Südafrika
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Ich flog mit Treck-Airways von Berlin nach Düsseldorf. Von dort ging es nach Southend in England, weiter nach Cannes, dann nach Marsa, Matruh in Ägypten. Von dort aus weiter nach Karthum und schließlich landeten wir nach fünf Tagen in Johannesburg. Fünf Tage mit miesem Essen und unfreundlicher Behandlung waren mehr als genug. Eine Freundin von Mrs. Lessing holte mich vom Flughafen in Johannesburg ab und brachte mich zum Bahnhof. Von ihr erhielt ich die Fahrkarte für den Nachtzug nach Barberton.
Meine Enttäuschung war groß, als der Zug die ganze Nacht hindurch ca. sechshundert Kilometer weit fuhr. Bei meinen Betrachtungen der Landkarte war ich davon ausgegangen, dass Barberton in der Nähe von Johannesburg liegen würde. Jedenfalls holte Mrs. Lessing mich am Bahnhof Nelspruit, nahe Barberton, ab. Ihr Wagen, ein Kastenwagen, schien mir fast wie eine alte Schrottkarre. Über Serpentinen und Berge ging es nach Barberton. Der Ort selbst hatte keinen eigenen Bahnhof. Es war ein echter Schock. Der Ort mit einer Hauptstrasse schien mir fünfhundert Jahre vor unserer Zeit zu sein, mit entsprechend altmodischen Kunden in dem Damensalon. Im einzigen Kino am Ort gab es nur samstags Vorstellungen, das Schwimmbad schloss sonntags, wenn wir an unserem freien Tag dort zum Baden gingen, zwischen zwölf Uhr mittags und zwei Uhr nachmittags. Hier lernte ich die Apartheid kennen, die sich wie ein roter Faden durch die nächsten Jahrzehnte zog. Im Nachbarort gab es nämlich ein indisches Viertel mit vielen Warenhäusern. Dort konnte man zwar einkaufen, aber es war streng verboten, mit diesen „Kulis“, wie man die Inder nannte, näher in Kontakt zu kommen. Ich wohnte in einem der beiden Hotels von Barberton. Ein kleines Zimmer mit Bad, Frühstück und Abendessen und ein „Lunchpaket“ für meine zehnstündige Dienstzeit in dem Salon. Die Arbeit selbst ging mir gut von der Hand, aber ich fühlte mich mehr als unglücklich in dieser ehemaligen Goldgräberstadt, in der die Zeit stehen geblieben zu sein schien. Das einzig Positive in dieser Zeit waren Wochenendausflüge in den Krüger-Nationalpark, gemeinsam mit der Freundin von Mrs. Lessing und den beiden lesbischen Damen, denen der Chemist-Laden am Ort gehörte. Ein schwarzer Boy grillte für uns. Ein paarmal fuhren wir auch ins nahe gelegene Swasiland und gingen dort ins Kino. Vor dem Hauptfilm wurde die englische Königin auf einem Pferd reitend gezeigt. Die englische Nationalhymne erklang und wir hatten alle aufzustehen. In Barberton lernte ich schließlich einen Reisenden kennen, der seine Haarpflegemittel anbot und auch im selben Hotel wie ich übernachtete. Er begriff, dass ich todunglücklich war und gab mir eine Telefonnummer in Johannesburg, mit der ich Kontakt aufnahm. Es war ein schwules Friseurpärchen, das ich an einem langen Wochenende in Johannesburg besuchte. Horst Echtermann und sein Freund waren angestellte Friseure, aber sie kannten dort einen deutschen Friseur, der dringend nach einem Damenfriseur suchte. Gegen einen neuen, zweijährigen Kontrakt bei ihm übernahm er gerne meine Restschulden bei Mrs. Lessing. Nach sieben Monaten konnte ich endlich dieses unsägliche Barberton, sehr zum Verdruss von Mrs. Lessing, verlassen.
