Hier meine Laudatio zur Preisverleihung bei der Eröffnung der diesjährigen Biografietage Nordwalde. Unter den Gästen war Mario Adorf, einer meiner Lieblingsschauspieler seit meiner Kindheit, als ich noch Karl-May-Bildchen der Kölln-Haferflocken sammelte. Dass er dem Preisträger Willi Blöß und mir einmal applaudieren würde, hätte ich nicht zu träumen gewagt. (Ich spüre jetzt noch den festen Händedruck des großen Mimen. 😉 )

Zur Preisverleihung siehe hier.  Und hier ein Artikel über den Künstler in der Aachener Zeitung: willi-bloess

Laudatio zum Deutschen Biographiepreis 2012 für den Comic-Zeichner Willi Blöß
Gehalten am Freitag, 21. September 2012, 14 Uhr bei der Eröffnung der 5. Nordwalder Biografietage
(c) Von Dr. Andreas Mäckler

Verehrte Damen und Herren,

es ist mir eine große Freude, dieses Jahr den Deutschen Biographiepreis 2012 an den Aachener Comic-Zeichner Willi Blöß zu verleihen. Der Preis wird zum 5. Mal vom Biographiezentrum vergeben, der Vereinigung deutschsprachiger Biographen, und zum vierten Mal hier bei der Eröffnung der Nordwalder Biografietage. Wir sind glücklich, auch 2012 in diesem Rahmen unseren Preis überreichen zu können, liegt den Nordwalder Biografietagen doch wie uns auch gleichermaßen die Förderung der biographischen Kultur am Herzen. Das Biographiezentrum hat den Deutschen Biographiepreis erstmals 2008 als Kollegenpreis von Biographen für Biographen ins Leben gerufen, und zwar in zwei Kategorien: Zum einen Verlagseditionen für den Buchmarkt und die größere Öffentlichkeit, zum anderen Privateditionen für die Familie und kommende Generationen.

Der Biographiepreis ist leider noch undotiert, aber wir bemühen uns, die Preisträger und vor allem ihr biographisches Werk damit noch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, vor allem durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

In der Kategorie der Privatbiographien wurde nach Meinung der Jury in diesem Jahr jedoch keine herausragende Arbeit eingereicht, und da wir den Wert und die Bedeutung dieser Auszeichnung und der damit verbundenen Qualität der Arbeiten weiterhin als entscheidendes Kriterium erachten, vergeben wir den Preis in diese Kategorie in diesem Jahr nicht. Wir suchen nicht die „beste“ Biographie eines Jahrgangs, weil jedes Leben und jede Lebensgeschichte einmalig sind. Und wir etablieren mit dem Deutschen Biographiepreis auch kein Ranking und Maßsystem wie beim Sport, wo es um Wettkampf, Punkte und vor allem um Siegen geht. Aber wir suchen das Herausragende im Genre der Biographien in Inhalt und Form, das Überraschende und Originelle. Das finden wir jedoch alles auf beeindruckende Weise im Werk von Willi Blöß.

Zu seinen „Vorgängern“, also den bisherigen Preisträgern in der Kategorie Verlagspublikationen, gehören der Fußballtrainer Louis van Gaal (2011, Biographie & Vision), der Berliner Philosoph Lutz von Werder, einer der Gründer der deutschen Schreibwerkstättenbewegung (2010, Die Welt romantisieren. Wie schreibe ich meine persönliche Mythologie?), der Filmregisseur Rosa von Praunheim (2009, Meine Mütter) sowie Alexandra Senfft (2008, Schweigen tut weh).

Und nun der Comic-Zeichner Willi Blöß. Wer die Nummer 20 seiner Reihe der Comic-Biographien, das kleine Heft Gustav Klimt und der Jugendstil anschaut, wird darin auf den ersten Blick kaum Größe erkennen. Format 10,7×14,3 cm und 32 farbige Seiten. Geradezu ein Mini-Heft. Die meisten Comics im Handel sind größer und dicker. Warum ein solches Werk im Kleinformat auszeichnen, wo Comics ohnehin Jahrzehnte lang despektierlich behandelt worden sind? „Schundliteratur“ sagten unsere Eltern und Lehrer dazu. So liegt die Frage wirklich nah: Warum hat die Jury des Biographiezentrums Willy Blöß und seinen Comic-Biographien den Deutschen Biographiepreis 2012 zuerkannt?

Die Antwort ist einfach: Wir zeichnen mit diesem Biographiepreis in diesem Jahr weniger ein einzelnes Werk aus, als vielmehr eine Werkreihe von 20 Comic-Biographien in 10 Jahren: Im Jahr 2002 edierte Willi Blöß im Selbstverlag seine erste Comic-Biographie über Pablo Picasso, und 2011 sein 20. Heft über Gustav Klimt und den Jugendstil, das im Januar 2012 erschienen ist. Jedes Jahr 2 Hefte, so ungefähr, aber immer kontinuierlich über zehn Jahre hinweg. Diese Kontinuität zeichnen wir ebenfalls aus, das Dranbleiben, das Durchhalten und Weiterarbeiten an einer guten Idee zum Genre der Biographik, über alle Probleme und Widerstände hinweg. Das ist geradezu ein Lebensprinzip und ebenfalls vorbildlich. Und unsere Auszeichnung hilft vielleicht auch, die noch immer in manchen Bereichen vorhandenen Ressentiments gegenüber selbstverlegten Büchern ein wenig abzubauen, sieht man doch am Beispiel von Willi Blöß, wie erfolgreich und qualitativ hochwertig solche Arbeiten sein können – und welchen kulturhistorischen Platz sie in im Literaturbetrieb einnehmen können. Nebenbei bemerkt, reiht sich Willi Blöß damit in die illustre Gesellschaft jener berühmten Schriftsteller ein, deren Anfänge von Selbstpublikationen getragen wurden, so finden wir dort unter anderem Namen wie Schiller, Klopstock, Poe, Tolstoi, Proust und Henry Miller.

