Wer in meinen Biographie-Blog öfters hineinschaut, erkennt bei den Buch-Neuvorstellungen vielleicht eine Tendenz zu Musiker-Biographien. Das ist nicht zufällig. Seit meiner frühen Jugend habe ich drei Leidenschaften – neben den Frauen 😉 : Rockmusik, Malerei und Literatur. Ich klampfte als Pennäler auf einer geliehenen Gibson-E-Gitarre und träumte, Rockstar zu werden. Ohne Erfolg. Dann wollte ich Künstler werden, Maler und Grafiker – mit bescheidenem Erfolg. Immerhin verdiente ich mit süßlichen Postkarten- und Kalenderbildchen, die ich auf Floh- und Weihnachtsmärkten verkaufte, etwas Geld, um mein Studium der Kunstgeschichte und die anschließende Promotionszeit mitzufinanzieren. Dann war auch diese Phase zu Ende. Geblieben ist die Leidenschaft des Schreiben, die ich bis heute professionell betreibe.

Das ist der Grund, warum Sie jetzt ein längeres Gespräch über Leben und Musik mit dem Kölner Musiker Uwe Cremer lesen können – mich begeistert seine Musik, die ich am liebsten auf langen Autofahrten höre. Eine wunderbare Mischung all der Heroen, die ich seit meiner Jugend liebe: Pink Floyd, Klaus Schulze, Tangerine Dream, Krautrock – selbst Hendrix taucht hin und wieder kurz in Uwe Cremers Musik auf (zumindest meine ich Jimi zu hören). Deshalb meine erste Frage an ihn:

Andreas Mäckler: Wie empfindest Du solche Vergleiche und Umschreibungen Deiner Musik mit berühmten Musikern und Gruppen?

 Uwe Cremer: Du startest gleich mit einer ziemlich komplexen Frage. Die schnelle Antwort lautet: Ich freue mich über solche Vergleiche und finde es interessant, welche Musiker aus meiner Musik herausgehört werden. Dabei sind es bei Weitem nicht immer die Musiker, die ich zu meinen Einflüssen zählen würde. Du nennst z. B. Jimi Hendrix. Während meiner ganzen Jugend konnte ich mit seiner Musik nichts anfangen. Irgendwann habe ich mir dann (ich war schon um die 30) seine erste Platte besorgt und erst da habe ich an seiner Musik Gefallen gefunden. Das große Musikerlebnis ist er für mich jedoch nicht. Ich finde, an diesem Beispiel kann man sehen, dass zum Musikhören immer zwei gehören: Der, der die Musik schreibt, und derjenige, der sie hört. Es hängt anscheinend nicht nur von meinem Background, sondern auch vom musikalischen Hintergrund des Zuhörers ab, welche berühmten Namen er heraushört.

AM: Gute Beobachtung! Ich glaube auch, wir hören, was wir hören wollen, weil es uns an etwas erinnert, das in uns selbst liegt, zumeist an frühere Zeiten und Lebensgefühle.

UC: Um nun aber etwas genauer zu erklären, warum ich den Vergleich mit großen Bands der 70-er Jahre erfreulich finde, muss ich etwas weiter ausholen. Dazu will ich zuerst etwas über meinen musikalischen Hintergrund erzählen.

Ich gehörte schon immer zu den Leuten, die mit der typischen Radiomusik nichts anfangen konnten. Das ist nicht überheblich gemeint. Ganz im Gegenteil. Im Alter von 12 oder 13 Jahren war das eher ein Grund, dass man sich ausgeschlossen fühlen konnte, wenn z. B. morgens im Bus die Kumpels über die Charts diskutierten und man einfach nicht mitreden konnte, weil einen deren Gruppen überhaupt nicht interessierten.

