»Spielen Sie viel und singen Sie mit ihm.«
Bernhards Geburt 1951 und die Jahre danach

Meine Schwiegermutter wurde von Tag zu Tag kränker. Sie hatte offenen Krebs von der Brust aufwärts bis zum Kinn und wurde bestrahlt. Das führte zu Verbrennungen, ihre linke Seite war voller Blasen, so groß wie 5-Mark-Stücke. Die platzten auf und dann war nur noch rohes Fleisch auf ihren Knochen zu sehen. Ich musste sie morgens und abends waschen und mit Zinksalbe einreiben, damit die Wunden nicht eiterten. Schwiegermutter lag nur noch in ihrem Schlafzimmer, wir hatten das restliche Haus für uns. An ihrer Schlafzimmertür stand eine Schüssel mit Sagrotan, damit jeder die Hände desinfizieren konnte, der mit ihr in Berührung kam.

Ich pflegte meine Schwiegermutter mehr als zwei Jahre lang, jeden Tag. Als ich als Schwiegertochter in die Familie Kempf gekommen war, hatte ich 140 Pfund gewogen. Ich war schön und rund, mein Mann wog 96 Pfund, als er vom Krieg zurück kam. Jetzt magerte ich zusehends ab. Wir hatten damals nur 40 Mark im Monat zum Leben, doch meine Schwiegermutter musste 600 Mark an Behandlungskosten aufbringen. Weil wir das Geld nicht hatten, lieh es ihr eine Freundin, Frau Gerey, die schräg gegenüber in einem Wochenendhaus wohnte und Vermögen in Bregenz und in Bucher am Pfedersee hatte. Dieses Geld knallte meine Schwiegermutter dem behandelnden Arzt Dr. Öller bar auf den Tisch. Sie war empört über die Arztrechnungen und hilflos zugleich.

Eines Tages kam eine Frau zu meiner Schwiegermutter, die behauptete, ich hätte ihren Mann verführt. Meine Schwiegermutter glaubte ihr, sie schikanierte mich umso mehr. Aber pflegen und ihre Windeln wechseln ließ sie sich von mir bis zum Tod! Es war die Hölle, ich wurde physisch und psychisch als Person immer kleiner. Aber das kümmerte keinen. Meine Schwiegermutter beutete mich aus, der Bruder meines Mannes, Richard, saugte uns finanziell jahrelang aus. Seine Wäsche musste ich sonntags früh selbst im Winter, bei dreißig Grad Kälte, draußen auf dem Beton im Hof schrubben. Bis zum Abend musste sie wieder trocken und gebügelt sein, damit er sie am Montag morgen um fünf Uhr mitnehmen konnte, wenn er die Woche über auf Montage fuhr.

Eine Szene aus dieser Zeit werde ich niemals vergessen: Richard hatte am Montag morgen eine frisch gewaschene Strickjacke angezogen, an der ein Knopf fehlte. Ich sagte: »Richard, ich sehe gerade, dass da ein Knopf fehlt, den nähe ich dir noch schnell an. Das hättest du mir ja schon gestern sagen können, dass da ein Knopf fehlt.«
Da brüllte er mich wie aus heiterem Himmel an: »Für was bist du dummes Luder denn da? Hättest du das nicht schon gestern sehen können?«

Ich war wie vom Donner gerührt. Ach so ist das, hab ich mir gedacht, ich bin also das dumme Luder hier im Haus! Ich war außer mir und weinte den ganzen Tag. All die Jahre, immer hatte ich versucht, es allen in der Familie recht zu machen, aß selbst nicht, wenn die anderen aßen, damit ich meinen Mann und die Familie besser bedienen konnte, und stellte meine Bedürfnisse völlig hintan. Und dann der Dank: »Du dummes Luder!« Ich war zutiefst verletzt.

Ich nahm mir vor, Richards Wäsche am nächsten Wochenende nicht mehr zu machen. Aber als er vor mir stand, wurde ich wieder schwach und machte ihm den Dreck weg. Das ging so lange, bis er heiratete. Kein Dankeschön, bis heute nicht. Keinen Blumenstrauß, keine nette Geste. Ich war immer nur das dumme Luder. »Für was bist du dummes Luder denn da?« Das war sein Standardsatz, wenn er irgendetwas von mir wollte. Mein Mann sagte das zwar nicht zu mir, aber er wird es sich wohl gedacht haben, getreu dem Sprichwort: »Mit den Armen und Dummen treibt man die Welt um.«

Eines Tages war Richard mit einer neuen Frau ins Haus gekommen, die er als Sofie vorstellte, die Nichte der Frau Gerey von gegenüber. Meine Schwiegermutter war von Anfang an wenig begeistert über Richards neue Eroberung. Ich war ihr zu schön, Sofie war ihr zu hässlich. Niemand konnte es der Schwiegermutter recht machen. Sie atmete jedes Mal tief durch, wenn Sofie wieder das Haus verließ: »Gott sei dank, dass die wieder draußen ist!«

Aber Sofie war die Tochter reicher Eltern in Bregenz. Der Vater besaß ein millionenschweres Druck- und Verlagsunternehmen, seine Tochter arbeitete bei ihm als Sekretärin und öffnete die Briefe. Mehr hatte sie nicht gelernt. Ich vermute, dass Frau Gerey nachgeholfen hat, damit sich Richard und Sofie kennen lernten. Von Anfang an nahm Sofie die Zügel in die Hand und ließ uns spüren, dass wir eigentlich arme Schlucker waren und nur dank ihrer Gnade nach vorne schauen könnten. Sie war ein furchtbar dominantes Persönchen. Richard zog bald zu ihr nach Bregenz, ich war erleichtert. Endlich eine Belastung im Haus weniger!