In Johannesburg angekommen, wurde ich in eine Wohngemeinschaft, bestehend aus Horst Echtermann, seinem Freund, einem schwulen holländischen Fotographenpärchen und Margot mit ihrer Mutter, Mrs. Gould, aufgenommen. Erstmals und endlich ein Gefühl der Freiheit in einer schönen Großstadt. Mit Margot freundete ich mich sehr schnell an. Eine Freundschaft, die nicht nur all die Jahre in Südafrika, sondern bis zu ihrem Tod im Jahre 2009 gehalten hat. Margot, ein temperamentvolles, kleines, zierliches Persönchen mit einer Balletfigur, langen, dicken roten Haaren, hohen Absätzen und kurzen Röcken wurde über all die Jahre meine beste Freundin. Sie nahm mich in die Synagogoge mit, in der wir den Vorträgen des Rabbiners lauschten, brachte mir Scrabble bei und sorgte dafür, dass ich viel zu lesen begann. Durch das Buch „The Source“, die Quelle, das sich mit allen Weltreligionen beschäftigte, öffneten sich neue Horizonte für mich. Scrabble wurde eine enorme Hilfe, denn so lernte ich relativ schnell und problemlos englisch. Sie lebte mit fünf Chihuahuas und ihrer Mutter zusammen, einer sehr herzlichen, netten Dame. Viele Jahre arbeiteten wir gemeinsam in mehreren Salons. Immer hatte sie einen dieser kleinen Zwerghunde in einer Handtasche dabei.
Mein Chef in dem Damensalon, ein Sachse, entpuppte sich mehr und mehr als Mäkler, der jedes Bisschen überwachen wollte. Permanent stand er hinter mir und wollte mir Ratschläge erteilen. Nach einem eher gequälten Jahr reichte ich meine Kündigung bei ihm ein und wollte vier Wochen Urlaub in Kapstadt machen. Meine Schulden bei ihm hatte ich inzwischen abbezahlt. Mein Chef meinte, ich könne nicht kündigen, da mein Vertag für zwei Jahre gälte. Über meinen Hinweis, dass in dem Vertrag – wohl versehentlich – kein Datum festgelegt war, ärgerte er sich zwar maßlos und beschimpfte seinen Anwalt, der den Vertrag aufgesetzt hatte. Aber ich war frei, zu gehen. Durch Margot und ihre Freunde bekam ich schnell eine neue Stellung bei einem netten Wiener in einem sehr schönen Damensalon. Dort war ich zum ersten Mal in Südafrika glücklich und zufrieden. Ich wurde am Umsatz beteiligt und verdiente so gut, dass ich schnell Geld zurücklegen konnte. Mit diesen Ersparnissen finanzierte ich mir einen Urlaub. Mit dem Flugzeug nach Durban. Von dort aus mit einem italienischen Schiff über Laurenza Marques, Beira, Daressalam nach Mombassa. Mit einem Nachtzug weiter zum Kilimandscharo und dann nach Nairobi. Dort besuchte ich den großen Nationalpark. Zurück nach Mombassa, wo ich eine Woche im Nyali-Beach Hotel verbrachte. Dort bestieg ich nach dieser Woche ein von England kommendes Touristenschiff, das mich nach Sansibar brachte. Das Schiff war zu groß, um dort anzulanden. Also wurden wir auf kleinen Barkassen zur Insel übergesetzt. Eine Gewürzinsel mit Bewohnern aller Rassen, herrliche Bauten aus der deutschen Kaiserzeit und ein wunderbarer Badestrand, den ich drei Tage genoss. Von dort aus bei riesigem Seegang zurück nach Durban. Die meisten Passagiere wurden seekrank, so dass sich schließlich drei Ober in dem fast leeren Dining-Room um mich kümmerten. Völlig abgebrannt wieder zurück in Durban, hatte ich einfach noch keine Lust, wieder zu arbeiten. Also rief ich meinen Wiener Chef an und bat ihn, mir fünfzig Rand zu überweisen, damit ich noch eine Woche Urlaub in Durban machen konnte. Er tat es.