Das erste Album, das ich mir kaufte, war Kraftwerks ›Menschmaschine‹, dann ging es weiter mit Alan Parsons ›Tales of Mystery and Imagination‹ und sehr schnell landete ich bei Eloy, Pink Floyd, Camel, Klaus Schulze, Tangerine Dream. Da gab es keine große Schnittmenge mit dem Freundeskreis, aber für mich bedeuteten diese Gruppen die Welt. Auch wenn ich Spaß an anderen, sehr gegensätzlichen Musikrichtungen wie Heavy Metal und Folk/Liedermacher hatte, an Pink Floyd, Eloy oder Klaus Schulze oder den Krautrockern kam nichts heran. Was an dieser Musik so faszinierend ist, kann ich nicht auf den Punkt bringen. Es ist einfach so, dass sie mir mitten ins Herz geht. Und hier liegt wohl auch der Nährboden meiner Inspiration, wenn ich selber komponiere. Das geschieht nicht bewusst. Ein bestimmter Gitarrensound, ein Synthesizerklang z.B. löst dieses alte Gefühl in mir aus und dann fügt sich eins zum anderen bis zur ersten Rohfassung. Dann geht die Arbeit an Struktur und Details los.

AM: Interessant! Auch ich könnte meine Biographie nach Platten gliedern, die ich seit meiner Jugend gekauft habe – am Anfang gegen den Willen meiner Eltern und Erzieher im Internat der frühen 70-er Jahre, die gegen diese „Beat- und Negermusik“ wetterten! Weil mein Taschengeld knapp gehalten wurde, konnte ich mir zunächst nur Singles kaufen: von CCR, Deep Purple, Hendrix, Grand Funk Railroad. Um meinem Vater einen Gefallen zu tun und „seiner“ Klassik zu huldigen, wünschte ich mir zu Weihnachten „Pictures at an Exhibition“ von ELP. Die Platte bekam ich aber nicht, nachdem mein Vater sich im Plattenladen den Anfang angehört hatte. Meine erste selbstgekaufte LP war „Relics“ von Pink Floyd. Diese Kompilation der frühen Songs gab es für 10 Mark, was viel Geld für mich damals war. Als unsere Erzieherin im Internat den Song „Bike“ mit dem geloopten Gänsegeschnatter am Ende hörte, nahm sie schimpfend die LP vom Plattenteller und zerbrach sie vor unseren Augen mit bloßen Händen! Das war wie die Zerstörung eines Heiligtums.

UC: Die Platte zerstört? Das nenne ich eine heftige Reaktion! Ich frage mich, wovor die Erwachsenen damals solche Angst hatten, dass sie so stark auf Musik und die Jugend der 60er/70er reagierten. Freddy Quinn hatte sogar ein Lied (›Wir‹), in dem er auf die Gammler, die ›in Parks und Gassen herumlungern‹ schimpft. Da hatte ich es wesentlich leichter. Meine Eltern konnten Liedern von Kraftwerk oder Pink Floyd sogar etwas abgewinnen. Auf Motörhead reagierten sie allerdings eher ablehnend 😉 .

Aber zurück zu meiner musikalischen Biographie. Eine Sache muss ich unbedingt noch erwähnen: Auch wenn es bisher keiner bemerkt hat: Ich hörte Jahre lang fast ausschließlich Gothik. Anscheinend war ich mit Anfang Zwanzig von meiner epischen Musik etwas übersättigt, suchte etwas anderes und fand z.B. die ›Sisters of Mercy‹, ›Bauhaus‹ oder ›Fields of the Nephilim‹. Viele Jahre (Mitte der 80er bis Anfang der 90er) lebte ich von dem Tandem Gothik – Pink Floyd. Zwischendurch kamen zwar immer wieder ein paar von den alten Schätzen auf den Plattenteller, aber gemessen an der Zeit, die ich für Goth und Pink Floyd hatte, war das nichts.

Anfang der 90-er verlor ich dann nach und nach das Interesse am Goth, die neuen Gruppen trafen meinen Geschmack nicht mehr. Das war die Zeit, in der ich den Krautrock wiederentdeckte. Da diese einst verpönte Musikrichtung gerade ein Revival erlebte, gab es ein gutes Angebot auf dem CD-Markt. Ich war musikalisch wieder dort, wo ich angefangen hatte, nur hatte ich diesmal mehr Geld und mehr Auswahl.

