Lesen Sie hier die Fortsetzung meines musikalisch-biographischen Gesprächs mit dem Kölner Musiker Uwe Cremer von Teil I:

AM: Im Netz gibt es eine sehr gute, informative Prog-Enzyklopädie: www.babyblaue-seiten.de. Darin schreibt Jürgen Gallitz Duckar über Deine zweite CD „Elctronic Sheep“: „Gleich zu Beginn der CD, in ‚String Theorie’, ist ordentlich der große KS (Klaus Schulze) drin. Elegische Streicher, zirpender Moog, Sequencer und ein Schlagzeug, das aufs erste Hören glatt live gespielt klingt. Bei solchem Nachwuchs muß KLAUS SCHULZE nicht bange um sein Erbe sein. In Frankreich schwebt wohl ‚Elfenstaub’ umher, denn ich schwöre, das muß ein unentdeckter JEAN-MICHEL JARRE Song aus den späten 70ern sein. Nachdem die Spülmaschine einen von den Elfen zurück in die Realität der Küche geholt hat, widme ich mich ausgiebig im Lieblingssessel einer ‚Traumphase’. Dort grüßt mich MICHAEL ROTHER. Schwebend leicht wie es zum Titel passt, mit einer wunderschön leichten Melodie, herrlich unterlegt mit einer alten scheppernden Drum-Machine.

Beim Tagträumen drifte ich regelmäßig ins Weltall, lässt sich bei ’nem Science-Fiction-Liebhaber wie mir nicht vermeiden. Heute lande ich auf ‚Theta Null’ und….huch…..bin anscheinend in einem neuen John-Carpenter-Movie angekommen. ‚The Fog’, ‚Halloween’, ‚Escape from New York’, all diese mystisch, geheimnisvoll, leicht rhythmisch spannenden Soundtrackmusiken kommen mir sofort in den Sinn bei diesem Stück. Gänsehaut total! Im weiteren Verlauf sind’s aber TANGERINE DREAM in ihrer Mitt-70er Hochphase, die hier Pate standen, bevor nach etwas über 13 Minuten die Carpenter-Klänge wieder zurückkommen. Auch hier gibt es extrem gut programmiertes Schlagzeug. Man merkt, dass Uwe Cremer davon ’ne Menge versteht, im Gegensatz zu so manchem Electronic-Kollegen, bei dem die Beats oft sehr nach Rhythmus-Alibi‚ weil es halt sein muss’ klingen.“

Siehe hier: http://www.babyblaue-seiten.de/index.php?albumId=7488&content=review

http://www.babyblaue-seiten.de/index.php?albumId=9590&content=review

Steht die Technik bei Deiner Musik im Vordergrund?

UC: Hm. Das ist ein wenig so, als würde ein Flötenspieler gefragt, ob die Flöte bei ihm im Vordergrund steht, denn im Grunde ist die Technik ja mein Instrument. Ich formuliere die Frage zunächst mal um in ›Welche Rolle spielt die Technik in deiner Musik?‹

Meine Antwort lautet: Die Rolle ist gigantisch. Man muss sich vorstellen, sämtliche Klänge bei meiner Musik werden elektronisch erzeugt oder, wie bei der Gitarre, elektronisch verstärkt und verfremdet. Der Computer ist Aufnahmegerät, Synthesizer und Mischpult zugleich. Ohne Technik wäre meine Musik also gar nicht möglich. Das darf aber nicht so aufgefasst werden, dass der Computer per Knopfdruck für mich die Musik schreibt. Das ist eine ganz andere Geschichte. Und hier komme ich deiner eigentlichen Frage näher. Die Tatsache, dass Klänge elektronisch anstatt durch schwingenden Darm oder Stahlsaiten erzeugt werden, bedeutet nur, dass man ein anderes Instrument benutzt und nicht, dass die Technik die Musik beherrscht. So wie ich vom Klang einer guten akustischen Gitarre zu einem Lied angeregt werden kann, kann das natürlich auch durch den Sound eines Synthesizers passieren. Möchte ich den Klang eines akustischen Instruments ändern, so ändere ich bei einer Gitarre z. B. die Anschlagtechnik, ich dämpfe die Saiten ab oder schlage näher am Hals oder Steg an. Bei elektronischer Musik erreiche ich Klangverfärbungen durch diverse Filter, aber spielen muss ich den Synthie immer noch selbst. Sämtliche technischen Tricks, die ich anwende, dienen der Komposition, dem Gesamteindruck, und die Komposition steht ganz klar im Vordergrund. Die Technik ist das Instrument, auf dem ich spiele, das mich inspiriert, aber sie schreibt meine Musik nicht.