Ich wurde magersüchtig. Jahrelang spuckte ich auch später noch das Essen heimlich wieder aus, weil ich Angst hatte, dass das Essen vergiftet sei. Immer wieder hatte Adi mir gedroht, dass er mich vergiften würde. Deshalb hatte ich immer auch die Kinder schon gefüttert, wenn er nach Hause kam, damit er nicht an sie rankam und sie vergiften konnte. Damit hatte er oft gedroht. Sieben Jahre schlief ich nachts fast gar nicht, immer hatte ich Hunger, aber für mich war nie etwas da. Nur die Reste konnte ich nachts heimlich essen. Nie wurde ich am Tisch gefragt, ob ich auch etwas zu essen haben wollte.

Ich war am Ende und wog nur noch 39 Kilo. Unser Hausarzt Dr. Greiner war entsetzt, als er mich sah: »Um Gottes Willen, was ist mit Ihnen los?« Er untersuchte mich. »Sie müssen mit der Arbeit aufhören, Sie müssen sich schonen.«
»Aber ich kann doch nicht, ich hab das Haus, die Küche und den Garten.«
»Da muss eben der Adi mal was tun!« sagte der Doktor. Die beiden waren Schulkameraden gewesen und kannten sich.
»Der tut doch nichts im Haushalt«, klagte ich.
»Dann muss er halt«, meinte der Doktor achselzuckend. »Sie bekommen ein Baby, aber das kann definitiv erst in der Frauenklinik festgestellt werden.«
»Um Gottes Willen!« entfuhr es mir spontan. »Das darf mein Mann auf keinen Fall erfahren!«
»Ja, warum denn nicht?« Jetzt war der Arzt wirklich erstaunt. So groß hatte er sich die Probleme in unserer Ehe nicht vorgestellt.
»Weil mein Mann schon das erste Kind nicht gewollt hat.«

Wenige Tage später, am 1. März 1951, starb meine Schwiegermutter. Bei ihrer Beerdigung standen die Leute auf der Strasse, um auf den Sarg zu warten, der im Haus aufgebahrt worden war. Ich pflückte alle Schneeglöckchen, die in diesen Tagen im Garten blühten, und füllte den Sarg mit ihnen aus. Meine Schwiegermutter lag wie eine Gräfin inmitten der Schneeglöckchen.

Der Trauerzug ging von unserem Haus am Berg hinab durch Ottmarshausen hindurch zum Friedhof. Anschließend musste ich den Leichenschmaus ausrichten und die Leute bedienen. Wie ich das alles geschafft habe, weiß ich bis heute nicht. Ich war überglücklich, als unser Haus am Abend leer war – überglücklich und vollkommen fertig! Meine Seele wurde immer kränker.

Ich war so krank und schlecht beieinander in diesen Wochen, dass ich anschließend einen Zusammenbruch hatte und ins Augsburger Westkrankenhaus eingeliefert wurde. Gelbsucht wegen Unterernährung wurde diagnostiziert. Wochenlang musste ich im Krankenhaus das Bett hüten. Der behandelnde Arzt Dr. Hämmerle war entsetzt, als er mich untersuchte. »Sie sind ja nur noch ein Wrack«, sagte er. »Was ist los mit Ihnen?«
Am Ende der Untersuchung war auch er sicher: »Sie bekommen ein Kind, aber in diesem Zustand bekommen Sie es nicht!«
Um eine optimale Behandlung zu gewährleisten, wollte er mit Kollegen am Nachmittag über meinen Fall sprechen und bestellte mich deshalb für den nächsten Tag noch einmal zur Untersuchung. Schließlich teilte er mir mit ernstem Gesicht mit: »Wir sind der Meinung, dass es das beste ist, wenn wir Ihnen das Kind nehmen.«
Ich war entsetzt. »Nein, nein, das Kind gebe ich nicht her! Niemals. Ich will zwölf Kinder, ich gebe keins davon her!«
»Aber Sie werden es in diesem Zustand nicht überleben«, sagte der Arzt. »Sie können ja kaum laufen, Sie sind am Ende. Spätestens bei der Geburt werden Sie sterben. Und was sagt Ihr Mann dazü«
»Dem sag ich das gar nicht.«

Der Arzt schüttelte den Kopf und überwies mich in das Augsburger Wöchnerinnenheim in der Gögginger Straße. Dort wurde ich die nächsten sieben Monate regelrecht wieder aufgebaut. Zwischendurch durfte ich für ein paar Tage oder Wochen nach Hause, aber richtig auf die Beine kam ich nur durch die Schwestern, die mich fütterten und aufpäppelten. Diese Art der intensiven Pflege gibt es heutzutage überhaupt nicht mehr, dass sich Menschen aufopfernd um andere kümmern. Aber nur so konnte ich die Schwangerschaft überstehen, denn zu Hause wurde es immer schlimmer.

