Hier meine Laudatio zum 2. Deutscher Biographiepreis 2009 im Rahmen der Eröffnung der 2. Nordwalder Biografietage 2009 am Freitag, den 25. September 2009, 14 Uhr im Rathaussaal.


Die Preisträger:

Rosa von Praunheim:  
Meine Mütter – Spurensuche in Riga. Dokumentarfilm, Basisfilm Berlin 2008

Dr. Inka Postrach:  
Friederike Ruhm – Paulinchen war allein zu Haus…. Privatbiographie. Hamburg 2008

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Verehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank für den schönen Rahmen, den Deutschen Biographiepreis 2009 hier zur Eröffnung der 2. Nordwalder Biografietage verleihen zu dürfen, ebenfalls zum zweiten Mal. Er wurde ja 2008 zum ersten Mal in München vergeben.

Es ist also noch ein junger Preis des Biographiezentrums – der Vereinigung deutschsprachiger Biographen; ein Kollegenpreis für biographische Arbeiten, deren Qualitäten aus dem Alltagsgeschäft heraustreten und uns vor Augen führen, wie Lebensgeschichten realisiert sein sollten – gerade solche, die wir im Auftrag unserer Kunden erstellen. Die Menschen, deren Autobiographie wir als „gute Geister“ – als „Ghostwriter“ – aufzeichnen, müssen nicht berühmt sein, aber ihre Lebensgeschichten sollten mit aller Sorgfalt aufgearbeitet und gestaltet werden, denn jede Lebensgeschichte ist einmalig und wert, erhalten zu bleiben. Das ist das Credo des Biographiezentrums.

Als Vereinigung deutschsprachiger Biographen mit rund fünfzig Mitgliedern sind wir deutschlandweit tätig und pflegen die professionelle Vernetzung. Deshalb ist es uns eine große Freude, dieses Jahr unser Mitgliedertreffen und die Preisverleihung in Nordwalde zu machen, wo Matthias Grenda mit dem Verein für biografische Kommunikation e.V. bereits im vorigen Jahr mit den 1. Nordwalder Biografietagen ein Programm realisiert hat, das eindrucksvoll ist und dessen Ruf bis zu mir nach Bayern gelangt ist, wo ich lebe. Daher die Erklärung auf Ihre Frage, weshalb sich die Mitglieder des Biographiezentrums dieses Jahr in Nordwalde treffen – einem hübschen Ort bei Münster, den die Meisten von uns vorher nicht kannten. Wir Biographen sind einfach von Berufs wegen neugierig und lernen gern neue Menschen und Orte kennen. Deshalb freuen wir uns auf die Tage bei Ihnen in Nordwalde! Herzlichen Dank dafür dem Organisator Matthias Grenda!

Monatelang haben wir die eingereichten Biographien zum Deutschen Biographiepreis 2009 gelesen und abgeklopft: Ja oder nein, möglicherweise… Einig waren wir uns in der Jury bis zum Schluss nicht. Die Autobiographie der afrikanischen Bürgerrechtlerin und Nobelpreisträgerin Wangari Maathai stand in der engeren Wahl, aber auch Hans-Peter Schwarz’ Biographie über Axel Springer. Dann reichte eine Mitarbeiterin des Basis-Film Verleihs Berlin – der Redaktionsschluss war eigentlich schon vorbei – Rosa von Praunheims Dokumentarfilm „Meine Mütter – Spurensuche in Riga“ ein – und wir waren sofort einhellig begeistert!

Rosa von Praunheim:  Meine Mütter – Spurensuche in Riga
Basis-Film Verleih Berlin 2008

Es ist kein Geheimnis, wir verfolgen mit der Preisvergabe neben Qualitätskriterien auch subjektive Ziele. Alles, was wir wahrnehmen, erkennen wir schließlich, weil es in uns selbst begründet liegt. Rosa von Praunheims Spurensuche nach der eigenen Herkunft deckt sich kongenial mit der unsrigen als Auftragsbiographen, deshalb sind wir glücklich, von ihm ein Werk erhalten zu haben, das Maßstäbe setzt und berührt. Es enthält alles, was eine mitreißende Biographie braucht: Herz, Witz, Hingabe an das Leben und die Menschen. Schauen Sie sich den Film an!

