Die wachsende Bewegung der Comic-Biographien hab ich leider erst ziemlich spät mitbekommen. Umso überraschter war ich, als ich den Zeichner Willi Blöß und sein Werk kennenlernte, der seit mehr als zehn Jahren Künstler-Biographien zeichnet und über seine Homepage www.kuenstler-biografien.de vertreibt. Bisher sind 19 Künstler-Biographien von Hieronymus Bosch über Andy Warhol bis Otmar Alt im handlichen Pocket-Format entstanden. Deshalb meine erste Frage an den Zeichner:

Andreas Mäckler: Warum Künstler, Willi?

Der Aachener Zeichner Willi Blöß mit Familie (klicken Sie auf die Fotos, um sie zu vergrößern)

Willi Blöß: Ende 1999 hatte ich die Nase voll von der Werbebranche. Ich dachte, die Jahrtausendwende ist ein gutes Datum, um was Neues anzufangen. Ich hatte ein paar Jahre zuvor als Autor an dem Auftrag zu einer Joseph-Beuys-Comic-Biographie mitgearbeitet und gemerkt, dass ich wohl die seltene Gabe habe, schwierige Themen übersichtlich und knapp darzustellen.
Von vielen Seiten kam Lob. Das tat gut. Und weitere Vorschläge. Und was alle überrascht hat, keine Abmahnung von Eva Beuys. Bei den Künstlern bin ich geblieben, weil ich damals einen Kunstwissenschaftler im Atelier hatte. Mit toller Bibliothek und ganz guten Kontakten.
Als die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig eine Warhol-Ausstellung machte und uns anbot, die Druckkosten zu übernehmen, habe ich 2002 das erste selbstproduzierte Heft der Künstler-Reihe herausgebracht.

AM: Im Elternhaus meiner Kindheit galten Comics noch als Schund, dann entdeckten Popartisten wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein Comics als Kunstform und machten sie zu begehrten Sammlerobjekten. Eine faszinierende Entwicklungsgeschichte, die Comics und ihre Zeichner seitdem erleben. Wie bist Du zum Comic-Zeichnen gekommen? Wer waren Deine Vorbilder?

WB: Ach, Andy und Roy! Die hätten auch mit Königstigern jonglieren können. Aber das hat ja dann dieses andere Duo gemacht. Diese neue Kunst, diese cleveren Geschäftsleute, die alle nicht zeichnen konnten, das war doch der eigentliche Schund. Total krank. Das hat man als Jugendlicher schon ganz klar gesehen. Da waren die Hausfrauenheftchen im Nachttischschränkchen der Eltern ehrlicher. Praline, Wochenend, Tina, Neue Revue…
Mit tollen Witzseiten. Da waren auch die ersten Zeichner, die mich beeindruckten. Einer unterschrieb immer mit einem Kürzel, Bu, oder so. Sollte, glaube ich, Buntschuh heißen. Das war in den 1960-er Jahren. Keine Ahnung, ob Google den schon erfasst hat. Dann gab es noch einen, der signierte immer mit Nobert, ohne r. Buntschuh und Nobert, die haben mich begeistert: sauberer Strich, versaute Phantasie.

Aus der Künstler-Biographie über Andy Warhol, von Willi Blöß

AM: Wie viel Phantasie spielt bei Comic-Biographien eine Rolle? In der klassischen Biographik wird immer wieder die Frage nach Dichtung und Wahrheit diskutiert. Man sagt, Biographie sei Rekonstruktion und daher ein künstliches Gebilde – eben Literatur. Das kann ich aus meiner Arbeit als Biograph nur bestätigen: nicht nur das, was weggelassen wird, zeichnet Lebensgeschichten aus, sondern auch das, was hinzugedichtet wird.

WB: Hinzudichten war nie mein Ansatz. Im Gegenteil. Ich versuche aus der großen, oft ziemlich abstrusen Menge Literatur das herauszufiltern, was belegt ist.
Bei den Bildern versuche ich auch so authentisch wie möglich zu bleiben. Das ist ja das Einzigartige am Comic, dass man Szenen zeigen kann, von denen es keine Fotos gibt.
Manchmal sogar mit Sprechblasen, wenn Dialoge ausgewiesen sind.
Das musste ich mir nämlich auch schon mal anhören, dass das ja gar keine Comics sind, in denen keine Sprechblasen vorkommen.

AM: Sind Biographien nicht ohnehin Rekonstruktion, eine Kunstform, eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit, wie schon Goethe schrieb? Ich war erstaunt, wie realistisch und lebensnah ich Deine Comic-Biographien empfand. Auf der literarischen Ebene kongruent zu anderen verfügbaren Biographien, sah ich die Zeichnungen wie eine weitere Dimension – auf ihre Weise genauso realistisch wie die literarische.
Gibt es Vorbilder für Dich, was Comic-Biographien betrifft? Alt ist dieses Genre doch noch nicht?