Als ich Adi von der Schwangerschaft erzählte, schrie er mich an, dass das Kind nicht von ihm sein könnte! Er nahm mich nicht mehr in den Arm, kein liebes Wort, nichts! Einmal warf er mich brutal vom Sofa, auf dem er lag, als ich mich zu ihm setzte und ihm über den Kopf streichelte.
Jetzt war ich endgültig zum Pflegefall geworden. Ich zitterte am ganzen Körper – und meine Hand und der Kopf zittern seitdem noch heute. Richtig erholt habe ich mich von diesem Drama nie wieder. Sobald ich im Krankenhaus entlassen wurde, klappte ich daheim wieder zusammen und musste wieder ins Krankenhaus eingeliefert werden. Adi half mir in keinster Weise, er war abweisend und widerlich zu mir. So ging es während der ganzen Schwangerschaft, bis zum Schluss.

Vor der Entbindung bot uns unerwarteter Weise mein Schwager Richard an, dass ich Christine nach Bregenz bringen und so lange bei ihnen lassen könne, bis das Baby auf die Welt gekommen sei. Da mir weder Adi noch sonst jemand zur Seite stand, nahm ich das Angebot gern an und packte die Koffer, damit Christine vier Wochen lang mit frischer Wäsche versorgt wäre. Aber kaum kamen wir in Bregenz an, fragte die Schwägerin mit einem Blick auf unsere großen Koffer: »Wie lange wollt ihr denn hier bleiben?«
»Ich bleibe doch nicht«, sagte ich. »Das sind nur die Koffer fürs Christinchen.«
Die Miene meiner Schwägerin verfinsterte sich zunehmend. Sie wurde immer unleidlicher, bis wir es nicht länger aushielten und nach wenigen Tagen frustriert wieder nach Hause fuhren. Von Hilfe auch hier keine Spur! So kam mein Sohn zur Welt.

Bernhard wurde am 14. September 1951 geboren, drei Wochen zu früh, aber er war von Anfang an ein süßer Kerl mit schönen braunen Augen, wie ich sie mir immer gewünscht habe. Meine Schwiegermutter hatte mir beim ersten Kind ein Foto von sich geschenkt und gesagt: »Schau das Bild immer an, dann kriegt dein Kind auch die schönen braunen Augen, die ich habe.« Das hatte ich täglich getan, was bei Christine allerdings nichts nützte.
Ich war überglücklich, dass der Junge gesund war, auch wenn er durch die frühe Geburt in seiner Entwicklung nicht ganz ausgereift war. Er hatte den Körper voller kleiner blonder Haare.

Für den Fall, dass ich bei Bernhards Geburt sterben würde, hatte ich unser Haus gründlich geputzt. Niemand sollte mir vorwerfen, ist sei schmutzig gewesen. Wegen der vielen Arbeit und Überanstrengung ist es dann vermutlich zur Frühgeburt gekommen. Ich musste ja allein den ganzen Haushalt machen und Kommoden, Schränke und Tische schieben, damit sich dahinter kein Staub festsetzte. Adi sprach immer öfter von einer neuen Frau, die er sich suchen würde oder schon gefunden hatte. Das war natürlich auch kein Kompliment für mich.

Wie bereits bei Christine, war außer mir wieder niemand über den Nachwuchs in der Familie begeistert, weder mein Mann noch mein Schwager in Bregenz nahmen Bernhard jemals in den Arm oder halfen mir im Haushalt mit den Kindern. Kein liebes Wort, kein Freudenausbruch, nichts. Nur Christinchen war stolz, einen kleinen Bruder bekommen zu haben, den sie im Puppenwagen durch die Gegend schieben konnte. Sie war selig.
Ich holte mir meinen Bruder Heinz ins Haus, weil bei meinen Eltern das Geld knapp geworden war und er keine Arbeit hatte. Ich dachte mir, dass Heinz mir im Haushalt helfen könnte, aber da lag ich komplett falsch. »Wenn deine Männer nichts tun, dann brauch ich auch nichts zu tun«, meinte er und ließ sich bedienen. Jetzt hatte ich (mit Heinz) drei Männer im Haus, und keiner rührte einen Finger. Ich wurde noch einsamer und ausgemergelter. »Hat das dein Vater gemacht?« war Adis Spruch, wenn ich ihn um irgendetwas bat. Sei es, mal auf die Kinder aufzupassen, einkaufen zu gehen, im Garten zu helfen, immer ließ er diesen Spruch los und ließ mich allein. Er war ein Chauvinist erster Güte. Kochen musste ich, was er wollte. Aber ein Lob erhielt ich nie.