Wieder zurück in Johannesburg stürzte ich mich, sehr zur Freude meines Chefs und meiner Kunden, nach sechs wunderbaren Wochen wieder voller Elan in meine Arbeit. Speziell durch meine Freundin Margot hatte ich sehr schnell einen großen Bekanntenkreis um mich herum. Da ich gut verdiente, konnte ich mir eine eigene Wohnung mieten und nach meinem Geschmack einrichten. Der skandinavische Stil war damals gerade en vogue. Ich war zufrieden und (fast) wunschlos glücklich. Kurz vor Ende 1959 schrieb mir Tante Gertrud, dass meine Mutter den Hamann wieder geheiratet hatte. Von Hans-Joachim, den ich gerne zu mir nach Südafrika hatte nachholen wollen, hatte sie erfahren, dass es dort nun wieder „drunter und drüber“ ginge. Am 31. Dezember 1959 erhielt ich dann ein Telegramm von meiner Mutter. Hans-Joachim hatte sich aus dem Fenster der zweiten Etage gestürzt und war auf dem Bürgersteig gestorben. Er wurde gerade einmal zwanzig Jahre alt. Ich schrieb meiner Mutter einen zugegeben sehr emotionalen Brief, auf den ich allerdings nie mehr eine Antwort bekam. Ich war geschockt und aufgewühlt und wandte mich an den Pfarrer der evangelischen Gemeinde in der Kirche gleich in meiner Nachbarschaft. Er konnte deutsch und meinte: „Man kann gute Eltern sein und schlechte Kinder haben.“ Aber es ginge auch umgekehrt. Schlechte Eltern könnten auch gute Kinder haben. In meinem Fall, mit dieser schlechten Jugend und diesem Elternhaus, sollte ich mich von meinen Eltern trennen. Auf meinen Einwand, dass es doch meine Mutter sei, meinte er, ich solle meinen Eltern all das vergeben, was sie mir angetan hätten. Dann wäre ich frei von Schuldgefühlen. Aber ich sollte danach konsequent bleiben und nie wieder Kontakt mit ihnen aufnehmen. Anfangs fiel mir das nicht leicht, aber im Lauf der Zeit begann ich es zu akzeptieren. Und irgendwann wurde es Alltag. Auf Fragen nach meiner Familie antwortete ich, dass ich ein Waisenkind sei und deshalb nie eine Familie gehabt hätte.
Ich hatte inzwischen einen gut bezahlten Job in einem tollen Damensalon bei Herrn Reinicke. Die Vergütung erfolgte dort nach Leistung. Das war neu für mich. Je nach Anzahl der Kunden, die man bediente, konnte man sein Gehalt zunächst verdoppeln. Wenn das geschafft war, wurde der darüber hinausgehende Umsatz zwischen Chef und Angestelltem einfach geteilt. Dank der Freundschaft mit Margot wurde mein Englisch von Tag zu Tag besser. Sie brachte mir bei, Scrabble zu spielen. Ich kaufte Wörterbücher, aus denen ich zwei-, drei- und vierbuchstabige Wörter auswendig lernte. Zudem empfahl sie mir belletristische und Sachbücher. Als Deutscher ging man logischerweise in den Deutschen Club, um Kontakt zu anderen deutschen Auswanderern zu bekommen und aus deren Erfahrungen für die eigene Zukunft zu lernen. Allerdings tat ich das nur wenige Male. All die persönlichen Fragen nach Herkunft, Ehestand und Beruf gingen mir zunehmend auf die Nerven. Und als besonders nett empfand ich die Leute dort auch nicht. Privat hatte ich mir einen eigenen Bekanntenkreis mit anderen, schon etablierten Deutschen und Neuankömmlingen aufgebaut. Da es in Johannesburg praktisch keine öffentlichen Verkehrsmittel gab, wurde mir klar, dass es auf Dauer ohne Auto nicht ging. Sogar mein Chef fragte mich danach. Auf meine Antwort, dass ich noch nicht einmal einen Führerschein hätte, gab er mir den Ratschlag, dies schleunigst nachzuholen. Das notwendige Auto, einen kleinen, grauen Anglia, finanzierte er mir und ich zahlte ihm das Geld dafür die nächsen drei Jahre in Raten zurück. Sein Motto war, eine zufriedene und mobile Belegschaft würde viel freudiger arbeiten. Und das taten wir alle! Im selben Jahr bestand ich auch meine Meisterprüfung. Zu meiner Enttäuschung gab es leider nur ein „bestanden“ oder ein „nicht bestanden“.
