Schade, wieder jemand gestorben, der in meinem Leben eine freundliche, fördernde Rolle gespielt hat und dessen Tod mich daher traurig macht. Dass wir Freunde waren oder ich ihn näher kannte, wäre übertrieben, doch in den Jahren 1992 bis 1997 war Dirk Altemann als einer der leitenden Redakteure des Gong Verlags in München mein Chef gewesen. Ich denke gern an ihn zurück und bin ihm dankbar.

Ich hatte 1989 als Kunsthistoriker meine Promotion abgeschlossen und nach einem Volontariat bis 1992 beim Schirmer/Mosel Verlag in München als Kunstbuchlektor gearbeitet. Durch Matthias Politycki, der damals Lektor beim nahegelegenen Verlag C. H. Beck war und später als Schriftsteller berühmt werden sollte, lernte ich bei unseren gemeinsamen Mittagessen in der Mensa in der Leopoldstraße u.a. Stefan Bauer kennen, ebenfalls ein heller, promovierter Geist, der als fester Freier in der TV-Redaktion des Gong Verlags arbeitete, später dort Betriebsrat wurde und eine Festanstellung erhielt. Ich war beruflich bei Schirmer/Mosel nicht sonderlich glücklich gewesen und Stefan stellte mich Dr. Dirk Altemann vor, als die Redaktion des Gong Verlags weitere freie Mitarbeiter suchte.

Mein Bewerbungsgespräch war kurz – wenn man es in seiner Unkompliziertheit überhaupt so bezeichnen kann: Handschlag und ich war dabei. Fortan tippte ich entspannt mit anderen zumeist liebenswerten Kollegen die Programme der TV-Sender in das Redaktionssystem ein, das mehrere TV-Zeitschriften belieferte – geistig keine anspruchsvolle Tätigkeit, jedoch außerordentlich gut bezahlt; ich war ohne Stress und mit viel Zeit gesegnet, in der ich mich finanziell sorgenfrei meinen eigenen Buchprojekten und anderen kostspieligen Hobbys – vor allem Liebschaften als junger Mann – widmen konnte.

Die Idylle hatte ein jähes Ende, als um 1996 die ersten auf Effizienz getrimmten Adlaten einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft die Münchner Redaktion des Gong Verlags unter die Lupe nahmen und schnell erhebliches Rationalisierungspotenzial erkannten. Das führte zu mehreren großen Kündigungswellen, wovon eine mich erfasste, und schließlich zur Auflösung der Redaktion in der Nordendstraße in München, der dann auch Dirk Altemann zum Opfer fiel. Da selbst die „festen Freien“ zumeist hohe Abfindungen bekamen oder gerichtlich erstritten, dürfte die Kündigung für einige nicht allzu schlimm gewesen sein.

Dirk Altemann habe ich in dieser Zeit bei Gong als einen Chefredakteur kennengelernt, dessen Büro für alle immer offen stand. Er schien geradezu in der Redaktion zu leben und wohl nur wenige wussten genaueres, ob er ein Familienleben hatte oder nicht. Morgens erschien er als einer der ersten und abends ging er als einer der letzten. Auch an Wochenenden konnte man ihn oft in der Redaktion antreffen. Wie bei anderen Redakteuren, schienen auch bei ihm die Zigaretten nie auszugehen, und spätestens nachmittags zogen so manche Alkoholfahnen unterschiedlichster Marken aus den Redaktionszimmern durch die Flure. Die ständige Fütterung der Programm- und Artikelspalten Woche für Woche, und das über Jahre und Jahrzehnte hinweg, war wohl für so manchen klugen Kopf anders nicht zu ertragen.

Und Dr. Dirk Altemann war klug, er hatte in Kommunikationswissenschaft promoviert und oft eine witzige, überraschende Formulierung auf den Lippen. Ich habe ihn als Kumpel in Erinnerung, per Du, der zu allen (untergebenen) Kollegen hielt und großzügig war im Abzeichnen unserer monatlichen Rechnungen, die – formal korrekt – bisweilen Summen enthielten, die sehr weit über Tarif lagen. Doch Dirk Altemann war Freigeist und vermutlich der Ansicht, dass zu allererst bei den hohen Gehältern der Konzernspitze zu kürzen sei, statt die einfachen Redakteure zu drangsalieren. Daher winkte er mit seiner Signatur einfach durch und wir freuten uns über den Geldsegen.

Nun ja, diese soziale Großzügigkeit und wohl auch andere Eigenheiten haben ihn – wenn ich es richtig erkläre – 1999 den Job gekostet. Dirk Altemann stieg in das Redaktionsbüro „Correspondence“ des bereits 1995 fristlos geschassten Redaktionsdirektors des Gong Verlags, Bob Borrink, ein. Über Bob Borrinks Büro, das ebenfalls für alle offen stand und gegenüber Dirks Zimmer lag, hatte ein Schild gehangen: „For Trainmen Only“. Bob Borrink, auch ein außergewöhnlich freundlicher Mensch in dieser bunten Gong-Landschaft, hatte in seinem Redaktionszimmer eine Modelleisenbahn aufgebaut. In meinem Designerkrimi „Tödlich kreativ“ (1999) hat einer der Protagonisten ebenfalls eine Modelleisenbahn im Büro stehen, von Bob Borrink inspiriert.

Wenn ich heute, wo Dr. Dirk Altemann am Nachmittag im Münchner Nordfriedhof begraben worden ist, über Dirk Altemann googele, erhalte ich nur diese Traueranzeige. Auch das macht mich traurig: Dass über einen Publizisten, dem zahlreiche Redakteure und Leser sowie ein Verlagskonzern etwas zu verdanken haben, so wenig, nahezu nichts Würdigendes geschrieben worden ist.

Ich hätte Dirk Altemann mehr Resonanz gewünscht.