Seit 2009 fliegen wir jährlich zu den Eltern meiner Frau nach Uganda. Einiges habe ich darüber schon geschrieben. Diesmal wollten wir Abenteuer erleben, und was bietet sich mehr an als eine längere Fahrt mit einem typisch afrikanischen Überlandbus? Möglichst einem der billigeren, nicht klimatisiert oder im Komfort mit einem modernen Passagierflugzeug vergleichbar (die es durchaus auch in Afrika gibt). Also wählten wir einen der heruntergekommenen, Jahrzehnte alten Busse der Firma Horizon City Limited, die schon im Bradt Travel Guide Uganda wenig empfehlenswert vorgestellt worden sind. Als wir an deren Busstation in Kampala auf die Toilette gehen wollten, schlug uns zehn Meter vorher ein Gestank entgegen, der jegliches Weitergehen infrage stellte. Doch was sollte man bei einem Ticketpreis von umgerechnet 6 Euro pro Person für rund 465 Kilometer Reisedistanz erwarten? Wir wollten Abenteuer haben und den Lebensort mit Grabstätte des Großvaters meiner Frau Farida sowie weitere Nachkommen besuchen, also ging’s los.


Paul Rukeribuga war in der Kolonialzeit Chief in der Region Kisoro gewesen und hatte 17 Ehefrauen gehabt, das klang spannend in meinen deutschen Ohren. Nun mag Mann sich vielleicht vorstellen (vor allem, wenn man jung ist), 17 Frauen – nicht alle gleichzeitig, aber gleichzeitig weit mehr als eine – seien wundersames Vergnügen, doch so etwas zu denken wäre naiv, wurde ich belehrt. In Afrika, wo Polygamie häufiger anzutreffen ist, muss ein Mann für seine Frauen auch materiell sorgen. Großvater Paul Lukyeribuga beispielsweise musste jeder Frau gleichgroßes Ackerland schenken, das sie mit ihrem Anhang bestellen und sich davon ernähren konnte, und darauf musste er selbstverständlich auch ein Haus bauen, in dem seine Frau mit dem Nachwuchs und weiteren Familienmitgliedern wohnte. Wehe, das Haus einer der anderen Frauen war größer und schöner als das eigene! Da konnte Mann schon mal Ärger bekommen und am Sinn der Vielweiberei als Freudenquell zweifeln …

Doch zurück zu unserer Reise mit Horizon zu Großvaters Grab (im Bild links), der trotz oder gerade wegen seiner vielen Frauen recht alt geworden war. Abfahrt sollte um 19 Uhr sein, eine Stunde später begann immerhin der Check-in. Wir – fünf Personen – hatten Tickets für die Sitzplätze 1-6 gekauft – einen Platz mehr, um nicht ganz so beengt zu sitzen. Auf der rechten Seite des Gangs waren drei Plätze, auf der linken zwei; meine Frau und ich teilten uns hinter dem Fahrer die ersten drei Sitze. Zwischen Fahrer- und Beifahrersitz lag eine alte Gummimatte zum Ausruhen. Der Conductor zog stets die Schuhe aus, wenn er die Matte betrat, wie es allgemein in Uganda üblich ist, die Schuhe vor dem Betreten eines Hauses auszuziehen.

Wir hatten unsere Plätze 1-6 vorne also eingenommen und mit Staunen verfolgt, wie – neben dem Einstieg der Passagiere – auch Mais- und andere Getreidesäcke eingeladen und im Gang gestapelt wurden, als wir im Gedränge einen Mann aufgeregt fragen hörten: „Where is number seven?” Was der Conductor genau antwortete, konnte ich nicht verstehen, es war wohl: „Halt die Klappe!“ Da hob der Frager die Stimme: „Where is number seven? I bought a ticket for seat number seven!“ War die Stimmung beim Einsteigen schon hektisch gewesen, steigerte sie sich jetzt zum Tumult; schließlich flogen Fäuste, keine zwei Meter von uns entfernt. Mehr als den Kopf einziehen konnten wir nicht. Gern hätte ich auf den Sitzplatz neben uns gezeigt, auf dem sich eine Frau niedergelassen hatte, die so tat, als ginge sie die Frage nichts an, doch das Geschrei wuchs weiter, bis der junge Mann, den wir später “Number Seven” nannten, aus dem Bus gezerrt wurde.