 AM: Ja, die Frage war etwas ungeschickt, aber dumme Fragen haben auch ihr Gutes, wie man an Deiner Antwort sehen kann, Uwe. Eine ähnliche Frage wurde übrigens auch Pink Floyd gestellt (auf der DVD Pink Floyd Live at Pompeii. Directors Cut). Waters und Gilmour wiesen darauf hin, dass jeder ihr Equipment kaufen, aber nicht so wie sie damit spielen könne.

Beim Hören Deiner Musik über den Kopfhörer fiel mir auf, wie subtil Du mit beiden Seiten rechts und links arbeitest, und damit auch mit unserer rechten und linken Gehirnhälfte. Setzt man den Kopfhörer verkehrt herum auf, empfand ich ein geradezu unangenehmes Ungleichgewicht der Komposition, die mich förmlich zwang, den Kopfhörer wieder richtig herum aufzusetzen. Dieses Phänomen ist mir vorher nie so stark aufgefallen, da viele Bands ihre Instrumente eher gleichförmig mischen.

UC: Du hast recht, ich nutze gerne die ganze Breite des Stereopanoramas aus. Ich schiebe kleine Soundschnipsel immer wieder hin und her, bis ich finde, dass sie die größtmögliche Wirkung haben. Oder ich lasse Instrumente rhythmisch von einer Seite zur anderen und wieder zurückwandern, wie die percussionartige Orgel im Stück ›String Theory‹ auf meiner CD ›Elektronic Sheep‹. In Kombination mit den anderen Soundeffekten, die sich über das ganze Panorama verteilen, ist das sehr wirkungsvoll.

An solchen Spielereien habe ich wirklich Spaß, sie sind ein Teil meiner Musik und halten beim Hören die Spannung aufrecht. Ich bin auch immer wieder aufs Neue begeistert von Aufnahmen mit Q-Sound, wie z. B. Pink Floyds ›Final Cut‹ oder Roger Waters ›Amused to Death‹. Wenn man hier die optimale Hörposition eingenommen hat, tritt der Sound weit aus den Boxen heraus und scheint aus Richtungen zu kommen, die man bei einer Stereoanlage gar nicht für möglich hält. Das finde ich toll. Und man darf nicht vergessen: Da ich Instrumentalmusik schreibe, habe ich keinen Sänger, der die Aufmerksamkeit des Hörers auf sich zieht. Das muss ich mit anderen Mitteln erreichen und neben starken Melodien und Sounds sind es gerade solche Details, die die Musik auch nach mehrfachem Hören noch interessant machen.

AM: Mir kommt der Begriff „visuelle Musik“ in den Sinn, eine Qualität, die nicht jede Musik per se vermittelt. Beispielsweise Rockmusik: Jeder von uns verbindet mit einzelnen Songs eigene Erinnerungen und Empfindungen, doch kaum Bilder oder Filme, die mit der Musik selbst zu tun haben. Beispielsweise Songs meiner früheren Lieblingsbands wie Jethro Tull oder Deep Purple berühren mich heute noch, doch „Black Night“ oder „Aqualung“ rufen – sieht man von den Texten ab – kaum innere Bilder in mir hervor, die aus der Musik kommen, sondern „nur“ Erinnerungen an bestimmte Momente, in denen ich die Songs gehört habe. „Hey tonight“ von CCR beispielsweise war einer der Songs, zu dem ich im Internat heimlich auf der Toilette „Beat tanzen“ geübt habe, das war 1970, und das sehe ich noch deutlich in meinem inneren Erinnerungs-Kino, aber keine Filme, die durch die Songs selbst inspiriert worden sind. Das ist bei Deiner Musik anders. Manche Stücke rufen Science- fiction-Szenen hervor, kosmische Reisen, andere lassen Landschaften in meinem inneren Kino ablaufen.

UC: Freut mich enorm, dass meine Musik so auf dich wirkt. Genau da möchte ich mit ihr auch hin. Der Hörer soll sich zurücklehnen, einfach abwarten, was in ihm passiert, und dann den Moment genießen. Das hat etwas Meditatives. Für mich ist das die schönste Art von Musik, auch wenn es nicht immer leicht ist, sich darauf einzulassen.

Ich habe mich immer gefragt, was das Kino im Kopf in Gang setzt? Ist es die Länge der Tracks? Aber Kraftwerks Kometenmelodie II oder Jean Michel Jarres Oxygen IV sind keine Longtracks und funktionieren genauso. Oder liegt es daran, dass die Musik oft nur einen Soundteppich ausrollt, den der Hörer ergänzt? Ich weiß es wirklich nicht.

