalker aus dem Krieg der Sterne. Jede Generation hat ihre Helden, die andere Namen und Gestalt haben, im typologischen Kern aber sehr ähnlich sind, denn in unseren Träumen, Sorgen und Nöten – in unserer mythopsychischen Struktur – sind wir Menschen eins. 

Was tun in der Krise, wenn der Lebenssinn verloren gegangen scheint? Brechen Sie auf, machen Sie sich auf den Weg. Jede Heldenreise ist auch eine Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens! Dazu ermutigt Lutz von Werders Buch. Unterwegs begegnen Ihnen spannende Figuren und Symbole: Götter und Engel, Suchende, Krieger, Tänzer und Lacher, die Hexe, der Narr… und viele faszinierende Persönlichkeiten mehr! Nachtmeerfahrten und lichte Höhen erwarten Sie, Höllen und Himmel – und das Spannende daran ist: All das ist in uns selbst, in unserer Lebensgeschichte verborgen. Sie aufzudecken und zu beschreiben, positive Lebensziele zu setzen und zu erreichen sind Grundprinzipien der Heldenreise, wie sie in diesem hilfreichen Ratgeberbuch von Lutz von Werder angeleitet werden: „Schreiben Sie Ihren Tageslauf zwei Mal, zum ersten ganz banal: die Fakten vom Aufstehen bis zum Ins-Bett-Gehen. Den zweiten Tagesablauf verwandeln Sie dann in ein Geheimnis. Beschreiben Sie möglichst viele Aspekte der Begegnung mit dem Geheimnisvollen.”

Unser Leben ist voller Potenzial, Überraschungen, Wunder und auch Wunden, die wieder heilen können. Mit dem Deutschen Biographiepreis 2010 danken wir Andrea Richter und Prof. Lutz von Werder für ihre Bücher, die uns Vorbild geben, die eigene Lebensgeschichte mit neuen Augen zu sehen und zu gestalten. – Vielen Dank.