Mit den neuen Medien wachsen auch die Angebote zur Biographiearbeit, was sehr zu begrüßen ist, um uns mit unserer Lebensgeschichte zu beschäftigen. „Keosity – Du bist was Du erlebt hast“ wird derzeit in der Basisversion gratis im AppStore von Apple angeboten und wirbt mit dem Slogan:
„Biographien in Buchform zu schreiben war gestern. Mit unserer App hältst Du Deine Lebensgeschichte fest anhand von Fotos, Bildern, Erinnerungsstücken, Bezügen und Beziehungen, Lebensabschnitten, Orten und Zeiträumen.“
Dazu, liebe Entwickler von Keosity, folgende Beobachtung: Derzeit bereite ich meine Kurzkrimis der Jahre 1992-1995 für eine Buchedition vor. Damals schrieb ich die Texte bereits mit Microsoft Word und speicherte sie als .txt-Datei – das war durchaus das gängige Textformat dieser Jahre. Wenn ich heute die .txt-Dateien mit aktuellem Microsoft Word öffne, werden alle Umlaute und Sonderzeichen nicht mehr korrekt angezeigt und ich muss die Texte in mühevoller Kleinarbeit neu bearbeiten. Stellt man sich so eine Produktion für die Ewigkeit vor, wo man Dateien von heute nach 20 Jahren schon nicht mehr korrekt angezeigt bekommt und vermutlich irgendwann gar nicht mehr öffnen kann?
Ich wünsche Euch allen Erfolg der Welt, liebe Keositys, aber wollen wir wetten? In hundert Jahren kann man die Bücher, Biografien, Autobiografien, die heute geschrieben und produziert werden, noch lesen und genießen. Meint Ihr, das könnt Ihr Euren Kunden der App garantieren?
Hinzu kommt: Ein Buch ermöglicht eine Tiefe der Darstellung, von der die anderen Medien nur träumen können, weil unsere Erinnerungen und unser Denkvermögen vielfach mit unserer Sprache und damit Artikulationsfähigkeit verbunden sind. Da sagte schon Goethe zum Thema Bildbetrachung und -interpretation richtig: „Man sieht nur, was man weiß.“
Deshalb, liebe Leute von Keosity: „Biographien in Buchform zu schreiben war gestern“ – die Richtigkeit dieser These müsst Ihr erst noch beweisen! 🙂
(Wie schnell ist neu entwickelte Software und Technik bereits morgen „von gestern“? Bücher dagegen, die man heute noch lesen kann, gibt es schon seit mehr als 500 Jahren.)
Aber Glück auf: Keosity, Ihr seid auf dem richtigen Weg! Eure App kann bestimmt gut zur Vorbereitung für Biographiekurse und Biographiebücher genutzt werden.
Einen lesenswerten Artikel zu Keosity finden Sie auch bei der Stuttgarter Biografin Dr. Claudia Löschner: https://claudia-loeschner.com/2017/10/05/die-app-keosity-praeliminarien-ihrer-biographie/
Siehe auch My Socialbook via Facebook. „Deine Lebensgeschichte in einem ansprechenden Buch in weniger als 90 Sekunden.“
http://www.mysocialbook.com
Sehr geehrter Herr Dr. Mäckler,
als ein Mitgründer von Keosity darf ich mich bei Ihnen melden und mich zuerst einmal für den spannenden und wertschätzenden Artikel „Biographie-App Keosity“ auf Ihrer website bedanken.
Zu Ihrer Kritik an unserem – zugegebernenmaßen etwas flappsigen – Satz „Biographien in Buchform zu schreiben, war gestern“ möchte ich gerne Stellung nehmen: Was die Frage des Speichermediums bettrifft, haben Sie zweifellos Recht, denn niemand weiß, wie lange unsere digitalen Medien überleben werden und ob wir diese Daten ohne Elektrizität werden konservieren können. Worum es uns mit diesem Satz ging – und wir haben das in der Verkürzung wohl nicht verständlich gemacht -, ist die Überwindung der Buchform in ihrer „Linearität“ im Unterschied zur frei anordenbaren Zusammenstellung von einzelnen Erinnerungen mit Keosity. So können alle gesammelten Erinnerungen etwa in Bezug auf einen bestimmten Lebensabschnitt, einen Ort oder eine Person beliebig aus der Gesamtheit an Erinnerungen „herausgezogen“ werden und seperat präsentiert werden. Dafür möchte ich ein Vorbild in Buchform nennen: Philip Roths Erzählung „Mein Leben als Sohn“ ist eine Autobigraphie ausschließlich in Bezug zu einer Person – seinem Vater. Er greift also aus seinem Leben jene Erinnerungen heraus, die sich auf seinen Vater beziehen und schildert sein Leben quasi im „Spiegel“ seiner Vaterbeziehung. Das – natürlich nicht in der literarischen Qualität 😉 – ist mit Keosity per Knopfdruck möglich. Und nur darum ging es uns.
Weil Ihr Hinweis uns verdeutlicht hat, dass wir uns mißverständlich ausgedrückt haben, ist der Satz jetzt verändert: „Biographien in Buchform zu schreiben, ist eine von vielen Möglichkeiten“, lautet er jetzt.
Dafür und für Ihren gesamten Artikel nochmals herzlichen Dank und beste Grüße aus Wien!
Bernhard Schragl