Der Autor Hermann Ploppa hat am 27. Februar 2020 auf seiner Facebook-Seite zum Erscheinen des Schwarzbuchs Wikipedia Worte gefunden, die mir aus dem Herzen sprechen: „Die Autoren vertreten durchaus sehr unterschiedliche Standpunkte, so dass hier wirklich einmal demokratischer Pluralismus praktiziert wird.“

Das erinnert mich an meine Anfänge in Marburg/Lahn, wo ich als Student meine ersten drei Bücher in den Fachbibliotheken der Uni erarbeitet habe: Was ist Kunst …?, Was ist Liebe …?, Was ist der Mensch …? Der Dumont Buchverlag griff zu und edierte die Sammelwerke ab 1987 in zahlreichen Auflagen. Als Untertitel für meine sorgfältig belegten Zitatensammlungen, die streng der Formel „Kunst ist …“, „Liebe ist …“, „Der Mensch ist …“ folgen mussten und von mir nach thematisch-dramaturgischen Gesichtspunkten angeordnet worden waren, wählten wir: „XXXX Zitate geben XXXX Antworten“, um zu zeigen, dass es zu diesen Begriffen potenziell genauso viele Definitionen wie Definierer gibt – Autoren, Philosophen, Wissenschaftler, Politiker, Prominente etc. seit der Antike bis zur Gegenwart – also ein multikausaler Erklärungsversuch.

Gibt man heute bei Google „Andreas Mäckler“ ein, öffnet sich auf der rechten Seite ein Fenster mit der Info: „Andreas Mäckler Kunsthistoriker“. Woher hat Google diese Info? Von Wikipedia, da steht: „Andreas Mäckler (* 11. Oktober 1958 in Karlsruhe) ist ein deutscher Kunsthistoriker, Autor und Biograph.“ Linguisten erkennen sofort das Bestimmungsurteil – „ist“ – in diesem Satz. Doch wenn ich auf meine mehr als 30-jährige Berufslaufbahn zurückblicke, muss festgestellt werden, dass ich nach dem Studium nur drei Jahre als Kunsthistoriker (Kunstbuchlektor) gearbeitet habe. Ist Googles Wikipedia-Info also richtig im Sinne „faktisch zutreffend“?

Im Jahr 1998 erhielt ich den Auftrag, das Drehbuch für eine Filmdokumentation über Brockhaus zu schreiben, und beschäftige mich mit der Tradition der Enzyklopädistik. Seit meiner Jugend hatte ich fasziniert stundenlang in Lexika und enzyklopädischen Sammelwerken à la „Das Wissen der Welt“ geschmökert – auch meine Zitatensammlungen hatten lexikalische Ansätze. Nun konnte ich mit den Machern solcher Werke sprechen, u. a. mit Hubertus Brockhaus und der Chefredakteurin in der Leipziger Brockhaus-Zentrale. Wir sprachen über Qualitätskriterien mit dem Tenor, dass Information nicht gleich Wissen ist und es daher einer Expertokratie von Fachleuten bedarf, die jeden Artikel vor der Publikation mehrfach sorgfältig prüfen …

… Und dann kam Wikipedia. Schnell erkannte ich, dass nahezu jeder Artikel in den Fachbereichen, in denen ich mich auskannte, fehlerhaft war, und ich konnte mir gut vorstellen, dass in all den anderen Millionen Artikeln ebenso Fehler stecken. Dann wurde ich auf die Umgangsformen in den Artikel-Diskussionen aufmerksam, und da lernte ich zum ersten Mal in meinem Leben als Leser und Publizist das Grausen des Pöbels kennen. Deshalb habe ich diese Dokumentation mit 25 weiteren Autoren ediert. Schon vor Erscheinen warf das Projekt Wellen im Internet auf, erste Klagen sind angedroht: Es wird also spannend werden. Und das Buch ist sehr spannend und gleichzeitig wissenschaftlich solide belegt, das können Sie mir glauben!

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