Fehlversuch
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Serge schrieb mir, ich sollte wenigstens ein Jahr zu ihm nach Paris kommen. Ich könne dort bei ihm wohnen, meine Französischkenntnisse verbessern und als Friseur arbeiten. Aus seiner Zeit in Johannesburg schuldete er mir noch achthundert Rand, damals eine beachtliche Summe. Dafür könne ich ein Jahr umsonst bei ihm wohnen. Ich empfand das als verlockende Perspektive, packte meine Siebensachen, kündigte Job und Wohnung und nahm ein Schiff, das von Durban über Port Elizabeth, East London und Kapstadt nach Southend in England fuhr. Zur Sicherheit allerdings hatte ich mir ein „Return-Visum“ für den Fall besorgt, dass ich wieder zurückkehren wollte.

In Southend sollte Serge mich abholen. Doch er war nicht da. So saß ich dort einen Tag säuerlich im Hafen, bis er schließlich doch noch erschien. Mir dem Fährschiff ging es nach Le Havre, wo mich die Zollbeamten quälend lange regelrecht schikanierten. Ein denkbar schlechter Anfang. Nach einer Übernachtung bei seiner Familie ging es mit dem Zug weiter nach Paris. Kein Taxi wollte uns mit meinem großen Gepäck mitnehmen. Als wir endlich in seiner kleinen Wohnung ankamen, traf mich der nächste Schock. Sein angetrocknetes, schmutziges Geschirr stand noch im Spülbecken, aus dem einen Fenster blickte man auf einen Friedhof, aus dem anderen Fenster auf den Schornstein eines Krematoriums. Und auch im Bett klappte nichts mehr. Ich wanderte von Salon zu Salon, um eine Stellung zu bekommen. Doch überall hörte ich nur, dass es in Paris schon genügend Arbeitslose gäbe und dass ich es besser in Deutschland versuchen solle. Nach zwei Wochen hatte ich von Serge und Paris endgültig genug. Paris konnte mir gestohlen bleiben. Ich kaufte mir eine Fahrkarte nach München und ließ einen Großteil meiner mitgebrachten Sachen bei Serge. In München hatte ich eine Freundin, Ingrid, die ich schon aus den Zeiten in Johannesburg kannte, die dort mit mir zwei Jahre im selben Salon gearbeitet hatte und dann wieder nach München zurückgegangen war. Um meine Liebe zu Paris zu vervollständigen, kamen wir mit meinem immer noch beachtlichen Gepäck zu spät zum Bahnhof und sahen den Zug nach München nur noch von hinten. Der nächste Zug in die Bayernmetropole fuhr erst sechs Stunden später, so dass ich erst um Mitternacht in München ankam. Ingrid war logischerweise wieder nach Hause gefahren, als ich nicht in dem angekündigten Zug gewesen war. So übernachtete ich im Bahnhofshotel und rief sie am nächsten Morgen an. Sie holte mich ab. Mit Serge hatte ich nie wieder Kontakt und auch er hat nie wieder versucht, Kontakt mit mir aufzunehmen. „Fertig ist fertig!“

Zunächst wohnte ich bei Ingrid und deren Ehemann in deren Reihenhaus in Puchheim. Von dort aus suchte ich mir eine Stellung in München. Bei dem damals sehr prominenten Salon Seydlitz im Lehel bekam ich eine Anstellung. Herr Seydlitz, der mit Krawatte und Sakko arbeitete und etliche Diamantringe trug, machte allerdings zur Bedingung, dass ich mich so ähnlich wie er zu kleiden hätte. Vor dem Salon lag ein roter Teppich, eingerahmt von zwei Lorbeerbäumen. Die Kundschaften kamen mit Taxi oder mit Chauffeur und fast alle mit einem Dackel in Begleitung vorgefahren. In den zwei größten Räumen hingen wunderbare Kronleuchter. Wie mir Kundinnen zuflüsterten, ein Geschenk des Krupp Erben, Arndt von Bohlen und Halbach, der mit Herrn Seydlitz eine Affäre gehabt und der ihm diesen prächtigen Salon eingerichtet hatte. Eine Hausdame bot den Kunden Kaffee in Meissner Porzellantassen an, eine weitere Dame war nur dafür engagiert, den Kundinnen die Haare zu waschen. Die Trinkgelder flossen reichlicher als das monatliche Gehalt. So konnte ich mir schnell ein möbliertes Appartement im Fuchsbau in Schwabing mit einem Swimming-Pool auf dem Dach mieten, einer zumindest damals sehr guten Adresse. Mein übriges Geld konnte ich sehr gut für Restaurantbesuche und Wochenendreisen verwenden. Doch nach einigen Monaten im deutschen Winter packte mich das Heimweh nach der Sonne Südafrikas. Ich kündigte bei Herrn Seydlitz und flog zurück nach Johannesburg. Bei Greatermanns erhielt ich meine alte Stellung zurück, mietete mir eine Wohnung, die ich mit Second-Hand-Möbeln aus dem Trödelladen von Mrs. Goldberg möblierte. Schnell hatte ich auch wieder einen gebrauchten VW-Käfer. Margot und Helmut trugen zu meiner guten Laune bei, indem sie mir sagten, dass sie mir die Pleite mit Serge hätten voraussagen können. Schließlich habe er meinen Wagen bei seinen nächtlichen Ausflügen nicht nur zum Verkauf von „Golden Products“ benutzt, sondern um sich mit anderen Männern zu treffen. Letztlich war mir das egal, schließlich hatte ich mit ihm drei Jahre eine schöne Freundschaft gehabt. Ich war einfach glücklich, wieder zurück in Südafrika zu sein.