Auch Goethe hat seinen „Götz von Berlichingen“ zunächst selbst verlegt, und damit spannen wir eine Brücke zur klassischen Biographik, in der immer wieder die Frage nach Dichtung und Wahrheit diskutiert wird, wie schon Goethe bemerkte. Man sagt, Biographie sei Rekonstruktion und daher ein künstliches Gebilde, Literatur eben, nur noch mehr oder weniger nah an der Wirklichkeit dessen, was in einem Leben geschehen ist. Das kann ich aus meiner Arbeit als Biograph nur bestätigen: Nicht nur das, was weggelassen, zeichnet Lebensgeschichten aus, sondern auch das, was hinzugedichtet wird.

Willi Blöß sagt in einem Interview zu diesem Thema: „Hinzudichten war nie mein Ansatz. Im Gegenteil. Ich versuche aus der großen, oft ziemlich abstrusen Menge Literatur das herauszufiltern, was belegt ist. Bei den Bildern versuche ich auch so authentisch wie möglich zu bleiben. Das ist ja das Einzigartige am Comic, dass man Szenen zeigen kann, von denen es keine Fotos gibt.“

So kommt hier neben der historisch verbrieften Wahrheit, die Blöß widergibt, eben jene Freiheit, die „Dichtung“, in der künstlerischen Gestaltung ins Spiel, und man kann erstaunt sein, wie realistisch und lebensnah damit die Comic-Biographien von Willi Blöß erscheinen. Auf der literarischen Ebene sind sie kongruent zu anderen verfügbaren Biographien, während die Zeichnung und Farbigkeit der Lebensgeschichten wie eine weitere Dimension wirken – auf ihre Weise genauso realistisch wie die literarische. Kunst und Phantasie liegen nah beisammen, und auch unser Leben ist mit all seinen Geschichten durchzogen von Plänen, Projektionen, Illusionen und Stimmungen. Hier hat Willi Blöß einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil gefunden, Stimmungsbilder zu schaffen.  „Ich versuche die Künstler wirklich so lebensnah wie möglich darzustellen“, sagt er, „weil ich mich auch fachlich verbunden fühle. Die schwierigen Phasen von van Gogh oder Niki de Saint Phalle sind doch für jeden Grafiker gut nachzuvollziehen. Geldsorgen, Desinteresse, der Druck seitens der Familie… das Los der meisten Kreativen.“

Beim Comic macht die Grafik den Reiz aus, der Stil des Zeichners – eine eigene Kunstform, wie Film, Malerei und Literatur. Die Comic-Biographien von Willi Blöß bieten interessante Protagonisten, Schauplätze und Ereignisse. Auch das macht sie unterhaltsam, neben dem visuellen Vergnügen sind sie lehrreich im guten Sinne.

Ich möchte hier – bevor Willi Blöß uns selbst hoffentlich noch in seine Arbeit einen Einblick gewährt – ein etwas längeres Zitat von ihm widergeben, da es, wie ich finde, ein wunderbares Licht auf den Entstehungsprozess seiner Werke wirft, der ihn auszeichnet und ausgezeichnete Kunst entstehen lässt. Es ist hier nicht nur eine akribische Recherche zu beobachten, sondern fast ein Verschmelzen mit dem Objekt seines Schaffens, eine Art symbiotische Einheit, die wahre Kunst erst ermöglicht. Blöß sagt: „Erstmal das Eintauchen in ein komplettes Leben mit jeder neuen Biografie. Das ist jedes Mal anders. Politik, Moral, Mode, Architektur, die persönlichen Lebensumstände des Helden. Und dann die Umsetzung. Erstens der Text, herausgefiltert aus vielen hundert Seiten Literatur, so knapp wie möglich. Dann die Bildideen. Mit der grafischen Umsetzung sorgst du für völlig neue Einblicke. Zusätzlich setze ich mich mit dem Stil des behandelten Künstlers auseinander und versuche wenn möglich, aber nicht zwingend, davon etwas in die Zeichnungen einfließen zu lassen. Manchmal schlüpfe ich regelrecht in die Rolle des Helden. Ich wähle eine Situation und stelle mir vor, wie z.B. Keith Haring das jetzt gezeichnet hätte. Oder man greift den Stil einer Epoche auf. Bei Warhol etwa, da wollte ich etwas im 1960er-Jahre Stil. Von vielen wichtigen Ereignissen gibt es kein Bildmaterial. Da bin ich oft der Erste, der das visualisiert. Das macht eigentlich am meisten Spaß – dieses Gefühl, bei der Arbeit im Moment wahrscheinlich der Einzige in Deutschland zu sein, der so etwas gerade macht.“

Unseres Wissens ist Willi Blöß der einzige Zeichner, der das Genre der Comic-Biographien konsequent zu einer Werkreihe weiterentwickelt und sie einem einzigen Berufsfeld gewidmet hat: dem der Künstler. „Die Welt ist voller bunter Vögel“ – sagt ein Sprichwort, und in Willi Blöß‘ Comic Biographien spiegeln sie sich aufs Schönste. Vielleicht ist die Qualität seines Handwerks auch geprägt von frühen familiären Erfahrungen – sein Vater war Schreiner, wie Blöß verrät, und hobelte und schnitzte immer so lange, bis er zufrieden war. Er, nicht der Kunde.

So wünschen wir Willi Blöß weiterhin viel frohes Schaffen und Kraft, sowie uns noch viele bunte Comic-Biographien aus seiner Werkstatt.

Vielen Dank an Willi Blöß!