Mit Margot fuhr ich nun jedes Wochenende zu einer Gästefarm, zwanzig Minuten von Johannesburg entfernt, nahe Pretoria. Sie gehörte einer deutsch-jüdischenen Emigrantin, Margerie, die in Johannesburg einen Schönheitssalon betrieb. Drei Viertel der Gäste waren jüdische Leute. Eine phantastische Mischung aller denkbaren Orientierungen. In kleinen, strohgedeckten „Roundables“ konnte man übernachten. Die meisten Gäste kamen am Samstag Nachmittag nach der Arbeit und blieben bis Montag früh. Margerie betrieb dort zusammen mit zwei schwarzen Chefs eine Küche, in der sie herrliche Salatvariationen und Gerichte für oft zwanzig bis fünfundzwanzig Gäste zauberte. Margerie hatte neben Kühen, Gänsen und Hühnern zudem drei oder vier Pferde, die man für einen Ausritt mieten konnte. Der Swimming Pool war meist gut besucht. Für uns aus Deutschland zunächst ungewohnt, dass die meisten Damen sich dort „oben ohne“ bewegten. Es herrschte Jubel – Trubel – Heiterkeit! Für viele, viele Jahre, bis 1979, wurde diese Farm fast so etwas wie
mein zweites Zuhause, als ich Johannesburg dann in Richtung Durban verließ. Dort lernte ich 1960 auch meinen gerade erst aus Deutschland angekommenen Freund Helmut kennen, der sich später Clint nannte. Angeblich konnte man im englischsprachigen Raum mit dem Namen Helmut nichts anfangen. Es wurde eine Freundschaft, die bis heute intakt geblieben ist. Auch er kam nun fast jedes Wochende zur Farm. Ihn hatte Horst Echtermann mitgebracht, mit dem er eine Wohnung teilte und der auch mein erster Kontakt gewesen war, der mir den Weg von Barberton nach Johannesburg geebnet hatte. Horst Echtermann war oft dramatisch und schluckte des öfteren Librium, um zu entspannen. Bei einem Urlaub in Rhodesien nahm er ein paar Pillen zu viel, um seinem neuen Freund einen Schreck einzujagen. Für sein schwaches Herz war das allerdings zu viel und er starb. Damit war sein Platz in der Wohnung frei geworden. Helmut bot ihn mir an und ich zog bei ihm ein. Plötzlich musste ich mich an seine „preussische“ Ordnung anpassen. Wir hatten eine schwarze Haushälterin und jeden Abend wurde das Essen pünktlich um achtzehn Uhr serviert. Bevor Kaffee eingegossen wurde, wurden die Tassen mit heißem Wasser angewärmt. Alles in allem eine Ordnung an die ich mich nur langsam gewöhnte.
Das bei Margerie war einfach eine tolle, gemischte Clique, die im wesentlichen aus Friseuren, Dekorateuren und künstlerisch Angehauchten bestand und mit der wir dort die schönsten Parties feierten. Weihnachten, Silvester und Fasching waren fast verpflichtende Anlässe. Besonders der Straßenfasching, zu dem wir nach Pretoria fuhren, war für uns fast so etwas wie Karneval in Rio! Als ich mich einmal als Indianer verkleidete, brauchte ich noch Federn für meinen Kopfschmuck. Also fing ich mir eine der Gänse, hielt sie zwischen meinen Beinen fest und riß ihr ein paar Federn aus. Die Gans schrie natürlich entsetzlich, aber Margerie noch mehr. Doch ich hatte meinen Kopfschmuck.