Am 9. November 1951 starb meine Mutter, was mich noch unglücklicher machte. Adi führte sein Lotterleben weiter, im Büro schauten mich seine Mitarbeiterinnen, mit denen er ein Verhältnis hatte, scheel an, wie ich überhaupt noch ein Kind kriegen konnte, wo er mit mir – wie er sagte – nichts mehr hatte. Das Kind sei ja nicht von ihm, wiederholte er immer wieder. Alles Lüge!

Bernhard war von Anfang an schwierig. Weil ich so krank war und nichts essen konnte, hatte ich nicht genug Muttermilch und konnte ihn nicht richtig stillen. Mit drei Wochen fütterte ich ihn mit dem Löffelchen, doch Bernhard wollte nichts im Mund behalten, weder einen Schnuller noch das Fläschchen. Sobald er etwas Warmes am Mund spürte, spuckte er es wieder aus. Mit Mühe bekam ich ihn so weit, dass er die Breichen runterschluckte. Immer schwerer fiel es mir, die Familie zu pflegen. Meine Gesundheit war angeschlagen und ich bemühte mich jeden Tag, den Kindern eine gute und gesunde Mutter zu sein.

Es ging nichts gut voran, Bernhard wuchs nicht so schnell wie Christine, erst mit drei Jahren begann er zu sprechen. Christine saß mit einem halben Jahr auf dem Töpfchen, Bernhard machte noch mit drei Jahren in die Hose und ins Bett. Die Ärzte beruhigten mich: »Warten Sie‘s nur ab. Das wird schon, der Junge ist einfach ein Spätzünder.«
Am liebsten aß er Kartoffeln, Zwiebeln und Kohl sowie rohe Kohlrabi. Schon früh ging er sorgsam mit seinen Kleidern um. Nach dem Spaziergang in schönen Ausgehkleidern zog er sich immer sofort Spielklamotten an. Ich war überglücklich, als Bernhard nach drei Jahren zum ersten Mal »Ma Ma Ma Mama« sagte.
»Spielen Sie viel mit ihm und singen Sie, das tut dem Jungen gut«, rieten mir die Ärzte. »Singen ist ganz wichtig für ein Kind, dann wird es auch sprechen.« So sang ich Bernhard täglich Kinder- und Volkslieder. Am liebsten mochte ich »Im Märzen der Bauer…« – vielleicht, weil das Lied mit Arbeit zu tun hat. Wenn mein Leben an einem reich war, dann an Arbeit und Leiden!

Das schwere Leben, das ich führen musste, brachte auch schwere Gedanken hervor. Es gab Zeiten, da dachte ich daran, mich und meine Kinder mit dem Pflanzenvertilgungsmittel E 605 auszulöschen, das wir im Garten benutzten. Öfters saß ich an ihrem Bettchen und dachte, soll ich‘s tun? Soll ich‘s nicht tun? Aber mein Glaube an Gott und dessen Weisheit half mir, es nicht zu tun, mochte ich noch so verzweifelt sein. Gott gab mir kein Recht, mich und meine kleinen Kinder zu töten, auch wenn sie von Adi nie geliebt wurden. Er freute sich nicht auf Christine und Bernhard, wenn ich sie abends um 18 Uhr oben ans Gartentürchen stellte und sagte: »Jetzt kommt gleich der Vati! Der freut sich, wenn ihr hier auf ihn wartet.«

Doch bei Adi war überhaupt nichts von Freude zu bemerken, wenn er nach Hause kam! Er ging durch die Gartentür und sagte manchmal noch nicht einmal »Guten Tag, Kinder!« So lebte er sein Leben und gab uns nie das Gefühl, von ihm geliebt und geachtet zu werden. Da konnte man schon einmal auf Selbstmordgedanken kommen.

Je älter der Bub wurde, um so trauriger machte es mich, dass Bernhard einen Sprachfehler hatte. Er stotterte. Von früh auf wurde er deshalb ausgelacht. Besonders schlimm war es in der Schule, sogar die Lehrer machten sich über ihn lustig und schikanierten ihn. »Setz dich hin, Bernhard, du bist zu blöd zu allem, du kannst es doch nicht.« Solchen Spott musste er leider oft hören, auch mir tat es in der Seele weh. Zu meinem Mann sagte ich häufig: »Vati, sei so gut und lass uns gemeinsam zu den Lehrern gehen und mit ihnen sprechen, dass sie diese Hänseleien gegen unseren Bernhard endlich sein lassen!«
Adi reagierte wie immer nur unwirsch. »Was soll ich da?« Er tat, als ginge ihn das alles überhaupt nichts an.
»Du gehst mit, aber ganz bestimmt!« Immer wieder drängte ich ihn und ließ so lange nicht locker, bis er mit ging.