WB: Hui, erst einmal Danke für das Lob. Ich versuche die Künstler wirklich so lebensnah wie möglich darzustellen, weil ich mich auch fachlich verbunden fühle. Die schwierigen Phasen von z. B. van Gogh oder Niki de Saint Phalle sind doch für jeden Grafiker gut nachzuvollziehen. Geldsorgen, Desinteresse, der Druck seitens der Familie… das Los der meisten Kreativen.
Vorbilder auf dem Gebiet der Comic-Biographien hatte ich, als ich anfing, nicht. Da gab es auch noch nicht viel. Ich erinnerte mich an eine Taschenbuch-Serie mit Einstein, Marx, oder Freud. Viele Illustrationen, Unmengen Text. In meinen Augen kein Comic. Da habe ich mich dran orientiert, um es so nicht zu machen.
Begeistert war ich dann von dem investigativen Stil des Joe Sacco. Noch bevor er mit seinen Bosnien-Comics zum Star wurde, hat er eine Heftreihe gemacht, darin erzählt er die Story einer Frau, die in Kanada als Stripperin arbeitet. Das fand ich ganz toll umgesetzt. Ganz ruhig und unheimlich glaubwürdig. Das Heft, Yahoo Nr.6, gehört heute noch zu meinen Top Ten.

AM: Comics gehören heute zur Grundlektüre von Millionen Menschen. Da ist es plausibel, dass sich in dem Medium auch Lebensgeschichten spiegeln. Kannst Du Dir vorstellen, Privatbiographien zu zeichnen, also Comic-Biographien von Leuten, die nicht für den (Buch-)Markt hergestellt werden? In der Biographik gibt es den Trend zu Privatbiographien, der von sogenannten Personal Historians – Auftragsbiographen bzw. Ghostwriter / Biographen bedient wird, wie sie sich z.B. im Biographiezentrum vereinigt haben. Mein Leben als Comic-Biographie…

WB: Vorstellen kann ich mir viel. Nur deckt sich das erfahrungsgemäß selten mit den Vorstellungen anderer. Im Moment schaffe ich eine Comic-Biografie pro Jahr.
Neulich meinte jemand, seine Tochter hätte eine meiner Comic-Seiten genommen und durchgepaust. In einer halben Stunden wäre sie fertig gewesen. Er hätte nicht gedacht, dass das Zeichnen so schnell geht. Da würde ich ja 16 Seiten am Tag schaffen. Warum ich denn nicht jede Woche eine Biografie rausbringe.
Wenn ich eine Anfrage bekomme, was etwa 6 mal im Jahr geschieht, lehne ich generell nicht ab. Ich sage allerdings, wie lange die Herstellung dauern wird. Unter drei Monaten geht gar nichts. Eher vier bis fünf. Und wenn der Titel nicht in meine Künstler-Reihe passt, ist das für mich ein großes Risiko. Das sind dann drei bis fünf Monate, die ich mich nicht um die Reihe kümmern kann. Eigentlich tödlich im Verlagswesen, wo 2 mal im Jahr neue Titel präsentiert werden müssen. Das Projekt müsste also entsprechend bezahlt sein.
Meistens ist jedoch gar keine Bezahlung vorgesehen. Man ist der Meinung, mir mit dem Titelvorschlag einen Gefallen zu tun. Damit ich endlich mal was Richtiges im Programm habe, das mir viele Folgeaufträge bescheren wird, an denen ich mich dann dumm und dämlich verdiene.

AM: Die Attitüde kenne ich… Doch es gibt durchaus Kunden, die angemessen für ihre Privatbiographien zahlen, denn der Arbeitsaufwand ist groß – 250 Arbeitsstunden für ein 100-seitiges Buch, basierend auf Interviews, sind normal. Eine Biographie ist wie ein bewegtes Lebensportrait, und die Kunst der Comics kann dazu ihre Qualitäten beitragen. Welche würdest Du hervorheben, die Comic-Biographien von Film- und literarischen Biographien abhebt?

WB: Beim Comic macht die Grafik den Reiz aus. Der Stil des Zeichners. Das ist schliesslich eine eigene Kunstform. So wie der Film eine ist. Oder die Literatur.
In allen drei Bereichen will man auch gut unterhalten werden. Dazu gehören interessante Protagonisten, Schauplätze und Ereignisse. Mit der grafischen Umsetzung sorgst du für völlig neue Einblicke. Zusätzlich setze ich mich noch mit dem Stil des behandelten Künstlers auseinander und versuche wenn möglich, aber nicht zwingend, davon etwas in die Zeichnungen einfließen zu lassen.
Manchmal schlüpfe ich regelrecht in die Rolle des Helden. Ich wähle eine Situation und stelle mir vor, wie z.B. Keith Haring das jetzt gezeichnet hätte.
Oder man greift den Stil einer Epoche auf. Bei Warhol etwa, da wollte ich etwas im 1960er-Jahre Stil und bin auf den Zeichner Mort Drucker aus der Zeitschrift MAD gestoßen. Das habe ich mir damals, 2001, noch nicht zugetraut, habe aber eine Zeichnerin gefunden, Annette Schulze-Kremer, die das sehr gut hinbekommen hat.