In den folgenden Jahren wechselte ich gelegentlich meine Wohnungen und zwar immer dann, wenn ein neues Hochhaus entstanden war und ich dort eine Wohnung in der Topetage bekommen konnte. In dieser Zeit führte ich ein Jahr lang das Geschäft bei Greatermanns für den damaligen Eigentümer Josef alias Jose Nutbichler, einem Münchner, der auch in München einen Salon in der Hohenzollernstrasse besaß, den meine Freundin Ingrid als Managerin gut führte. Allerdings waren weder ihre noch meine Zeit als Geschäftsführer ein besonderer Erfolg, denn Nutbichler war ein Betrüger. So festigte sich meine Überzeugung, dass ich keinen eigenen Salon besitzen wollte. Leben war meine Devise! Nach dem Desaster in Paris wollte ich wieder zu mir finden, die Wochenenden und meine Urlaube genießen.

Mit Helmut zusammen unternahm ich 1977 einen langen Trip. Beginnend in Ägypten, reisten wir nach Tunesien, wo er eine Nierenentzündung bekam und zur weiteren Behandlung nach München weiterflog. Dort mietete er ein möbliertes Appartement in der Rümannstrasse und nahm zunächst einen Job in einem ihm noch bekannten Salon an, um in Deutschland wieder krankenversichert zu sein. Während er anschließend für zwei Wochen ins Schwabinger Krankenhaus ging, blieb ich noch in Tunesien. Als ich schließlich bei strömendem Regen braungebrannt in München ankam, holte Helmut mich am Flughafen ab. Er ging anschließend wieder ins Krankenhaus und ich bekam in dem kleinen Appartement die große Heulerei. Hier regnete es. In Südafrika hatten wir eine große Wohnung, die Sonne schien praktisch ewig und hier saß ich bei strömendem Regen in diesem kleinen Loch, kein Auto, nur Helmuts Fahrrad. Nachdem Helmut einigermaßen genesen war, flogen wir weiter nach London. Dort buchten wir einen einwöchigen Haarschneidekurs in der Sassoon-Academy, um mit dem Zertifikat in der Tasche später in Johannesburg den aktuellsten Modestandard im Haareschneiden nachweisen zu können. Allerdings war der Aufenthalt dort ein größeres Drama. Queen Elizabeth feierte ihren 50. Geburtstag und alle Hotels waren voll besetzt. So mußten wir jeden Tag nach dem Frühstück an der Rezeption anstehen, um irgendwo ein Zimmer für die nächste Nacht zu bekommen. Während ich nach dieser Woche nach München zurückflog, belegte Helmut noch einen zweiten Kurs, den er allerdings nach Beendigung und seiner Rückkehr nach München als vertane Zeit und vertanes Geld empfand. Wir suchten uns wieder einen Job und spielten mit dem Gedanken, wieder in Deutschland zu bleiben. Ingrid besuchte ich in dieser Zeit sehr oft abends in ihrem Salon und half ihr bei ihrer Arbeit. Doch bald hatte ich die Nase von Deutschland voll und flog zurück nach Johannesburg. Freundin Margot hatte mir das Flugticket geschickt. Helmut war entsetzt, dass ich es annahm. Seiner Meinung nach hätte ich das nächste Jahr sparen sollen, um mir das Ticket selbst zu bezahlen. Doch ich meinte nur, dass ich dafür schließlich ja Freunde hätte. Margot zahlte ich das Ticket im Lauf des nächsten Jahres ratenweise zurück. Helmut blieb noch in München und ohne mir davon etwas zu erzählen, besorgte er sich dort ein Visum für Australien. Als er ein paar Monate später nach Johannesburg zurückkehrte, offenbarte er mir, dass er sich für zwei Jahre als Damenfriseur gegen einen Freiflug nach Sidney in Australien verpflichtet hatte. Gut, dachte ich. Wenn Helmut sowieso geht, hält mich auch nichts mehr in Johannesburg. Nach Durban, mit dem milden Klima am Indischen Ozean, hatte es mich schon immer gezogen. Mein Chef, Josef Nutbichler, der insgesamt acht Salons betrieb, hatte unter anderem auch einen Salon im Maharani Hotel in Durban gepachtet. Dort bot er mir den Managerjob an. Ich übergab meine Wohnung in Johannesburg komplett an einen deutschen Freund, Klaus, gegen einen Betrag von zweitausend Rand. Ein Monatsgehalt betrug damals etwa dreihundertfünfzig Rand. Bis unter das Dach bepackt tuckerte ich mit meinem VW-Käfer nach Durban, trat die Stellung an und suchte mir ein leeres Appartement mit Seeaussicht, das ich die Freude hatte, zu möblieren.