Wir vereinbarten einen Gesprächstermin bei einem Lehrer, der Meier hieß und besonders gemein zu Bernhard war. Mein Mann sagte kein Wort, als wir dem Lehrer gegenüber saßen. Ich stieß Adi unter dem Tisch mit den Füßen an, er reagierte überhaupt nicht. Ich drohte dem Lehrer, wenn er Bernhard nicht in Frieden lasse, ginge ich zum Direktor und von da aus zur Polizei.
Aber es nützte nichts, der Lehrer Meier änderte sein Verhalten nicht. So ging ich zum Schulamt und beschwerte mich über ihn. »Er misshandelt meinen Sohn«, sagte ich.
Aber der Schulamtsleiter antwortete nur kühl: »Wenn Sie besser wissen, was im Falle Ihres Sohns zu tun ist, können Sie ihn ja von der Schule nehmen.«

So schickte ich ihn auf die Schule in Neusäss und Christine nach Heinhofen, aber besser wurde es dadurch auch nicht. Die Kinder hänselten und verprügelten ihn weiterhin, machten ihm das Rad kaputt und zerrissen seine Kleider. Einmal spuckte der Schulrektor Christine auf der Strasse ins Gesicht,  und verglich sie mit einem geistig behinderten Jungen, der im Dorf wohnte und in der gleichen Klasse war. Auch Christine litt darunter – in der Schule wie in der Freizeit. Anfangs sprach ich noch die Kinder der Eltern an, die Bernhards Stottern nachäfften und ihn auslachten. Aber das hatte keinen Zweck, Bernhard wurde noch mehr gequält – vielleicht deshalb, weil sie selbst nicht den Ernst der Situation erkannt haben und sie ihren Kindern nur halbherzig oder gar nicht erklärt haben.

Ich kleidete meine Kinder pikobello, wie aus dem Ei gepellt, nähte alles selbst, häkelte und strickte und tat alles für die Kinder. Sie waren immer schick und toll gekleidet, wie richtige Puppen sahen sie aus. Doch mein Nachbar Gröner warnte mich: »Frau Kempf, machen Sie Ihre Kinder nicht immer so schön, das können die Leute hier nicht vertragen. Ihre Kinder haben es dann umso schwerer.«
Ich dachte mir bloß: Was fällt denn dem ein? Ich kann doch meine Kinder nicht schmutzig herumlaufen lassen! Auch Adi verließ jeden Morgen das Haus wie aus dem Ei gepellt. Abends zuvor bügelte ich ihm einen frischen Anzug und polierte seine Schuhe auf Hochglanz. Er sah wie ein guter Geschäftsmann aus, und das war er auch!
Doch als wäre ich nicht genug geplagt, wurde mir auch noch vorgeworfen, dass ich keine Ottmarshauserin sei, sondern eine »Preußin«. Ich ging Lebensmittel kaufen, beim Bauern wollte ich Eier holen. Doch nirgends bekam ich etwas! Ich konnte hingehen, wohin ich wollte, ich habe nichts bekommen.
»Für Sie haben wir nichts«, wurde mir im Geschäft gesagt, und beim Bauern hat es ebenfalls geheißen: »Für Sie haben wir nichts.«
Der Schuster fragte: »Wer sind Sie?«
Ich sagte: »Kempf.«
Da fragte er: »Welcher Kempf?«
Ich sagte: »Vom Adi.«
Da nahm er die Zange und riss die Sohle von den Stiefeln wieder runter, die er zuvor repariert hatte. »Für Sie mache ich nichts!«
Wenn ich in die Kirche ging, standen die Leute auf und setzten sich in eine andere Reihe. Um mich herum war alles leer. Andere Kinder schubsten meine Kinder von der Kirchenbank, es war das reinste Spießrutenlaufen. Meine Schwiegermutter hatte mehr als einmal weinend zu mir gesagt: »Du bringst Schande über unsere Familie!« Ich wusste viele Jahre nicht, warum die Leute im Ort so gemein zu mir waren, bis mir klar wurde, dass ich als Preußin in Ottmarshausen nicht willkommen war und hier nichts zu suchen hatte. Nur der Pfarrer hielt zu mir, als ihm aufgefallen war, wie ich gedemütigt wurde, und hat sie auch einmal in einer Ansprache zur »Minna« gemacht in ganz primitiven Worten, denn nur das verstanden die Leute. Er selbst hatte auch seine Probleme mit den Dorfbewohnern und wurde – völlig absurd! – beleidigt, weil er einen kleinen Hund hatte. Im Linksliegenlassen waren die Ottmarshauser meisterhaft, und Adi genoss es. Für ihn – so schien es mir – war es eine Wohltat, wenn es mir psychisch oder gesundheitlich schlecht ging. Dann lebte er auf. Eine Tasse Tee kochte er mir nie, selbst wenn ich schwer krank im Bett liegen musste, auch machte er keinen Handgriff im Haushalt. Aber er lebte auf, wenn ich krank war oder gedemütigt wurde. »Was? Sie gehen in die Kirche, wo Lug und Trug ist!« fragte mich eine Nachbarin. Ich ging weiterhin jeden Sonntag in die Kirche, denn wer nicht betet, dem hilft Gott auch nicht.

