Von Haus aus bin ich Kunsthistoriker, den die „brotlose Kunst“ nach der Promotion in die Publizistik getrieben hat. Ob bedauerlich oder nicht: Die Verbindungen künstlerischer Medien in der biographischen Arbeit interessieren mich noch immer – und so auch die Textportraits von Ralph Ueltzhoeffer.

Was sind Textportraits?
Ein Textportrait ist eine auf Schrift und Bild basierende Variante eines herkömmlichen Bildportraits mit dem Unterschied, dass der Text (z.B. eine Biographie) und das Bild (z.B. ein Passfoto) eine untrennbare Symbiose eingehen: das Verschmelzen zweier visuell unterschiedlicher Komponenten zu einem lesbaren Portrait, dem Textportrait.

Textportrait George Harrison. Weitere Portraits finden Sie unter http://www.textportrait.de/textportraits.html

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Ein Portrait ist ein Gemälde, eine Fotografie, eine Plastik oder eine andere künstlerische Darstellung einer Person, beispielsweise das literarische Portrait, deren Absicht es ist, neben der Darstellung körperlicher Ähnlichkeit auch das Wesen, die (geistige) Lebensgeschichte und die Persönlichkeit der portraitierten Person zum Ausdruck zu bringen.

Interessant finde ich das 923 Tage Internet Kunstprojekt “TEXTPORTRAIT“.

Aus der Information des Künstlers: „Am 22. August 2006 startete das erste und bis heute einzige Kunstprojekt, das sich ausschließlich mit der weltweiten, globalen Vernetzung, dem Internet und der damit zusammenhängenden medialen Bestandteile auseinandersetzt.

Zur visuelle Darstellung:
Textportrait in visueller Darstellung ist aus Texten (Internet) und Fotografien untrennbar zusammengefügt und damit zu einem lesbaren Portrait eingefroren. Das Schriftbild weiß auf schwarz bezieht sich auf den DOS Eingabemodus (Visuell). So entstand 2002 aus der Textvorlage: Wikipedia David Beckham und dessen Portraitfoto eines der ersten Textportraits.

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Öffentlicher Raum
Da sich zu dieser Zeit (2002/2003) das Internet in einem neuartigen Entwicklungsprozess hinsichtlich der Suchfunktionen befand, war an ausschließlich digitaler Präsentationen im Netz nicht zu denken. So wurden die ersten Textportraits auf Plakatwänden ortsbezogen ausgestellt und es konnte so zumindest dem öffentlichen Charakter dieser Arbeit entsprochen werden.

Spätere Ausstellungen an historischen Orten, wie dem Ground Zero, New York sowie in Schaufenstern von Straßencafes, U-Bahn-Haltestellen etc. folgten. ‚Es gibt keinen Ort, an dem man Kunst nicht präsentieren könnte‘ (Ralph Ueltzhoeffer 2008).

Suchmaschine GOOGLE
Erst als die Künstlerin Laura Maria May sich 2004-2005 der Thematik der Internetsuchfunktionen (Google-Such-Algorithmus) angenommen hatte, konnte mit Hilfe von Internetexperten hinsichtlich Suchmaschinenplatzierungen (Seitenzugriffe) über das Erstellen erster Kunstprojektseiten nachgedacht werden.

Patrick Bernau von der F.A.Z. schreibt dazu: (Auszug)

‚Alle wollen Google überlisten‘
‚Den ersten Eindruck von einem anderen Menschen gewinnt man ja nur noch selten persönlich. Zehn Jahre nach der Gründung von Google hat es sich bei vielen Menschen durchgesetzt, dass sie den Namen von neuen Bekannten oder neuen Geschäftspartnern erst einmal googeln – noch bevor sie mit dem anderen telefonieren oder ihn von Angesicht zu Angesicht sehen. Höchste Zeit also, dass ich mir ansehe, was Google über mich ausspuckt. […]‘

Internetinformationen aus Wahrheit und Lügen
Eines der wichtigsten Bausteine des Kunstprojektes prognostiziert die Tatsache, dass kein fehlerhaftes Produkt nachweislich so stark frequentiert wird wie das Internet als uneingeschränktes Informationsmedium. Somit sind die visuell erstellten Textportraits analog der Internetvorgaben (Content) innerhalb des Projektes zum Teil mit Falschinformationen erstellt, was diesem weiterführenden künstlerischen Gedanken voll und ganz entspricht.

