Lesen Sie anläßlich der 3. Auflage die erschreckende Autobiographie einer Frau, die 2004 im Landkreis Augsburg Schlagzeilen machte. Das Buch schrieb ich als Ghostwriter für Veronika Obermüller, die mit meiner Arbeit so zufrieden war, dass ich damit öffentlich werben darf. Hier zur Einstimmung ein Artikel aus dem Augsburger Extra vom 1. November 2004.

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Schonungslose Abrechnung

Im Buch das Trauma des Lebens vergessen machen
Veronika Kempf-Obermüller will Freunde, Familie und Bekannte schockieren

Von Arno Loeb

Veronika Kempf-Obermüller, die im Landkreis Augsburg lebt, schockiert mit ihren gnadenlosen Lebenserinnerungen ihre Bekannten, ihre Freunde und ihre Familie. Das Schicksal der lebenslustigen Frau, die aus dem Sauerland stammt und ihre chaotischen Ehejahre in Ottmarshausen, Neusäss und Augsburg erlebte, wird nicht nur für Aufregung, sondern auch für manches Entsetzen sorgen, weil sie die schonungslose Wahrheit schreibt. Und einige Personen, die ein grausames Spiel mit ihr trieben, werden sich womöglich äußerst ungern in der schriftlichen Abrechnung der Autorin wiedererkennen. „Ich musste mir alle furchtbaren Erinnerungen von der Seele schreiben, sonst wäre ich daran erstickt“, atmet die frischgebackene Schriftstellerin auf und freut sich mit strahlendem Gesicht: „Ich spürte, wie der Schreibprozess meine seelischen Wunden heilen ließ.“

Das Schicksal von Veronika Kempf-Obermüller war hart, verrückt und öfters auch brutal. Als naives Kind wurde sie von der rücksichtslosen Tante ausgebeutet, als begeisterter Lehrling wurde sie gequält, und als brave Ehefrau erlitt sie eine Katastrophe nach der anderen. Jetzt hat Veronika Kempf-Obermüller, die sich von den unglaublichen Schicksalsschlägen nicht unterkriegen ließ, über ihr spannendes Leben ein Buch herausgebracht: „Wie ein Hauch auf dem schönsten Planeten“. In Zusammenarbeit mit Dr. Andreas Mäckler vom „Zentrum für Biographisches Schreiben“ in Fuchstal-Leeder bei Landsberg schrieb Veronika Kempf-Obermüller, die vor achtzig Jahren als viertjüngstes von zwölf Kindern der begüterten Familie Obermüller in der sauerländischen Kleinstadt Brilon geboren wurde, ihren oft steinigen, aber auch packenden und dramatischen Lebensweg nieder. Sie wuchs als hilfsbereites, quirliges, heiteres Mädchen auf, beobachtete voll Schrecken die Verhaftung von jüdischen Mitbürgern und hatte Angst bei den Nazis denunziert zu werden, wenn sie dem falschen Radio-Sender lauschte. Von ihrer Mutter hörte sie vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges: „Kind, du kannst nicht allen Leuten helfen. Du musst weggucken!“

Bei der Tante Klara im Münsterland musste das vierzehnjährige Mädchen Veronika 1938 im Dritten Reich ein Pflichtjahr absolvieren. Die wohlhabende Tante, deren Mann nichts zu melden hatte, war nicht nur geizig, sondern auch gemein und ein arger Plagegeist. Die kleine, ziemlich schmächtige Veronika musste schwere Wassereimer schleppen, die Waschküche pingelig sauber halten und kochen. Zu essen bekam sie eine Woche nur Kartoffeln mit Rüben, dann eine Woche Kartoffeln mit Kohl und dann vielleicht eine Woche Kartoffeln mit Zwiebeln. Die ausbeuterische Tante schob die schwere Kommode von der Wand und kontrollierte übergenau, ob die Veronika auch keine Spinnwebe übersehen hatte. „Wir klauten Eier aus dem Hühnerstall und kochten sie heimlich“, berichtet Veronika Kempf-Obermüller von ihrem Überlebenskampf.

Am 1. September 1939, mit Beginn des Krieges, der für Not und Elend sorgte und unzählige Tote in die Gräber brachte, begann sie ihre Lehre. „Viel arbeiten, viele böse Worte, das war mein täglich Brot“, erinnert sich die Autorin mit ehrlichen Worten in ihrem aufwühlenden Buch an ihre Zeit als Auszubildende bei einer zickigen Hutmacherin. Sogar um Mitternacht musste Veronika noch in der Hutmacherei mit Wasser den Boden für die gallige Chefin schrubben.

„Weil meine Enttäuschung der Lehrzeit so unheimlich groß war, meldete ich mich im Herbst 1941 freiwillig zum Arbeitsdienst“, schildert Veronika Kempf-Obermüller ihre weiteren Jahre, die sie nach Flensburg brachten. „In der Kaserne mussten sich alle Mädchen ganz ausziehen und nackt durch einen langen Gang zum Militär-Arzt laufen. Vor seinem Sprechzimmer warteten wir frierend, bis wir aufgerufen wurden“, schildert die Biographin, die heute im Landkreis Augsburg lebt, unverblümt die rüden Ausmusterungs-Methoden im Krieg. Zur Genesung landete sie nach dem Krieg in Kempten im Allgäu, um mit Höhenluft eine bösartige Kiefervereiterung auszukurieren.  Damals war das Essen knapp: „Von den hungrigen Menschen wurden auch Würmer und Schnecken verschlungen.“ Sie vergrub trotz Lebensgefahr Wehrmachts-Waffen und sperrte ihre Türe vor den Soldaten zu, die hinter den Mädchen her waren: „Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung…“

Im Allgäu lernte sie ihren späteren Ehemann Adi Kempf aus Ottmarshausen kennen, der  in englische Gefangenschaft kam: „Er schrieb mir eindringliche Briefe voller Liebe und Zärtlichkeit.“ Sie heirateten 1946. Adis Mutter meinte vor dem Standesamt trocken: „Sie sind so schön. Was wollen Sie von diesem Nichtsnutz?“ Ihre Kempf-Ehe entwickelte sich langsam aber ständig zum Kampf, zum Martyrium. Adi arbeitete in der Lab- und Sägefabrik von Ottmarshausen, und seine Gattin, die sich auch mit Malerei und Mode beschäftigte, wurde von der Dorfbevölkerung als „gspinnerte Preußin“ misstrauisch beäugt. „Du Depp, du Blöder! Hast du keine andere Arbeit gehabt, als der ein Kind zu machen?“, lauteten die quälenden Worte von Veronikas Schwiegermutter, die die erste Schwangerschaft der Sauerländerin zur Hölle werden ließen.

Als Veronikas treuloser Mann sie mit anderen Frauen hinterging und „Orgien in München feierte“, da bekam sie eine schmerzhafte Gürtelrose: „Mir ging es dreckig, aber ich biss die Zähne zusammen.“ Tapfer, offen und ohne Rücksicht auf „die Scheinheiligkeit ringsum“ beschreibt die Schriftstellerin packend den Untergang ihrer Träume von einer harmonischen Familie, weil die schwierigen Umstände es nicht zuließen. Ihr Familienleben endete beim Tod ihres Mannes in einem Chaos aus Tränen, Sorgen, Kummer und Depressionen: „Erst durch die aufregende schriftstellerische Arbeit mit Dr. Mäckler konnte ich das Trauma, entstanden durch die schlimmen Erlebnisse in meiner Vergangenheit, endgültig überwinden“, kann Veronika Kempf-Obermüller jetzt wieder beim Erzählen den Zuhörer positiv gestimmt anlächeln.