Einmal träumte ich, dass ich an einem Nachmittag allein im Wohnzimmer saß und schrie und fürchterlich weinte: »Liebt mich denn niemand auf dieser Welt? Ist denn wirklich kein Mensch für mich da? Was habe ich getan, dass mich niemand liebt? Warum mag mich niemand?« Plötzlich sehe ich eine Gestalt im Herrgottswinkel, fast so groß wie das Wohnzimmer. Es war mein Vater in einem wunderschönen braunen Anzug. Er sagte zu mir: »Kind, hab keine Angst. Wir lieben dich alle!« Ich wollte etwas sagen, aber da war er schon wieder verschwunden. Diese Begegnung mit meinem Vater habe ich wochenlang nicht vergessen.

Ich war Außenseiter, zog mich immer mehr in mich selbst zurück, bastelte viel, begann mit dem Malen und Zeichnen und dekorierte unser Haus, bis es einem Puppenhaus glich. Die Kinder auf der Straße spuckten mich an, weil sie zuhause gehört hatten, dass der Adi eine Preußin geheiratet hatte. Als bekannt wurde, dass mein Schwager Richard auch noch eine Österreicherin geheiratet hatte, war der Skandal in Ottmarshausen perfekt. Jetzt hatten beide Männer des Ortes »Preußinnen« geheiratet, obwohl im ganzen Dorf genug heiratswillige Frauen zur Verfügung gestanden hätten. Was für eine Enttäuschung! Diesen Blödsinn warf mir später auch mein Sohn Bernhard vor – als käme es darauf an, in welchem Kuhdorf man geboren wurde… 
In einem allerdings hatten die Ottmarshauser recht: Richards Gattin Sofie war wirklich keine Frau, von der man sagen konnte, sie sei als Typ besonders toll, auch charakterlich war sie mies, eine richtige »Drutschel«. Ich war froh, dass Richard endlich aus dem Haus war und wir jetzt mehr Platz hatten. Doch statt Ruhe zu finden, ging das Theater weiter, denn Sofie war wirklich die letzte Frau! Immer, wenn sie nach Ottmarshausen zu Besuch kamen, machte sie mir das Leben schwer. Nichts konnte ich ihr recht machen.
In Sofies Augen war ich einfach eine Frau, die unter ihrer Würde war. Sofie selbst war zwar auch nichts Besseres, sie hatte nicht einmal einen Beruf erlernt so wie ich, aber sie sagte zu mir: »Veronika, das musst du dir merken. Bei mir gehen die Menschen erst ab Akademiker an, das andere sind keine Menschen – so wie dein Sohn Bernhard, der hat ja nur lange Haare, aber nichts im Kopf.«

Vor ihrer Hochzeit mussten Richard und Sofie natürlich überlegen, ob sie uns überhaupt einladen konnten, weil wir ja so arme Leute waren. Ich dachte mir, denen werde ich helfen! Ihnen sollten die Augen ausfallen, wie wir daherkommen! Ich schneiderte einen Rock, der wirklich exquisit war. Und es kam, wie es kommen musste: Jetzt wurde bemängelt, dass ich zu elegant aussehe! Ich konnte machen, was ich wollte: Im Grunde war ich für Sofie überhaupt nicht vorhanden, höchstens als Dienstmädchen, aber nicht als adäquate Frau.
Titelmäßig war Sofie eigentlich auch ein Nichts. Doch weil sie meinen Schwager geheiratet hatte, war sie plötzlich die »Frau Ingenieur«. In Österreich muss ja jeder Mensch einen Titel haben, so war sie nun die Frau Ingenieur und ließ sich nur so anreden. Egal, wo und wer, ob beim Einkaufen oder zu Hause, überall hieß es nur im breitesten österreichischen Dialekt: »Ja, Frau Ingenieur, nein Frau Ingenieur«. Ich konnte nie verstehen, dass ein Titel eine so große Rolle spielen sollte, und habe mich immer nur gewundert, wie primitiv diese Menschen sein müssen, die überhaupt kein Innenleben zu haben scheinen, keine Herzensbildung. Schließlich wurden wir doch zur Hochzeit eingeladen.

Bei einem anderen Besuch saßen wir mit rund 25 Personen, bedient von drei Köchinnen und mehreren Dienstmädchen, an ihrer großen Tafel im Wohnzimmer. Sofie saß an einer Stirnseite, ihr Mann auf der gegenüberliegenden, dazwischen Honorationen, Ärzte, Kommerzienräte, mein Mann und ich. Ich saß zwischen einem HNO-Arzt und einem Hofrat. Mit dem Arzt unterhielt ich mich angeregt und nett, bis Sofie plötzlich über die ganze Tafel hinweg rief: »Veronika, ich verbitte dir, dass du dich mit dem Herrn Doktor Doktor unterhältst! Halt deinen Mund!«