Draußen prügelte man sich weiter; schließlich sahen wir, wie Number Seven weggeführt wurde. Er habe dem Busmanager, der den Check-in regelte und „Halt die Klappe“ gesagt hatte, zwei Zähne ausgeschlagen, wurde uns später erzählt, weshalb wir den Manager nunmehr „Mister Teeth“ nannten. Number Seven habe nur den Sitzplatz für seinen alten Vater gesucht, der mit dem Bus fahren sollte; beide seien betrunken gewesen, erklärte man uns. Wer mit der Schlägerei begonnen habe, blieb unklar. Number Seven sei auf alle Fälle mitsamt Vater zur Polizei gebracht worden und habe dort die Nacht verbracht. Er müsse auch den Schaden bezahlen, sagte man mir, doch was konnte Mister Teeth tun, wenn Number Seven kein Geld zum Zahlen hatte – wie die meisten Leute in Uganda? Irgendwie hatte ich etwas Mitleid mit Number Seven: Das Busunternehmen hatte Sitzplatz 7 entweder doppelt verkauft oder der Busmanager hätte sich darum kümmern müssen, dass die Dame den Platz räumt, aber so viel Organisationsaufwand war wohl zu viel verlangt.

Die ganze Zeit über lief der Motor des Busses im Leerlauf, obwohl Treibstoff in Uganda vergleichsweise teuer ist (ca. 75 Cent pro Liter Diesel); die Luftverschmutzung ist beachtlich in Kampala. Mir wurde zur Erklärung gesagt, die Batterie sei vermutlich schwach und/oder der Anlasser defekt. Nach zwei Stunden Verspätung fuhren wir schließlich los. Den ersten Gang legte der Fahrer mit beiden Händen ein, als stemme er schwere Gewichte. Der Motor tuckerte dann so laut wie ein alter Traktor. Wenige Meter weiter steuerte der überladene Bus eine Tankstelle an. Zu unserem Erstaunen wurden dort, statt zu tanken, weitere Leute und Getreidesäcke geladen – am Busunternehmen vorbei, wie wir vermuteten, denn das Geld wanderte direkt in die Tasche des Conductors, der über die Säcke und im Gang sitzenden Menschen kletterte. Dass sich niemand auf unseren Schoß oder den freien Platz setzte, den meine Frau und ich uns teilten, konnten wir gerade noch verhindern. Die Sitze selbst waren durchgesessen, hart, und die Lehnen, sofern vorhanden, nur noch rohe Eisenstangen; bald schmerzte uns der Hintern.

Wir fuhren Richtung Westen; der obligate Stau in Kampala City nahm eine weitere Stunde in Anspruch, in der man nur im Schritttempo weiterkam. Fahrer und Conductor waren aber entspannt und unterhielten sich fröhlich über Mister Teeth und Number Seven. Hin und wieder stoppte man, um weitere Fahrgäste ein- oder aussteigen zu lassen. Als wir aus Kampala draußen waren, wurde die Straße zunehmend freier, auch am nächsten Tag war erstaunlich wenig Verkehr außerhalb der Metropole.

Die meisten Verkehrsteilnehmer fuhren mit grellem Aufblendlicht, weil das Abblendlicht nicht mehr funktionierte oder wirkungslos war. Bei unserem Bus hatte man immerhin gecheckt, dass die Lichter funktionierten, und vermutlich würden auch die Bremsen intakt sein – so hofften wir jedenfalls. Wie alle Autos hatten auch die Busse nie einen TÜV gesehen, seitdem sie in Uganda ihren Dienst antraten. Dort gelten Autos als neu, die in Japan und den Industriestaaten nach etwa 10-15 Jahren ausgemustert und importiert worden sind. Risse in den Frontscheiben gehörten zum Alltagsbild, auch unser Bus hatte einige davon. Während des Fahrens mit dem Handy telefonieren zählte ebenfalls zum Alltagsbild – wie wohl überall auf der Welt, selbst wenn es verboten ist und die Verbindungsqualität in Uganda zu wünschen übrig lässt. Häufig sah man Autoschrauber am Wegesrand, die Unfall- und Pannendichte scheint hoch zu sein.

Alle paar Kilometer waren Polizeikontrollen; die Polizisten interessierten sich aber nicht für die Überladung des Busses. Was die Polizisten kontrollierten, erschloss sich uns nicht, einmal suchte der Fahrer hektisch in seinem Tohuwabohu nach Papieren. Da der Bus kleine getrocknete Fische – sogenannte „Silberfische“ – geladen hatte, was nur lizensierten Transporteuren erlaubt war, musste die Weiterfahrt mit Bargeld ohne Quittung geregelt werden, was bei Polzeikontrollen durchaus üblich ist.

Der „Highway“ Richtung Kisoro war übrigens in einem erstaunlich guten Zustand, was man von den meisten Straßen in Kampala nicht sagen kann. Auch hatten wir den Eindruck, dass die Sauberkeit am Wegesrand Richtung Westen zunimmt. Gleichwohl auch hier: Kaum verließen wir in den Städten die Überlandstraße mit den aufgehübschten Verkehrswegen, traf man die gleichen kaputten Straßen, Häuser und Hütten wieder, wie überall im Land. Wir hatten den Eindruck, schon nach wenigen Kilometern alles Typische im Land gesehen zu haben: ein kleines, garagenförmiges Ziegelhaus neben dem anderen, ein kleiner Shop neben dem anderen mit abwechselnd gleichem Angebot. Dass sich der geringe Tourismus in Uganda weitgehend auf Gorilla-Trecking konzentriert, mag verständlich, aber auch etwas traurig zu sein.