Albrecht Ude von DIE ZEIT, 31.01.2008 Nr. 06 beschreibt dieses Phänomen folgendermaßen: (Auszug)

‚Das Internet ist ein Geschenk für die Demokratie. Nirgendwo gibt es weniger finanzielle, technische und politische Hürden, seine Meinung zu publizieren. Andererseits greifen im Internet nicht die Qualitätskontrollen, die bei Printmedien üblich sind. Es gibt oft weder Lektorat noch Redaktion, die Möglichkeit der Anonymität begünstigt Missbrauch. Doch viel zu viele Surfer nehmen immer noch alles für bare Münze, was sie in ihrem Browserfenster lesen […]‘

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Ziel der Arbeit TEXTPORTRAIT im Internet
Besteht die Möglichkeit, ein globales Medium wie das Internet mit all seinen unterschiedlichen Facetten einem künstlerischen Gedanken zu unterwerfen und es damit aus den Fesseln eines einfachen Informations- und Verkaufsmediums zu lösen? Kann das Internet selbst zu Kunst werden, indem es sich selbst repräsentiert?

Mit großer Sicherheit ist das Internet ein ziemlich genauer Spiegel unserer Gesellschaft und wäre somit prädestiniert, den künstlerischen Gedanken zu nähren. Das globale Gedächtnis wird in Abhängigkeit gesuchter und gefundener Informationen zukünftig größeren Raum einnehmen und somit unser aller Leben verändern.

Missbrauch personenbezogener Daten ‚ANONYMITY‘
Das Kunstprojekt TEXTPORTRAIT arbeitet ausschließlich mit personenbezogen Daten in den unterschiedlichsten Kombinationen auf tausenden Webseiten. Textportrait beschränkt sich nicht wie üblicherweise auf eine Internetpräsenz, sondern verteilt sich auf mittlerweile mehreren hundert Webauftritten weltweit. Tausende Zugriffe täglich verleihen dem Projekt eine immense Informationskraft.

Das Kunstprojekt Textportrait missbraucht gezielt persönliche Daten und bringt diese mit dem Projekt TEXTPORTRAIT bzw. Text Portrait in direkte Verbindung. Da sich das Kunstprojekt wegen seines Volumens täglich selbstständig im Netz vervielfältigt besteht seit geraumer Zeit keine Möglichkeit mehr, das Projekt zeitnah zu beenden.

FOCUS-Autorin Andrea König: ‚Globale Menschenschau‘ (Auszug)

‚Die Internetpersonensuche steht hoch im Kurs: Jede Minute tippen Surfer weltweit 1,4 Millionen Anfragen ein, hat ein US-Marktforschungsinstitut herausgefunden. Allein Marktführer Google registrierte im August 2008 mehr als 37 Milliarden Suchbefehle. Jede dritte Recherche beziehe sich auf Personen, behaupten die Betreiber von Spock.com. […]‘

Beschwerden, Fragen und Abmahnungen
923 Tage Kunstprojekt TEXTPORTRAIT Online: Weniger als 20 Beschwerden bei ca. 900.000 Abfragen. Es wurden um die 2000 Mails beantwortet. Keine Abmahnung! Mehr als 1000 Anfragen zur Aufnahme…

Wer bin ich – was bin ich
Wer über Suchmaschinen nach Informationen gezielt sucht, dem ist es vielleicht schon begegnet: Das unübersichtliche und nur schwer nachvollziehbare Konstrukt der Suchfunktionen im Internet.

Was gefunden werden soll, wird gefunden. Aber ist es auch das, was ich wirklich gesucht habe?

Und stimmt das Bild mit dem Text wirklich überein…? Was macht mein Name hier eigentlich…?“

TEXTPORTRAIT… Text Portrait…
Ein Internet-Kunstprojekt von Laura Maria May und Ralph Ueltzhoeffer