Sie kreischte regelrecht, ich verstummte, und mein Mann, feige wie er immer war, sagte und tat nichts! Statt aufzustehen und gegen diese Unverschämtheit zu protestieren, stocherte er stur weiter in seinem Essen herum, als sei nichts geschehen.
Ich entschuldigte mich bei dem Herrn Doktor Doktor. »Entschuldigung, Herr Doktor Doktor«, sagte ich, »dass ich mit Ihnen gesprochen habe, Herr Doktor Doktor. Was ich anscheinend nicht tun darf, Herr Doktor Doktor…«
Weinend stand ich auf und verließ die Tafel, setzte mich draußen auf die Treppe und dachte, jetzt müsste mein Mann kommen und mir beistehen. Es dauerte lange, aber dann kam er schließlich doch. »So, und jetzt gehst du rauf und holst die Koffer«, sagte ich. »Jetzt fahren wir sofort nach Hause!«  
»Nein.«
Er wollte nicht, ich fauchte ihn an: »Dann gehe ich allein! Ich gehe jetzt.«
Schließlich gab er klein bei. Aber wir hatten kein Auto und mussten irgendwie zum Bahnhof kommen. Adi holte unsere Sachen, da kam mein Schwager. »Ihr bleibt da«, herrschte er mich an.
»Ganz bestimmt nicht!« entgegnete ich. Mehr sagte ich nicht, keine Erklärung, keine Widerworte. Schließlich ließ er uns zum Bahnhof bringen.
Zu Hause stellte ich ein für alle mal klar: »Adi«, sagte ich. »Es ist dein Bruder, du kannst ihn besuchen, wann immer du willst. Ich stelle mich nicht zwischen euch. Aber mich könnt ihr vergessen, ich bin nicht mehr anwesend. Jetzt ist wirklich Schluß.«

Nach der Hochzeit war erst mal Funkstille. Doch dann bekam meine Schwägerin ihr erstes Kind. Ich schickte ihr meine schönsten Kindersachen und schrieb ein paar freundliche Zeilen dazu. Aber sie lehnte die Geschenke ab, ihr Kind könnte nicht etwas tragen, was von armen Leuten käme. Auch Frau Gerey, die neben uns ihr Wochenendhaus hatte, behandelte uns wie arme Leute. Als sie später einmal zu uns zu Besuch waren, schenkte ich Sofie die schönsten Alpenveilchen. Und was tat sie? Sie verschenkte sie vor ihrer Abfahrt an die Nachbarn.
Menschlich war ich isoliert, auch mein Mann hatte mich aufgegeben und weggeschmissen. Aus Verzweiflung lief ich von zu Hause fort, als die Kinder drei, vier Jahre alt waren. Mein Nachbar, der alte Herr Gröner, kam mir entgegen und sagte: »Halten Sie‘s gar nicht mehr aus?«
Wie schlimm mein Leben war, wusste schon die ganze Nachbarschaft. »Ja«, sagte ich, »ich halte es nicht mehr aus. Ich muss hier raus!«
»Tun Sie es nicht«, versuchte er mich zu beruhigen, »Ihren Kindern zuliebe. Gehen Sie zu ihnen zurück. Die Kinder brauchen Sie ganz dringend.«