Im Mezzanin des Maharani Hotels arbeitete ich in einem Salon mit Seeaussicht. Das einzige, was fehlte, war solide Kundschaft. Die Badegäste kamen abends, wenn wir den Salon schließen wollten, vom Meer zurück und wollten lediglich ihre Haare waschen und föhnen lassen. Doch ohne Dauerwelle, Färben und Schneiden war in diesem Salon kein Geld zu verdienen. Also kündigte ich nach drei Monaten und trat eine neue Stellung im Hilton Hotel im Millionärsvorort von Durban, Umschlanga Rocks, an. Der portugisische Besitzer, Manuel Rodriques, hatte dort nicht nur diesen Salon im Souterrain, sondern auch einen Souveniershop. Er zahlte ein gutes Gehalt und meldete mich in einer Privatkrankenkasse an. Eine enorme Verbesserung im Vergleich zu der Friseurkrankenkasse, in der ich bis dahin gewesen war. Das Geschäft lief prächtig. Einzig problematisch war, dass ich jeden zweiten Sonntag von neun bis zwei Uhr Dienst hatte. Das bekam ich mit meinen sonntäglichen Abenteuern um sechs Uhr früh am Strand eigentlich nie richtig auf die Reihe. Um acht Uhr wußte ich dann nicht mehr so genau, ob ich nun an diesem Sonntag oder erst am nächsten Sonntag Dienst hatte. Schließlich schickte mich Manuel Rodriques, ein gut aussehender Frauenheld, per Flugzeug nach Johannesburg. Dort hatte er für mich einen einwöchigen Kurs gebucht, um neu entwickelte, sehr teure Produkte zur Haarverbesserung kennen und im Salon anwenden zu lernen und dies schließlich auch meinen Kollegen beibringen zu können. Im Laufe der Zeit lernte ich dort in Durban einen sogar auch deutsch sprechenden Argentinier, Paul Very, kennen, der als Techniker und Demonstrator für eine deutsche Kosmetikfirma, Clerol, arbeitete. Er präsentierte deren Produkte, hatte einen Dienstwagen und bot diese Produkte in den Salons der Umgebung an. Das beeindruckte mich und er meinte, dass so etwas auch ein Beruf für mich wäre. Allerdings wären derartige Positionen selten, da deren Inhaber meist bis zu ihrer Pensionierung darauf sitzen würden. Aber durch ihn ermutigt rief ich trotzdem in der Zentrale von Schwarzkopf in Pretoria an. Tage später besuchte mich bereits ein etwas rundlicher, gemütlicher Holländer, Herr König, im Hilton Hotel. Wegen meines Anrufs war er von Pretoria nach Durban geflogen, um mich zu interviewen. Von meinen Kenntnissen beeindruckt, bot er mir einen Job bei Schwarzkopf für eine Stellung in Kapstadt an. Das passte sehr gut zu meiner damaligen Befindlichkeit, denn irgendwie wollte ich längst schon raus aus dem Friseurberuf. Wenige Tage später hatte ich bereits das schriftliche Vertragsangebot in Händen. Meine Person schien für Schwarzkopf zu passen. Ich besaß einen Meisterbrief, hatte einen Führerschein und war ledig – und damit ortsungebunden. Allerdings sollte ich zunächst für vier Wochen in die Zentrale von Schwarzkopf in Pretoria kommen, um deren Produkte und für mich auch erstmalig Produkte für Afro-Haar kennen zu lernen. Ich unterschrieb und kündigte sowohl meinen Job als auch meine Wohnung. Schwarzkopf bezahlte den Transport meiner Möbel in ein Möbellager in Kapstadt. Ich verkaufte mein Auto und flog nach Pretoria. Nach dem vierwöchigen Kurs bekam ich einen Firmenwagen, mit dem ich nach Kapstadt fuhr. Dort gab man mir vier Wochen Zeit, um eine Wohnung zu finden und einzurichten. Dann begann meine Reisezeit für Schwarzkopf. Dabei traf ich meinen alten Freund Georg Rausch wieder, den ich seit 1957 in meiner Zeit in Johannesburg kennengelernt hatte. Er hatte dort seine Salons verkauft und für einige Jahre in den Vereinigten Staaten gearbeitet. Zurückgekehrt nach Südafrika, arbeitete er inzwischen in Kapstadt für den Schwarzkopf-Konkurrenten Revlon. Schwarzkopfs Unternehmensplanung war, in Kapstadt eine Haar- und Produktschule einzurichten, in der den Friseuren die Produkte von Schwarzkopf näher- und beigebracht werden sollten und in der ich dann als Lehrer arbeiten sollte. Mein Glück schien perfekt. Doch nach etwa einem Jahr revidierte das Management seine Planung. Die Schule wurde nicht gebaut und mir wurde gekündigt.