Richtung Westen wurde es zunehmend kälter, vor allem in der Nacht, da merkte man den Einfluss des Ruwenzori-Gebirges, dem drittgrößten Gebirge Afrikas, bis zu 5109 Meter hoch. Als wir morgens um vier Uhr in Kabale ankamen, liefen viele in Winterkleidung herum, während tagüber 24-28 Grad waren. Obwohl die Landschaft Richtung Westen zunehmend schöner wurde, schmissen die Leute auch hier den Müll an den Straßenrand; nicht so extrem wie in Kampala, aber schlimm genug. Dass ein Volk sein schönes Land so malträtieren kann, ist mir nach wie vor unverständlich.

Vor Kisoro – einem beliebten Basislager für Gorilla-Trecking – liegt ein kleiner Flughafen, dessen Landebahn die Straße kreuzt. Startete oder landete ein Flugzeug, stoppten zwei Polizisten den Autoverkehr. Bei uns dauerte der Stopp eine halbe Stunde, denn zuerst mussten wir fünf Minuten auf die Landung der einmotorigen Propellermaschine warten. Dann sahen wir zu, wie die Passagiere – meist Mzungus – ausstiegen und in Landrovern weggefahren wurden. Erst, nachdem das Flugzeug wieder weggeflogen war, wurde der Straßenverkehr freigegeben. Auf beiden Seiten der abgesperrten Straße stauten sich Hunderte von Menschen, und dazwischen die zwei Polizisten, neben der üblichen Bewaffnung mit Pistole und Gewehr auch mit Stöcken in der Hand, ihrer Macht sichtlich bewusst. Obwohl sie Handys hatten und damit telefonierten, schien die Sperrung schlecht organisiert zu sein, denn warum mussten wir eine halbe Stunde lang warten, in der nichts passierte? Die Funktion der Stöcke erklärte mir meine Frau folgendermaßen: Wer zu früh losging oder mit dem Fahrrad/Motorrad zu früh losfuhr, bekam eins übergezogen; hielt man mit dem Auto nicht ordnungsgemäß, musste der Fahrer zur Strafe einige Stunden lang am Straßenrand warten – vorne und hinten ein Nagelbrett vor den Reifen.

Für die rund 465 Kilometer hatte der Bus gute 12 Stunden gebraucht, trotz wenig Verkehr unterwegs. Auch in Kisoro mit 11.300 Einwohnern waren nur wenige Autos zu sehen, der Armut in dem Grenzdreieck zwischen Kongo und Ruanda geschuldet. Der Bus hielt im Zentrum der Stadt, wo die meisten Leute ausstiegen und jede Menge Getreidesäcke ausgeladen wurden. Da machte sich wieder  eine leicht aggressive Atmosphäre bemerkbar. Vor der Bustür drängelten 10-20 Leute, von denen nicht erkennbar war, was sie wollten und warum sie den Ausstieg behinderten. Mir wurde erklärt, sie wollten – gegen etwas Geld – beim Ausladen helfen. Meine Begleiter witzelten: Wenn ich hier ausgestiegen wäre, wäre meine umgehängte Kameratasche schnell weg gewesen. Auch seien deshalb so viele Gepäckträger draußen, weil sich sofort rumgesprochen haben, dass ein Mzungu im Bus sitzt – so viel Aufmerksamkeit hätte es in meinem Fall aber nicht bedurft! Während wir im Bus auf die Weiterfahrt warteten, öffnete man draußen die Ladeluken und in uns stieg die Befürchtung hoch, dass unser Gepäck einfach weggenommen und davongetragen würde. Doch alles ging gut.

Nach dem Entladen in Kisoro konnte unser Bus allerdings nicht sofort weiterfahren. Der Fahrer hatte die Pause genutzt und war zum Friseur nahe der Haltestelle gegangen, wo er sich rasieren ließ. Mit weißem Rasierschaum auf der schwarzen Haut, halb geglätteter Wange und wehendem Frisierumhang sahen wir ihn gestikulierend auf die Straße laufen, doch da hatte schon ein anderer Fahrer des Unternehmens unseren Bus übernommen und war losgefahren. „Time is money“, sagte der hinzugestiegende Busmanager der Station und winkte dem ausgewechselten Fahrer zu – eine Sichtweise, die man hier nicht unbedingt erwartet hätte.

PS. Die Rückfahrt traten wir dann nach zwei Tagen mit Jaguar Executive Coaches an, dem besten Busunternehmen der Region, wie uns versichert wurde. Da verlief die Fahrt komfortabel, aber auch erlebnislos. Das ist wohl der Preis des bequemen Lebens …