So ging ich auf halbem Weg wieder zurück und habe keine Fluchtversuche mehr unternommen. Leider, muss ich sagen, von heute aus gesehen, hätte ich mir und meiner Gesundheit zuliebe fortlaufen sollen.
Wieder wurde ich magersüchtig, mein Gewicht von 140 Pfund reduzierte sich auf 76 Pfund. Da musste ich wieder wochenlang ins Krankenhaus. Der behandelnde Arzt, Prof. Stöcker, versuchte alles, mich auf die Beine zu kriegen. Auch eine Mandeloperation musste ich über mich ergehen lassen, die mir vorher niemand angekündigt hatte. Ich wurde morgens einfach mit dem Rollstuhl abgeholt, obwohl ich laufen konnte. »Ziehen Sie ein frisches Nachhemd an«, wurde mir gesagt, »wir müssen ins Stationszimmer zu einer Untersuchung.«
Vor dem Stationszimmer stand schon ein Arzt in einer grün-blauen Gummischürze. »Wer ist denn das?« fragte ich.
»Das ist der Hals-Nasen-Ohrenarzt.«
»Will der zu mir?«
»Ja, der will nur nachschauen, wie Ihre Mandeln aussehen.«
Ich wurde sofort nervös und bekam Angst, mehrere Schwestern mussten mich festhalten, ich zitterte am ganzen Körper, mein Kopf musste von zwei Schwestern festgehalten werden. Ich sah schon im Nebenraum die Operationsbestecke liegen.
»Jetzt beruhigen Sie sich doch«, sagte der Arzt. »Ich will Ihnen doch nur in den Hals schauen.«
Ich beruhigte mich, da gab er mir eine Spritze in den Hals. »Sehen Sie, so schnell kann ich eine Frau mundtot machen«, sagte er. Ich wurde in den Sitz gepresst, dann schnitt er nicht, sondern riss mir die Mandeln aus dem Rachen. Ich wurde ohnmächtig. In meinem Bett wachte ich wieder auf, konnte nicht schlucken und nicht sprechen. Zehn Tage musste unsägliche Schmerzen leiden, bekam kaum zu essen und zu trinken, bis ich ihnen in einem Schreiben drohte – ich konnte ja nicht reden – dass ich sie anzeigen würde wegen Körperverletzung und medizinischer Pfuscherei, man hatte nicht die Einwilligung zu dieser Operation von mir eingeholt.
Ich bekam Bananen zu essen, die Schmerzen waren fürchterlich. Ich verfluchte den Arzt, der mir die Bananen verordnet hatte, und wünschte ihm, dass er auch eine Mandel-OP über sich ergehen lassen müsste und anschließend nur Bananen zu essen bekam. Und so geschah es auch. Als der Arzt am eigenen Leib gespürt hatte, dass Bananen nicht das richtige Essen nach Mandeloperationen sind, verschrieb er sie nie wieder.
Später schickte er mir eine Rechnung über 600 Mark, die ich nicht bezahlen konnte. Wir hatten ab nur 160 Mark im Monate – es war ja 1950, wo niemand viel Geld hatte. Ich fuhr zu ihm hin und stellte ihn zur Rede.
»Wir haben Sie privat behandelt«, sagte er.
»Was heißt privat?« entgegnete ich. »Ich habe Sie nicht bestellt. Sie haben mich überfallen. Ich zahle diese Rechnung nicht.«
»Dann teilen wir uns den Betrag«, sagte er – er duzte alle – »und gehen mit dem Geld aufs Oktoberfest.«
Ich ging ohne weitere Kommentare und habe nie wieder etwas von ihm gehört.
Doch gesund war ich noch lange nicht. Im Gegenteil, ich wurde immer kränker. Eines Tages bekam ich wahnsinnige Kiefer- und Zahnschmerzen. Die Ärzte meinten, dass von den Zähnen meine Leiden herrühren könnten und ließen mir mit Ausnahme von vier Zähnen alle ziehen. Ich bekam neue Zähne in den Kiefer eingepflanzt, es dauerte Jahre, bis ich wieder schmerzfrei war und normal essen konnte. Mit einem Trinkhalm konnte ich viele Monate nur flüssige Nahrung zu mir nehmen.

Dann wurden verschiedene Arten von Krebs bei mir diagnostiziert, u.a. auch Bauchspeicheldrüsenkrebs, was sich aber als falsch erwies. Ich hatte all diese Untersuchungen mehr als satt!
Dann bekam ich eines Tages wahnsinnige Brustschmerzen. Dr. Jäger, der Sohn vom Dr. Hämmerle, sagte zu mir: »Mädle, du musst sofort ins Krankenhaus.«
»Aber doch nicht an Heiligabend?« sagte ich, denn es war der 24. Dezember.
»Aber sicher, sofort, das muss sofort geröngt und eventuell operiert werden.«
Ich wurde ins Städtische Krankenhaus am Graben eingewiesen, und es wurde ein ziemlich großer Knoten unter meiner Brust festgestellt.
Ich flehte die Ärzte an: »Bitte nicht die Brust wegmachen! Ich habe zwar mit meinem Mann kaum mehr Kontakt, weil ich ihm zu dünn bin und nicht mehr so schön aussehe, wie ich mal ausgesehen habe. Aber das dürfen Sie mir nicht wegmachen!«
Adi hatte schon gedroht. »Gell, das sage ich dir gleich: Wenn das wegkommt, dann bist du für mich erledigt. Dann brauchst du mit mir überhaupt nicht mehr zu rechnen. An dir ist sowieso nichts dran, dann brauch ich das auch nicht mehr.«

Die Operation wurde gemacht und ich brach in Tränen aus, als ich aus der Narkose aufwachte und den Chefarzt so verstand, dass mir die Brust entfernt worden war. Gott sei dank stellte sich das als ein Missverständnis heraus, er hatte nur den Knoten entfernt. Mein Mann besuchte mich nicht, meine Kinder ebenfalls nicht.

Adi war stocksauer, als ich mit dem Taxi bereits am ersten Feiertag wieder nach Hause kam – offenbar war ich ihm in die Quere gekommen, er hatte sich wohl vorgestellt, die Feiertage mit einer seiner anderen Frauen zu verbringen, und sagte zu mir: »Du bist ja ein Wrack geworden. Ich fass dich nicht mehr an!«
Bei den vielen Operationen und Medikamenten konnte es nicht ausbleiben, dass ich auch eine Medikamentenvergiftung bekam und alles in der Farbe Gelb sah. »Habt ihr jetzt die Wände gelb gestrichen?« fragte ich den Krankenhausarzt, »und habt ihr jetzt gelbe Kittel an?«
»Nein, wieso?«
»Weil ich plötzlich alles gelb sehe.«
Ich wurde entgiftet, trotzdem bekam ich einen Leberschaden, der mir lebenslang zu schaffen machte. Vorerst fühlte ich mich aber wieder gesünder.