Rosa von Praunheims Dokumentarfilm erzählt von der Suche nach den leiblichen Eltern. Im Jahr 2000 gestand ihm seine damals 94-jährige und inzwischen verstorbene Mutter Gertrud Mischwitzky, dass er nicht ihr leiblicher Sohn ist, sondern während der deutschen Besatzung in Riga/Lettland aus einem Kinderheim adoptiert worden ist. Mehr als diese knappe und (wie sich später herausstellen sollte) falsche Auskunft konnte der Regisseur seiner Adoptivmutter nicht entlocken. Erst nach ihrem Tod im Jahr 2003 machte sich von Praunheim auf die nahezu aussichtslos scheinende Suche nach seinen Wurzeln. Wie absichtslos aktualisiert er dabei den uralten Mythos des Findelkinds auf der Suche nach der eigenen Herkunft, in dem wir uns selbst erkennen. Sind wir nicht alle auf der Suche nach den eigenen Wurzeln: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?

Schritt für Schritt begleiten wir den Regisseur Rosa von Praunheim und sein Team bei ihrer akribischen Recherchearbeit in Archive, zu Zeitzeugen und Geschichtswissenschaftlern. Die deutsch-lettische Familiengenealogie entwickelt sich dabei zu einer spannenden Detektivgeschichte, die zunehmend eine erschütternde historische Dimension entfaltet. Aber es sind weniger die zeitgeschichtlichen Elemente, die uns berühren, so monströs sie erscheinen mögen – die Frage, ob der leibliche Vater ein Nazi-Massenmörder war. Vielmehr besticht Rosa von Praunheims Film durch die Schlichtheit seiner Dramaturgie: Da macht sich jemand auf den Weg zu den Wurzeln seiner Herkunft und findet an erster Stelle sich selbst.

In zwei Tagen haben wir Gelegenheit, den Film gemeinsam anzuschauen und darüber zu sprechen. Schade, dass Rosa von Praunheim heute nicht bei uns sein kann, weil er gerade in New York einen neuen Film dreht. Doch er freut sich über den Preis.

Dr. Inka Postrach: Friederike Ruhm – Paulinchen war allein zu Haus.
Privatbiographie, Hamburg 2008

Auch Friederike Ruhms Lebensgeschichte, wie sie von der Hamburger Biographin Inka Postrach auf den Weg gebracht worden ist, erscheint uns mehrfach beispielhaft; für die Generation der „Kriegskinder“ und für den Umgang mit Grenzerfahrungen, die eine Krebserkrankung mit sich bringt. Diese Autobiographie kann viele Menschen motivieren, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben.

1939 geboren, erlebt Friederike Ruhm Dinge, die sie als kleines Kind nicht verstehen kann: das Verschwinden ihres Vaters, Bombenangriffe und Bunkerangst. Als der Vater als „fremder Mann“ aus dem Krieg zurückkommt, muss die Mutter zurück an den Herd, und die begabte Tochter wagt es später nicht, ihren Studienwunsch zu äußern, denn es galt: „Aus den Jungs soll etwas werden.“ Erst, nachdem sie drei eigene Kinder großgezogen und eine lebensbedrohliche Krankheit überwunden hat, erfüllt sie sich den Studienwunsch.

Friederike Ruhms Buch macht Mut, weil es die Überwindung von Traumata und Krisen anschaulich beschreibt; sich nicht als Opfer fühlen, die eigenen Träume verwirklichen und die eigene Geschichte aufschreiben.
Die Hamburger Biographin Inka Postrach, der wir den Deutschen Biographiepreis 2009 in der Kategorie „Privatbiographie“ überreichen, schreibt über ihre Arbeit: „Ich ermutige meine Kunden zumeist, ihre Lebensgeschichte selbst zu schreiben, weil die Effekte von Selbsterkenntnis, Kreativität und Heilung größer sind als beim Ghostwriting. Auch mich beglückt es, zu erleben, wie jemand seine Sprache für seine Erlebnisse und Erfahrungen findet, kreativ wird und sich an seinem Werk freut.

Friederike Ruhm musste ich nicht zum Schreiben ermuntern. Sie hatte schon geschrieben, als sie sich an mich wandte. Ich beriet sie in Fragen der literarischen Form: wie aus dem Bericht eine Erzählung machen, wie frühe, nebulöse und fragmentarische Erinnerung ausdrücken, wie Personen lebendig charakterisieren und Dialoge schreiben.

Ich begleitete sie aber auch in therapeutischen Fragen: Welche Folgen können frühe traumatische Erfahrungen haben, wie ambivalente Gefühle gegenüber nahen Menschen beschreiben, ohne zu verletzen, wie sich aus der Opferrolle lösen?

Mir hat die Zusammenarbeit mit Frau Ruhm Spaß gemacht, ich habe dabei einiges gelernt und erfahren und freue mich, dass dieses gelungene Buch den Deutschen Biographiepreis 2009 bekommt, den es verdient.“

Wir gratulieren Rosa von Praunheim und Inka Postrach von Herzen für ihr Werk!