Mein Bekannten- und Freundeskreis wurde immer größer. Einer davon war Jürgen Hauptmann mit seinem Freund, dem „Dicken“. Beide waren Schlachter in einem deutschen Wurst- und Fleischgeschäft mit einem angeschlossenen Restaurant. Bei zwei weiteren Bekannten, die Chefs in einem Hotel waren, belegte ich einen Kochkurs für drei Monate, um feinere Kochkünste, wie Cordon bleu und Hummer thermidor, zu lernen. Denn inzwischen war ich das Restaurantessen leid und wurde, sehr zur Freude meiner Bekannten, leidenschaftlicher Koch am heimischen Herd. Jürgen Hauptmann hatte ebenso schütteres Haar wie ich. Ich hatte in einer Fachzeitschrift gelesen, dass ein Spezialist in Hamburg Haarverpflanzungen vornahm. Jürgen, der etwas schüchtern war, machte mir den Vorschlag, das auszuprobieren. Da er über wesentlich mehr Geld als ich verfügte, erklärte er sich bereit, auch meine Reise zu bezahlen. Allerdings sollte ich mich um die Details und sein Wohlergehen kümmern, was ich gerne tat. Da es sich anbot, den Weg nach Hamburg zu einem Urlaub zu nutzen, flogen wir zunächst bis Kairo. Im Hilton Hotel dort verliebte er sich sofort in den Liftboy, den ich ihm problemlos liefern konnte. Eines Morgens allerdings wollte man uns nicht mehr an der Rezeption vorbei lassen. Verständlich, denn wir waren abends in weißen Anzügen in die Parkanlagen gebummelt. Nachdem wir dort einigen Soldaten näher gekommen waren, sahen unsere Anzüge allerdings dementsprechend aus. Jürgen kannte dort zudem einen Arzt, der uns anbot, mit ihm nach Alexandria zu fahren. Was wir nicht ahnten war, dass der Kerl voll auf Drogen war und in seinem grossen Mercedes wie ein Geistesgestörter nachts durch die Wüste raste. Alexandria war herrlich und aufregend. Wir besuchten den Sommersitz von Ex-König Faruk und machten einige Tagestouren. Wieder durch die Nacht zurück nach Kairo, bestellte Jürgen um vier Uhr morgens ein Taxi. „Nach all dem hin und her habe ich eine Überraschung für dich. Wir fahren in einen Männerpuff!“ Das Taxi brachte uns in eine enge Gasse, in der im Morgengrauen die Ratten über die Strasse liefen. Mir war ziemlich mulmig zu Mute, als wir das Etablissement betraten. Der Mann am Eingang erkundigte sich freundlich nach unseren Wünschen und kassierte das Eintrittsgeld. Im dahinter liegenden Raum lagen etwa dreissig junge Männer, leicht bedeckt mit weissen Laken. Wir konnten entscheiden, wen wir haben wollten, und ab mit ihm in ein geräumiges Separee, in dem Dampf aufstieg, so dass man nicht alles so genau sehen konnte. Auf die Liege und schon war das Glück perfekt.
Am Tag danach flogen wir weiter nach Hammamet in Tunesien. Dort bekam Jürgen eine fiebrige Grippe, die ihn ausser Gefecht setzte. So hatte ich Zeit und Gelegenheit, all die Märkte abzuklappern und mich am Strand zu amüsieren. Als es ihm wieder besser ging, flogen wir weiter zu unserem eigentlichen Ziel, Hamburg. Jürgens Mutter nahm mich sehr freundlich auf und ich konnte in ihrer riesigen Altbauwohnung in einem eigenen Zimmer schlafen. In Südafrika hatte ich meinen schönen Diamanten versetzt, um genügend Geld für die Haartransplantation zu haben. Es wurde eine blutige Sache, bei der Kopfhaut verpflanzt wurde. Auf die kahlen Stellen kamen dreißig oder vierzig viereckige Hautfetzen, die an den Seiten mit dem dicksten Fleisch ausgestanzt worden waren, vergleichbar einer Rasenanpflanzung. Mit einem dicken Kopfverband ging es zurück nach Südafrika. Allerdings dauerte es Monate, bis überhaupt neues Haar nachwuchs. Zu meiner Enttäuschung aber eher nur spärlich. Aber immerhin konnte ich meine männliche Kundschaft über diese Prozedur aufklären.
Es folgten schöne Jahre. Einmal im Jahr zog ich um. Immer in die Topetage eines gerade neu errichteten Hochhauses. Als Damenfriseur war das leicht, denn gegen das Versprechen, der Hausverwalterin gratis eine schöne Dauerwelle zu machen, bekam ich die gewünschte Wohnung. Die Umzüge waren eine leichte Übung. Meine schwarze Haushaltshilfe packte das Küchenzeug ein, eine Spedition transportierte das Umzugsgut in die neue Wohnung und bei zwei Kisten Bier halfen mir all meine Freunde am Abend die neue Wohnung einzurichten. In Summe zog ich insgesamt zwanzig Mal in zwanzig Jahren um.