 In dieser Zeit fing ich auch an, eigene Musik zu schreiben und aufzunehmen. Je mehr ich spielte, desto mehr merkte ich, dass ich genau die Musik machte, die schon lange nicht mehr geschrieben wurde, die mich aber so sehr anspricht. Das wurde schließlich eine Art Konzept oder Motto für meine Musik. Deswegen: Wenn sich jemand bei meiner Musik an die großen Namen der 70-er erinnert fühlt, ist das kein Zufall. Hier bin ich musikalisch zu Hause, sind meine Wurzeln und meine Inspiration. Falls jemand in meinen Lieder Helden wiederfindet, die ich nicht kenne, freut mich das ebenso, heißt es doch, dass ich eine Saite in ihm zum Klingen gebracht habe. Und das ist ein großes Lob für Musik.

AM: Für mich waren Rockmusik und Bands von Anfang an eine Gegenwelt zur Erwachsenenwelt, die ich als Jugendlicher abgelehnt habe. Heute mit 52 Jahren setzt mir allerdings die Erkenntnis zu, wenn ich in den Spiegel schaue, optisch genauso (kleinbürgerlich) auszusehen wie die Erwachsenen damals: kein schöner Anblick! Allerdings als kleiner Trost vielleicht: Vor ein paar Tagen traf ich Günther Siegl, den Front-Man der Spider Murphy Gang, die bald ihr 35-jähriges Bandjubiläum feiern – der sah auch nicht viel anders aus. Es geht dabei ja nicht um das Outfit, sondern um die verlorene Jugend und deren Träume, denen wir mit dieser Musik nachhängen. Deutsche Bands wie Hölderlin, Guru Guru, Wallenstein und Amon Düül II waren mir durch die Live-Konzerte oft näher, als die anglo-amerikanischen Gruppen, die seltener in Deutschland auftraten und teurer waren. Nektar mit ihrer psychedelischen Lightshow war mein erstes großes Liveband-Erlebnis.

UC: Ja, die deutsche Musik der späten 60-er und frühen 70-er hatte schon einen ganz eigenen Charakter. Auf mich sprang der Funke sogar ohne jedes Live-Konzert über. Wenn wir hier schon ins Schwärmen geraten, möchte ich auch noch ein paar Namen dazu beitragen: Birth Control und Frumpy, Ash Ra Tempel, Jane… Und nicht zu vergessen: Grobschnitt!

Grobschnitt war die erste Krautrock-Kapelle, die auch ich Anfang der 80er endlich live sehen konnte. Ich war hin und weg. Bei ›Solar Music‹ fing ich sofort Feuer. Grobschnitt lieferten (und liefern noch immer) eine Show, wie man sie bei keiner anderen Band sieht. Bis zu dem ganz großen Live Erlebnis in meinem Leben musste ich aber noch bis 1988 warten. Pink Floyd gingen plötzlich wieder auf Tour, leider ohne Roger Waters. Mit dieser Show erfüllte sich ein Jugendtraum. Ich kann mich noch genau an den Auftakt erinnern. Das Keyboard dröhnte das Intro zu ›Shine On‹. Wie Ufos kamen gigantische Scheinwerferbatterien von der Decke und mit dem ersten Gitarrenton stand David Gilmour in einer Lichtflut! Es war unglaublich! Nach diesem Konzert begann ich ernsthaft Gitarre zu spielen und entfernte mich mehr und mehr vom Akustikgeschrammel.

Meine Begeisterung für Pink Floyd und Krautrock kann man meiner Musik deutlich anhören. Ich denke da z. B. an die Lieder „Hubbles Dream pt 1 und 2“ auf meiner CD ›Entrance‹. Der erste Teil ist ein schöner Soundteppich à la frühe Tangerine Dream oder Klaus Schulze in seiner Prä-Sequenzer-Zeit, der im zweiten Teil in ein sehr floydiges, gitarrenbetontes Stück übergeht. Ebenso die Level-?-Suite. Hier habe ich die von Sequenzern dominierte Musik der Berliner Schule mit Pink-Floyd- bzw. Camel-artigen Elementen verbunden. Es macht mir viel Spaß, die typische EM mit rockigen Elementen zu kombinieren. ›Entrance‹ ist ein sehr gitarrenorientiertes Album. Auf meiner zweiten CD ›Electronic Sheep‹ habe ich mich mehr auf die reine EM konzentriert. Die Gitarre wird hier nur sehr sparsam zum Setzen von Akzenten eingesetzt. Bei meiner nächsten Platte wird sie jedoch wieder stärker in den Vordergrund rücken.

Lesen Sie weiter in Teil II!