Lutz von Werders Ratgeber zum kreativen und biographischen Schreiben sind immer eine große Freude zu lesen, und ein Gewinn für alle, die sich selbst und ihre Persönlichkeit weiterentwickeln möchten.

Im Juli 2008 ist eines seiner Standardwerke – gemeinsam verfasst mit Barbara Schulte-Steinicke, Dozentin für akademisches Schreiben an der Berliner Alice Salomon Fachhochschule – wieder ediert worden. Ich möchte es Ihnen ans Herz legen:

Lutz von Werder / Barbara Schulte-Steinicke
Schreiben von Tag zu Tag
Wie das Tagebuch zum kreativen Begleiter wird
Ein Handbuch für die Praxis

Patmos Verlag 2008

„Erkenne dich selbst“ und „Werde, der du bist“ – das sind wohl eine der größten Aufgaben unseres Lebens, individuell, als auch gesellschaftlich. Wer ständig das Leben der Anderen führt, verliert sich schneller, als er sich je gefunden hätte. Auf dieser Suche ist das kreative-biographische Schreiben eine große Hilfe.

Wir im Biographiezentrum bieten dazu zahlreiche Kurse an, nicht nur diesen, und natürlich Prof. von Werder in seinem Institut für kreatives Schreiben Berlin e.V. Ich habe nur begeisterte Teilnehmerstimmen gehört. Auch für uns – damit darf ich ruhig ebenso im Namen meines Kollegen Stefan Schwidder sprechen, dessen Ratgeber zum biographischen Schreiben sehr praxisorientiert und erfolgreich ist – stellt Prof. von Werders Arbeit die Messlatte dar, an der wir Zöglinge uns orientieren.

Nun zum Buch: Dem Thema des Tagebuchschreibens entsprechend, ist es nach Tagen gegliedert – besser gesagt nach Tagwerken, denn die Aufforderung zur Eigenleistung in Form von Übungen und Tipps ist allgegenwärtig. Mir gefällt das ausgezeichnet! Die größten Probleme des biographischen Schreibens liegen nicht im Mangel an Wissen, sondern am fehlenden Tun – am kontinuierlichen Schreiben, Tag für Tag. Dazu ermuntert das Buch.

Das 1. Kapitel macht mit den Schreibtechniken für das kreative Tagebuchschreiben vertraut. Es beginnt mit einem Fragenkatalog: Fragen zur eigenen Geschichte, Fragen zu den Grundbegriffen der eigenen Weltanschauung, Fragen zu Freundschaft, Liebe und Partnerschaft, Fragen zur beruflichen Identität und Ökonomie, Fragen zu Tagträumen, Visionen und Phantasieprojekten. Weil natürlich die individuellen Antworten das Spannende und die Herausforderung darstellen, legt das erste Kapitel wichtige Grundlagen dazu, die auch medienübergreifend sein können: Beispielsweise das Malen von Mandalas, um zur eigenen Konzentration und Mitte zu finden, wird für den 11. Tag empfohlen.

Nun, das Arbeitsprogramm ist beachtlich, aber machbar. Auch ich predige meinen Biographie-Studenten: Schauen Sie weniger in die Glotze und mehr in sich und Ihre Welt! Dann ist auch genügend Zeit für die biographische Arbeit vorhanden. Für den 19. Tag empfehlen Lutz von Werder und Barbara Schulte-Steinicke das „Schreiben nichtabzusendender Briefe“ – auch eine Technik, die es in sich hat, wenn der Schreiber sich seinen Emotionen (Liebe, Wut, Hass) stellen muss, die er jemand anderem gegenüber – häufig im Laufe vieler Jahre – angesammelt hat.

Das 2. Kapitel ist dem literarischen Tagebuch gewidmet. Nach einer kurzen Einführung zu dessen Geschichte geht es gleich an die Arbeit. 1. Tag: „Listen Sie alle Dinge in Ihrem Haushalt auf, die Sie besonders gern haben. Schreiben Sie dann auf, weshalb das eine oder andere Ding so wichtig für Sie ist.“ Die Aufgabe für den 16. Tag dürfte den Meisten nicht schwer fallen: „Schreiben Sie heute mal richtigen kitschigen Mist, ohne ihn durchzustreichen oder zu verbessern.“ Die Aufgabe des 68. Tags: „Schreiben Sie mal einen Satz ohne den Buchstaben E.“ „Supi – gar nicht üb_l…“ – würde ich mal schreiben. 😉 Sie sehen schon: Das Buch ist eine kluge Fundgrube humorvoller und tiefgründiger Anregungen.

Das 3. Kapitel behandelt das Schreiben des selbsttherapeutischen Tagebuchs. Ein tolles Kapitel! Denken Sie einmal kurz nach, was heutzutage das mächtigste Werkzeug in Ihrem Leben ist. Ist es Ihr Auto? Ihr Haus? Ihr Bankkonto? Oder sind es Worte, die Sie täglich sprechen und hören und die Ihre Gedanken und Aktionen lenken. Was empfinden Sie, wenn Ihnen jemand eine Liebeserklärung macht? Oder Sie beschimpft, Ihnen seinen Hass ins Gesicht schleudert? Worte können heilen, ebenso wie sie zutiefst verletzen. Deshalb hat das biographische Schreiben immer auch eine selbsttherapeutische Funktion. „Heilende Sprüche erinnern“ (1. Tag), „Dialog mit der Angst“ (41. Tag), „Zukunftsvision der nächsten fünf Jahre“ (95. Tag) sind einige der Schreibaufgaben, um mit sich selbst und seinem Leben wieder ins Reine zu kommen.

4. Kapitel: Ein philosophisches Tagebuch schreiben. Wunderbar! Ich bin ohnehin der Überzeugung, dass unser Leben viel mehr im Kopf als in der materiellen Realität stattfindet – zumindest bei mir ist das der Fall (und wohl bei den meisten anderen klugen Menschen auch). Deshalb ist die Lebensgeschichte unserer Gedanken und Ideen – ja, unserer Phantasien – ein spannendes Thema (darüber maile ich auch gerade mit der Schriftstellerin Ruth Gogoll). „Das Ich und der Teufel“ wird am 47. Tag zur Aufgabe gestellt: „Beschreiben Sie Erfahrungen mit Ihrem destruktiven Schatten und benennen Sie die Konsequenzen, die Sie als Ich aus dieser Entdeckung gezogen haben.“ Hier begegnen sich philosophische Reflektion und Eigentherapie. Überhaupt muten viele Übungen in diesem Kapitel so an, als setzen sie die selbsttherapeutische Arbeit fort – in vergeistigter Form.

5. Kapitel: „Chancen, Krisen und Störungen im Tagebuchschreiben“ sind unvermeidlich, deshalb werden sie hier thematisiert. Schreibblockaden hat jeder mal, aber die sind kurierbar. Wie das geht? Ganz einfach: Lesen Sie das Werk!

Summa summarum: Wenn Sie mich fragen, ob das Buch auch einen Nachteil hat, irgend etwas schlechtes, das man darüber sagen könnte, dann vielleicht nur dies: Schade, dass es nicht von mir geschrieben worden ist 😉 (kleiner Scherz muss sein).