Aus „Keith Haring“, von Willi Blöß.

AM: Glaubst Du an Unsterblichkeit (zumindest in ihrem Werk), wie es viele Künstler tun?

WB: Weiß ich nicht, ist mir zu philosophisch die Frage. Woran ich glaube ist, dass es exemplarische Lebensansätze gibt, die einem helfen können, Fehler zu vermeiden oder Informationen liefern.
Die Künstler, mit denen ich mich beschäftigt habe, waren alle ziemliche Fanatiker und glücklich war wohl keiner von ihnen. Warum soll ich das verherrlichen? Klar, die Bilder sind klasse, aber ich würde mich freuen, wenn man sich nach der Lektüre die Frage stellt, ob es das wert war, dafür so ein extremes Leben geführt zu haben.

AM: Glaubst Du, dass Künstler besonders anfällig dafür sind, ihr Schaffen und Leben zu überhöhen – und dann umso frustrierter sind, wenn sie keinen Erfolg haben? Dass jemand bedauert hat, keine Karriere in miesen Jobs gemacht zu haben, habe ich noch nie gehört.

WB: Ich glaube, Freud hat schon früh darauf hingewiesen, dass man nicht aus Spass Künstler wird, sondern weil irgendwas nicht stimmt. Damit hat er die richtig berühmten gemeint, die wirklich alles versuchen, um wahrgenommen zu werden. Das ist schon witzig und unglaublich, deshalb macht mir meine Reihe auch so viel Spass.
Daneben gibt es aber die vielen, vielen alltäglichen Künstler, zu denen ich mich als Zeichner auch rechne. Ich muss nicht berühmt werden. Ich sehe das wie ein Handwerk und versuche gute Arbeit abzuliefern. Wie mein Vater. Der war Schreiner und hat immer so lange gehobelt und geschnitzt, bis er zufrieden war. Er, nicht der Kunde.

AM: Eine realistische Einstellung, die ich als Autor teile. Hinzu kommt, dass wir Dienstleister in einer gigantischen Medienindustrie sind; viele Künstler und Autoren erkennen das gar nicht und glauben, allein in der Welt zu sein. Ruhm ist aber immer ein Phänomen, das von anderen gemacht wird, nicht von den Künstlern oder Autoren selbst. Man kann nur nachhelfen mit einem guten Werk. Zudem ist Ruhm in der Medienwelt ein wichtiges Marketinginstrument, Konkurrenten zu verdrängen. Hollywood mit seiner Star-Maschinerie, die passende Stars macht und wieder vergessen lässt, ist dafür ein Beispiel; oder nehmen wir „Deutschland sucht den Superstar“.
Meine Frage, weil Du es angesprochen hast: Was macht Dir am meisten Spaß an Deiner Reihe der Comic-Biographien von Künstlern?

WB: Erstmal das Eintauchen in ein komplettes Leben mit jeder neuen Biografie. Das ist jedes Mal anders. Politik, Moral, Mode, Architektur, die persönlichen Lebensumstände des Helden. Und dann die Umsetzung. Erstens der Text, herausgefiltert aus vielen hundert Seiten Literatur, so knapp wie möglich. Dann die Bildideen. Von vielen wichtigen Ereignissen gibt es kein Bildmaterial. Da bin ich oft der Erste, der das visualisiert.
Das macht eigentlich am meisten Spaß dieses Gefühl, bei der Arbeit im Moment wahrscheinlich der Einzigste in Deutschland zu sein, der so etwas gerade macht.
Dann noch was ganz privates: riesigen Spaß macht es mir, einmal im Jahr meine Tim und Struppi-Alben im Zimmer zu verteilen, etwa 23 Stück, daneben dann die Asterix-Alben, ca. 25, und dann meine Titel, gerade in Arbeit: Band 20 und 21. Dieses Arrangement kann ich mir stundenlang anschauen. Von Simenon gibt es ein Foto, da sitzt er auf dem Boden inmitten seiner Bücher. Total stolz.

Besuchen Sie Willi Blöß und sein Werk auf www.kuenstler-biografien.de

Willi Blöß, meine Tochter Anelia auf dem Arm und ich beim Comicfestival München 2011.