Dass meine Musik zu Bildern anregt, zeigt auch folgende Geschichte. Mein Cousin ist seit Jahren in der Super-8-Filmszene aktiv. Er hat bei seinen letzten Filmen auf Lieder meiner CDs zurückgegriffen, weil diese, wie er sagt, die Bilder stark unterstreichen. Für seinen einstündigen Costa-Rica-Film habe ich sogar eigens die Musik geschrieben. Daraus hat sich dann ein weiteres interessantes Projekt entwickelt. Ich bekam eine Arbeitsversion eines Films von einem Super-8-Filmkollegen meines Cousins: ein märchenhafter Film mit Drachen und Schwertern, in dem es um Liebe und Rache geht. Der Film wurde wirklich komplett analog gedreht. Die Figur für den Drachen wurde in Handarbeit erstellt, die Bewegungen des Drachen in Stop-Motion-Technik aufgenommen. Völlig retro! Man gab mir eine digitalisierte Version des Films, die mich zu einem Lied inspirieren sollte. Ich habe ein wirklich tolles Stück geschrieben. Auf der Basis meines Liedes soll der Film nun endgültig gedreht werden.

AM: „Die Welt ist Klang“ nannte Joachim-Ernst Berendt sein berühmtes Musikbuch über die Welt des Hörbaren. Für viele Musiker bedeutet die Musik Leben, die adäquate Lebensform, und für Musikfans erscheint Musik als Lebensform, die sie gern führen würden, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht führen können. Die Musik hat sicher eine zentrale Bedeutung im Leben. Hast Du eine Idee, wie die Musik der Zukunft klingen wird, beispielsweise in 50 oder 100 Jahren? Die elektronische Musik ist ja unabdingbar mit unserer Zeit und deren technischen Entwicklung verbunden. Gleichwohl erscheinen mir musikalische Formen eher zeitlos zu sein, als lägen sie in der menschlichen Seele wie Ur-Noten und Ur-Melodien verborgen, die Musiker dann – dem Zeitgeist entsprechend – zum Klingen bringen.

UC: Da bin ich wirklich überfragt. Hättest Du gedacht, als in den 80-ern ›Rappers Delight‹ erschien, dass diese Musikrichtung 20-30 Jahre später noch so dominant sein würde? Oder hätte man in den frühen 70-ern eine Vorstellung über die elektronische Musik im Jahr 2011 entwickeln können? Ich glaube nicht. In unserer heutigen Zeit gefällt mir, dass so viele Musikrichtungen und Stile nebeneinander existieren und sich gegenseitig beeinflussen. Musikrichtungen wie Rock’n Roll oder Psychedelia scheinen nicht auszusterben, sondern haben weiterhin Einfluss auf die Gegenwart. Junge Bands, die sich immer noch auf CAN oder SYD BARRETT beziehen, bestehen neben solchen, deren Stil ich nicht einmal vom Namen her kenne. Vielleicht wird uns ein Großteil unserer Musik erhalten bleiben und mit neuen Stilen zu wieder neuen Formen verschmelzen.

Ich schaue lieber in die nahe Zukunft und was mit meiner Musik passiert. Ich habe gerade den Mix für mein drittes Album beendet. Diese Platte wird wieder gitarrenbetonter als die letzte. Der musikalische Bogen ist weit gespannt – er reicht von den frühen Ash Ra Tempel über die Berliner Schule, Spacerock bis hin zum Gothik. Es ist aber alles typisch Level Pi und kommt als geschlossenes Ganzes daher. Das Konzept und der Titel dieses Albums ist die ›Dunkelstunde‹, das dürfte dich als Biografen interessieren. Eine Kundin meiner Frau Claudia, die ja als Biografin arbeitet, hat ihr von den ›Dunkelstunden‹ erzählt. In Breslau löschte man im Laufe des Abends die Lampen, um Petroleum zu sparen. Dann unterhielt man sich im Schein der Straßenlaternen. Diese Zeit nannte man Dunkelstunde. Ich habe mich gefragt, wie eine Dunkelstunde heute aussehen würde. Worüber würde man nachdenken, worüber sich unterhalten? Würde man in die Sterne schauen und von Raumschiffen träumen? Oder nur über seinen Problemen brüten? Die einzelnen Lieder auf meiner neuen Platte sind für mich verschiedenen Geschichten einer modernen Dunkelstunde.

Wenn alles gut geht, wird dieses Jahr auch meine Gemeinschaftsproduktion ›Audio Cologne‹ mit meinem Kumpel Dave Pearson, der als ComputerChemist Musik macht, fertig. Mittlerweile haben wir einen Drummer, Zsolt Galantai aus Ungarn. Und wenn mein Freund, der schwedische Filmmusiker Thomas Rydell, die Zeit findet, werden wir ebenfalls dieses Jahr unsere gemeinsame CD herausbringen. Aber das kann sich auch noch etwas verzögern, da Thomas sehr eingespannt ist.

AM: Super, Uwe: Dann verweise ich mit vielem Dank gern auf Deine Homepage, wo weitere Infos zu finden sind. www.level-pi.de