Es gibt Lebensgeschichten, die machen Mut. Die Autobiographie der 27-jährigen Sarah Neef macht noch mehr. Sie führt uns das scheinbar Unmögliche vor Augen: eine Geschichte unglaublicher innerer Stärke. Wenn sie überhaupt vergleichbar ist, dann vielleicht mit der Autobiographie von Bettina Eistel, die ich Ihnen vor kurzem vorgestellt habe.
„Wie kann ein gehörloses Mädchen mit Begeisterung zur Musik tanzen? Wie ist es in der Welt der Stille, die doch gleichzeitig voller Gefühl, Sprache und Rhythmus sein kann? Ich kenne diese Welt. Ich lebe in ihr. Meine Aufzeichnungen führen Sie dorthin.“ Sarah Neef spricht fünf Sprachen, die sie noch nie in ihrem Leben gehört hat. Sie tanzt Ballett, ohne die Musik zu hören. Die 27-Jährige ist seit ihrer Geburt taub.
„Man darf Taubheit“, so schreibt sie, „nicht als Feind sehen, denn man kann sie nicht ‚besiegen.‘ Aber man kann viele der Einschränkungen, die sie mit sich bringt, überwinden. Wichtig ist nur, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.“
Sie meistert die Schulzeit mit Bestnoten und schließt ein Psychologiestudium ab – unter Schwierigkeiten, die wir Hörenden uns kaum vorstellen können. So nehmen die spezifischen Probleme hörbehinderter Menschen einen breiten Raum in Sarah Neefs Buch ein, in dem sie nachfühlbar die Schwierigkeiten im Alltag, in Schule und Universität vor Augen führt und zeigt, mit welchen Vorurteilen unsere Gesellschaft immer noch mit sogenannten Behinderten umgeht.
Als ehemaliger Waldorf-Schüler, der ich auch bin, erkenne ich viele der unguten, traumatisierenden Verhaltensweisen wieder, die Sarah Neef an der Rudolf Steiner Schule in Stuttgart widerfahren sind. Ob dort wirklich eine „Erziehung zur Freiheit“ stattfindet, wie sie ihr Gründer vor 100 Jahren anstrebte, oder unter den Anthroposophen längst nur noch sektiererische Uniformität und frömmelnde Heuchelei vorherrschen, sei dahingestellt. Ich empfand Waldorfschulen als das kleinere Übel der Schulpflicht. Ähnlich wird es vielleicht Sarah Neef und ihren Eltern ergangen sein.
Am besten, Sie lesen das Buch selbst! Es bietet einzigartige Einblicke in eine lautlose Welt. Zugleich ist es eine Motivationsgeschichte für alle, denn es zeigt auf beeindruckende Weise, wie man aus eigener Kraft Grenzen überwindet und Widerstände meistert. Das Leben ist ein wunderbares Abenteuer, scheint es uns entgegenzurufen. Machen wir das Beste daraus!
Und besuchen Sie Sarah Neefs Homepage – vielleicht interessiert Sie das eine oder andere Seminarangebot.
Ich kann mich dem Fazit nur anschließen: Lesen!
Neben einer sehr eindringlichen Einführung in die Welt der Gehörlosigkeit, habe ich erfahren, wie gedankenlos man oft Menschen begegnet, die anders sind. Auch, aber nicht nur aus Böswilligkeit, sondern viel öfters aus schierer Unwissenheit, unterschätzt man Menschnen mit Handicap in ihren Fähigkeiten und legt ihnen unnötig Steine in den Weg.
Das Buch ist ein „Augen-Öffner“ und lehrt einen offener und neugieriger mit Menschen und Phänomenen umzugehen, die man nicht kennt.