In der Biographiearbeit ist nicht nur unser Kopfgedächtnis relevant, sondern auch – und ich glaube sogar viel mehr – unser Körpergedächtnis, denn all unsere Erlebnisse speichern sich nicht nur im Bewusstsein. Wer sich daher für Funktionen und Möglichkeiten unseres Körpergedächtnisses interessiert, findet in Joachim Bauers Buch eine wissenschaftlich fundierte und inspirierende Fundgrube.

Aus der Verlagsinformation: Sind es nur die Gene, die unser Wesen unveränderbar bestimmen? Welche Rolle spielen Erfahrungen und Erlebnisse bei der Steuerung unserer Lebensprozesse? Diese Frage bewegt nicht nur seit Jahrhunderten Philosophen, Soziologen und Psychologen – das Wechselspiel zwischen Erbanlagen und Lebensumständen ist auch eines der großen Forschungsfelder der modernen Medizin und Neurowissenschaften.

Joachim Bauer zeigt in Das Gedächtnis des Körpers, wie Beziehungserfahrungen und Lebensstile ihren „Fingerabdruck“ in den biologischen und genetischen Strukturen unseres Körpers hinterlassen: Umweltreize bewirken Veränderungen in den Feinstrukturen unseres Nervensystems und regulieren die Aktivität der Gene, seelischer Stress beeinflusst die Entwicklung des Gehirns; traumatische Erfahrungen wie erlebte oder auch miterlebte Gewalt können als genetischer Fingerabdruck gespeichert werden und noch Jahre später als physiologische oder psychosomatische Krankheiten wirksam werden – mit entsprechenden Auswirkungen und Chancen für Diagnostik und Psychotherapie.

Unser Gehirn besitzt die faszinierende Fähigkeit, subjektive zwischenmenschliche Erlebnisse in objektive biologische Signale zu verwandeln. Der Autor zeigt, dass wir durch unsere Gene nicht nur gesteuert werden, sondern dass umgekehrt Erlebnisse und Erfahrungen einen Effekt auf die Aktivität unserer Gene ausüben.

Sowohl gute Beziehungen als auch Angst und Stress regulieren Gene, mit unmittelbaren Folgen für die Produktion von Hormonen und zahlreichen Botenstoffen. Erlebnisse steuern u. a. auch solche Gene, die im Gehirn die Verschaltungen von Nervenzellen beeinflussen und Nervenzellen wachsen lassen oder zerstören können. Dies bedeutet, dass sich das Gehirn, abhängig von dem, was wir erleben und gestalten, in einem permanenten Umbauprozess befindet.

Vor diesem Hintergrund zeigt das Buch, welche zum Teil alarmierenden Konsequenzen sich aus nicht gelungener zwischenmenschlicher Beziehungsgestaltung, aus persönlichen Gewalterfahrungen und aus dem Konsum der durch Medien dargebotenen Gewaltmodelle ergeben. Sogenannte „Spiegel-Nervenzellen“ speichern miterlebte bzw. in den Medien gesehene Verhaltensweisen anderer Personen im eigenen Gehirn so ab, dass daraus eigene Handlungsprogramme entstehen. Was Kinder sehen, hat also neurobiologische Folgen! Aus zahlreichen spannend und verständlich dargestellten Forschungsergebnissen leitet der Autor neue Sichtweisen auf verschiedene Erkrankungen ab: Dies gilt vor allem für die Depression, durch die sich, wie Studien zeigen, z. B. das Herzinfarktrisiko um ein mehrfaches erhöht. Besonders informativ sind die Kapitel zum Burnout-Syndrom (mit einem Exkurs über die Misere der Schule und der Lehrer) sowie über die Entstehungsgeschichte chronischen Schmerzerkrankungen. Betroffen machen die Ausführungen des Buches zu den Trauma-Folgekrankheiten, zu denen auch die zunehmenden Borderline-Erkrankungen junger Menschen zählen. An eine Psychopharmaka-Kritik schließt sich eine Darstellung von Forschungsergebnissen an, die zeigen, dass Psychotherapie (verstanden als heilende zwischenmenschliche Beziehungserfahrung) nicht nur seelische Effekte hat, sondern nachgewiesener Maßen auch nachhaltige positive Auswirkungen auf neurobiologische Strukturen hat.