Mein sparsamer Freund Helmut aus Emden, dem seine Mutter das Sparen eingeimpft hatte, brachte auch mir das Sparen bei. Somit konnten wir 1968 eine grosse Reise nach Europa unternehmen. Griechenland, Italien, die Schweiz, Holland und England waren unsere Ziele. Ein Freund bei American Express hatte die Reise für uns mit „open tickets“ organisiert, so dass wir an jedem Reiseziel so lange bleiben konnten, wie wir wollten. In Zürich trafen wir Helmuts Mutter. Er hatte sie dorthin eingeladen, um einen Besuch seiner Heimat in Emden zu vermeiden. Ich war ihr nicht gerade symathisch und ihrem Helmut ging sie mit ihrer ewigen Fragerei, wann er denn nun endlich heiraten würde, zunehmend auf die Nerven. Eines Abends gingen wir am See zum Abendessen. Helmut bat sie, nicht auf die Preise zu schauen. So bestellte sie ebenso wie ihr Sohn ein Wiener Schnitzel, allerdings nur ein zweites Glas, um von seiner Cola mitzutrinken. Nicht nur ihre Sparsamkeit ging mir so auf die Nerven, dass ich auscheckte und allein nach Amsterdam weiterflog. Dort zog ich in ein schwules Hotel. Tagsüber fuhr ich zum Baden mit dem Zug nach Zandvoort, anschließend ging es in eine Sauna und abends in eine Disco. Mit all den Pornoläden, dem offenen Umgang mit Homosexualität und all den schwulen Bars kam ich mir vor wie in einer anderen Welt. Alles Dinge, die in Südafrika verboten waren. Helmut war inzwischen doch noch mit seiner Mutter nach Emden gefahren. Allerdings bekam er dort nach etwa einer Woche einen Nervenzusammenbruch und erschien völlig entnervt in meinem schwulen Hotel in Amsterdam. 1999, nach meiner Rückkehr nach Deutschland, war ich selbst einmal für eine Woche in Emden, um seinen Bruder und dessen Familie zu besuchen. Die Familie war sehr nett zu mir und auch Emden empfand ich als sehr nette, kleine Stadt. Nach vier Wochen des Herumtreibens in Amsterdam hatte ich fünfundzwanzig Pfund abgenommen und war nach ewigen Zeiten wieder schlank. Nur noch „Haut und Knochen“ meinten später meine Kunden in Johannesburg. Mit Helmut zusammen flogen wir nach London, um dort einen Rückflug mit South African Airways nach Johannesburg zu bekommen.
Zurück in Johannesburg lernte ich Serge Planquoi kennen. Es wurde eine enge Freundschaft und er zog bei mir ein. Er war zehn Jahre jünger als ich, Buchhalter und sah sehr gut aus. Zwar war er oft müde, aber abends lieh er sich häufig meinen Wagen, um im Nebenerwerb in Krankenhäusern „Golden Products“ anzubieten. Später mieteten wir dann mit Helmut zusammen ein Haus am Stadtrand mit Hausboy und Swimming Pool. Serge war für das Schwimmbad und die beiden Boxerhunde, Stella und Tanja, zuständig, die wir uns auch noch angeschafft hatten, und ich für die Küche. Helmut hielt sich mit einem größeren Anteil an den Mietkosten von jeglicher Hausarbeit frei. Das Schwimmbad wurde die große Attraktion für unsere Freunde und Bekannten. Sie kamen frühmorgens und hielten bis abends durch. Das ging schließlich so weit, dass wir nach dem Frühstück die Flucht ergriffen und am Harte Bes Port Damm unseren Tag verbrachten. Nach einem halben Jahr entschloss Serge sich, zurück nach Paris zu gehen. So gaben wir blutenden Herzens die beiden Boxer an eine Farmerfamilie mit drei Kindern ab, kündigten den Mietvertrag für das Haus und zogen zurück in die Stadt. Dolores, die Hauswartsfrau, eine ehemalige, etwas aus dem Leim gegangene Ballettänzerin, empfing uns mit den Worten: „What´s the matter with you Queens?“ Eine Bezeichnung, die Helmut absolut nicht mochte.
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