So wenig mich der Katalog und die Ausstellung zum „Kosmos Rudolf Steiner“ im Kunstmuseum Stuttgart überzeugt haben, so sehr beglückt mich der Katalog des Vitra Design Museums in Weil am Rhein. Von September 2011 bis März 2012 wird dort Steiners künstlerisches Werk und dessen Rezeption gewürdigt. Halten die Ausstellungsmacher das Niveau des Katalogs, kann die Ausstellung ein faszinierendes Erlebnis werden. Und das darf man bei diesem Stoff – inszeniert anlässlich des 150. Geburstags von Rudolf Steiner – durchaus erwarten.
Es macht Freude, im Katalog zu schmökern – eine Mischung aus gestalterischem Augenschmaus mit vielen Abbildungen und guten Texten, die zum Nachdenken anregen und von Autoren geschrieben wurden, die keine Unbekannten in der (anthroposophischen) Publizistik sind. Manche Thesen und Überlegungen waren auch mir neu und überraschend, beispielsweise hält der amerikanische Kunsthistoriker Philip Ursprung den Einfluss Steiners auf die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts für geringer, als in Publikationen und Ausstellungen wie Harald Szeemanns Der Hang zum Gesamtkunstwerk behauptet wird (S. 255f.). Ursprungs Begründungen sind nachvollziehbar.
Umso größer war Steiners Einfluß auf das Kunstschaffen seiner Anhänger. Hier zeigt der Katalog Lücken: Weder Steiners Farbtheorie noch seine Malpraxis, insofern sie im Werk anderer Maler zur sogenannten „anthroposophischen Malerei“ geführt haben, werden nennenswert behandelt. Das ist schade, denn Maler wie Arild Rosenkrantz oder Bernhard Eyb – um nur einige der Frühzeit zu nennen – haben bemerkenswerte Werke geschaffen, die vielfach unerschlossen den Vergleich zu zeitgenössischen Malern des Jugendstils und des Symbolismus nicht scheuen brauchen. Steiners Farb- und Lichttheorien, in der die Entmaterialisierung des Farbstoffes einen ersten Schritt zu kosmischen Farbsphären bedeutet, kann mit heutigen Lightshows in Beziehung gebracht werden. Die Arbeiten von Olafur Eliasson mit farbigen Schatten waren für mich im „Kosmos Steiner“ eine Entdeckung wert.
Alles in allem ein sehr schöner, substanzreicher Katalog, der jetzt schon auf die Ausstellung neugierig macht.
Aus der Verlagsinformation: Das Buch „Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags“ gibt zum ersten Mal eine umfassende Übersicht über Steiners gestalterisches Werk, zeigt aber zugleich auch seine historischen Wurzeln und seine Wirkungsgeschichte. Mehrere Essays namhafter Autoren nähern sich dem Phänomen Steiner aus unterschiedlichen Richtungen, etwa mit Essays zu seinem Zeitkontext, zu seinerVerbindung von Natur- und Geisteswissenschaft, mit seiner Architektur, seinem Design, seinem Bühnenwerk und seinem Einfluss auf Tendenzen der Gegenwartskunst. Ergänzt werden sie um einen umfangreichen Katalogteil, der die wichtigen Werke Steiners zeigt und sie mit denen bedeutender Zeitgenossen und Gegenwartskünstler konfrontiert. Eine bebilderte Biographie vervollständigt dieses Buch, mit dem eine wichtige Figur des 20. Jahrhunderts erstmals wieder einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden soll.
Kürzlich erreichte mich dieser Offene Brief an die Leitung des Goetheanum aus Finnland:
Offener Brief
An die Leitung des Goetheanums
Ein Monter in der grossen Ausstellung ”Rudolf Steiner – die Alchemie des Alltags” in Espoo, Finnland, trägt den Namen ”Farbentheorie”.
Der Schluss des Infotextes lautet:
”Während Steiner selbst oft starke Nuancen und Kontrastfarben benützt hat, sind die sanften Übergänge in den heutigen ”typisch” anthroposophischen Bildern – oft sind es Aquarelle – etwas wie eine Klischee geworden.”
Ich frage mich, als Journalist, Kunstpädagogin und Künstlerin, wie dieser Satz möglich ist.
