In der Biografik spricht man bei diesem Phänomen von Autofiktion, und zu den populärsten Selbsterfindungen zählen heutzutage Pseudo-Holocaust-Biografien – erfundene Lebensgeschichten von Menschen, die vorgeben, den Holocaust überlebt zu haben. Arte zeigt am 23. November 2021 um 20.15 die Dokumentation „Misha und die Wölfe“. Den Film schaue ich mir an.

Aus der Senderinformation: Die Geschichte von Misha Defonseca, einer Frau, deren Holocaust-Memoiren die Welt im Sturm eroberten. Ihre Erzählungen über die Suche nach ihren deportierten Eltern und ihr Zusammenleben mit Wölfen im Wald werden ein Bestseller Roman und schließlich ein Kinofilm. Doch ein Rechtstreit mit ihrer Verlegerin führt zu Nachforschungen und einer Spurensuche nach Beweisen zu Mischas Identität …

Anfang der 1990er Jahre brach Misha Defonseca ein 50-jähriges Schweigen. Sie begann in einer jüdischen Gemeinde von ihren schlimmen Erlebnissen als junges Mädchen während des Holocaust zu erzählen: Ihrer Identität beraubt und im Haus einer katholischen Familie versteckt, beschloss sie zu fliehen. Misha lief quer durch Europa nach Osten, aß Insekten und freundete sich mit Wölfen an. Sie flüchtete vor den Nazis und lebte allein auf der Suche nach ihren verstoßenen Eltern. Verlegerin Jane Daniel hörte davon und überredete Misha, ihre Geschichte aufzuschreiben.

Noch bevor das Buch geschrieben war, begann der Presserummel. Disney kaufte die Filmrechte und die Übersetzungsrechte wurden weltweit verkauft. Als das Buch fertig war, meldete sich Oprah’s Book Club. Ihre Beteiligung garantierte einen internationalen Bestseller. Doch Misha wurde plötzlich unkooperativ und weigerte sich, an der Livesendung teilzunehmen. Das war erst der Anfang einer dreijährigen Fehde zwischen Verlegerin Jane und Misha, die vor Gericht endete. Jane wurde beschuldigt, das Urheberrecht gestohlen und Tantiemen zurückgehalten zu haben. Die Geschworenen sahen eine Holocaust-Überlebende, der Unrecht getan wurde, und sprachen Jane in allen Anklagepunkten schuldig.

Bemüht darum, ihren Ruf wiederherzustellen, nahm sie die Recherchen ihres Anwalts wieder auf und fand Belege, die die wahre Identität Mishas aufzeigten. Wenn sie in dem Punkt ihrer Herkunft gelogen hat, was könnte an ihrer Geschichte sonst noch unwahr sein?

Siehe auch den Fall Marie Sophia Hingst (1988-2019).