Die Ausstellungsbroschüre macht deutlich, dass Goetheanum bedeutende Researchhilfe bei den Vorbereitungen für die Ausstellung geleistet hat. Ein grosser Teil von den Gegenständen stammt vom Rudolf-Steiner-Archiv in Dornach.
Mit anderen Worten:
Das Goetheanum hat eine gewisse Verantwortung, nicht wahr?
Und die Bildkunstsektion?
Die Ausstellung präsentiert die Farbentheorie von den Theosophen Annie Besant und Ledbeater in dem Buch Thought Forms. Goethes Farbenlehre, die den Grund für die Kunstpädagogik der Waldorfschulen bildet, hätte im Zentrum stehen müssen – auch visuell. Wer von den Ausstellungsbesuchern versteht, dass Steiner ganz andere Gedanken über die Bedeutung der Farben entwickelt als die Theosophen? Und wo ist die Licht-Finsternis-Farbenproblematik geblieben, eine von den zentralsten Kunstfragen bei Steiner?
Warum hält man z.B. Hilma af Klint und Joseph Beuys wie Schilder vor sich? Ist es die einzige Art für die Anthroposophen ein bisschen Glanz zu bekommen – in der Sonne von den berühmten Namen zu geniessen?
Wenn Goetheanum sich schweigend hinter der Aussage im Monter stellt, zeigt man wo man steht – man hat Stellung genommen.
Die Ausstellung ignoriert gänzlich die Malskizzen von Steiner selbst, seine zahlreichen Farbvorträge und seinen ganzen Malimpuls, wo es um das Wesen der Farbe geht.
Tausende von Menschen in der ganzen Welt haben durch Jahrzehnte den Malimpuls vertieft und entwickelt – als Künstler, als Pädagogen und als Therapeuten.
Es irritiert und ist beklemmend, dass Goetheanum doch gewisse Maler nach Dornach einlädt für den eigenen Kreis auszustellen. Was soll das? In internationalen Zusammenhängen – wie die aktuelle Ausstellung – werden sie alle versteckt. Warum?
Die hochmütige Behauptung, dass ihre Arbeit etwas wie eine Klischee geworden ist, ist nicht nur kränkend, sondern deutet entweder auf Böswilligkeit oder Blindheit, besonders weil eine zunehmende Zahl von ”allgemeinen” Künstlern diese ”sanften” Farbenstimmungen für ihre eigenen Ölbilder ”stehlen”.
Mich überrascht nichts mehr.
Ekenäs, den 25. März 2014
Marita Karlsson
Journalistin
Kunstpädagogin
Künstlerin
http://www.maritakarlsson.wordpress.com
Mitglied der Maler- och Farbengruppe Viridias
Der übersetzte Text im Monter bei der Ausstellung ”Rudolf Steiner – die Alchemie des Alltags” im Emma-Museum, Espoo, Finnland:
FARBENTHEORIE
Steiners Künstlertum wird nicht nur von seinem Interesse von organischen, natürlichen Formen geprägt, sondern auch von seiner Art Farben anzuwenden so, dass sie verschiedene Aspekte seines philosophischen Systems entsprechen.
Das offenbart sich in den Malereien im Kuppel des ersten Goetheanums, in der Farbgebung für die Räume in Haus Duldeck, in den strahlenden Farben, in den Fenstern vom ersten Goetheanum und in Steiners Bühnenbildern und Aquarellen.
Steiner fand viele Impulse für seine Farbtheorie in Goethes im Jahr 1810 erschienene Farbenlehre, die Steiner sicherlich kannte, weil er die wissenschaftlichen Schriften von Goethe redigierte und in den1890er Jahren herausgab. Wie Goethe sah Steiner die Farbforschung als eine multidisziplinäre Kombination von Kunst, Naturwissenschaft und Humaniora. Er schrieb den Farben sowohl gefühlsmässige als geistige Eigenschaften zu, und schilderte sie wie direkte Ausdrücke des menschlichen Geistes. Während Steiner selbst oft starke Nuancen und Kontrastfarben benützt hat, sind die sanften Übergänge in den heutigen ”typisch” anthroposophischen Bildern – oft sind es Aquarelle – etwas wie eine Klischee geworden.