Dieses Buch macht schweigsam, auch wenn der große Rhetor Walter Jens dies wohl zu allerletzt gewollt hätte, war für ihn doch, wie sein Sohn Tilman Jens einfühlsam und bildhaft beschreibt, kluges Reden eine Tugend.

„Szenen meiner Kindheit werden wieder lebendig. Bei Tisch galt (…) nur das eine Tabu: Wehe Dir, Du schweigst! Wer stumm vor sich hinlöffelte, wurde wenig später – ob es sich nun um einen Spielfreund oder um einen Universitätsprofessor handelte – als dumpfer Zeitgenosse gebrandmarkt und brauchte nicht wiederzukommen. Stille, für meinen Vater, den Wortmenschen mit so viel Herz und Emotion, ein Albtraum! Das neugierige Parlieren galt als Synonym eines behaglichen Lebens.“

Nun ist dieser „Albtraum“ Wirklichkeit geworden. „Walter Jens, mein Vater, ist dement. Sein Gedächtnis ist taub, die Sprache versiegt. Die Blicke sind hohl und verloren.“ Er muss wieder gewindelt werden, seine Tage und Nächte mit Babyfon überwacht  – wie als Säugling, nur dass seit seiner Geburt 86 Jahre vergangen sind.

Angesichts des Todes – so scheint mir – können Worte nicht greifen, und auch eine Demenz als dessen Vorbote bleibt in der Sprachlosigkeit haften, selbst wenn sie detailreich beschrieben wird. „Das allmähliche Vergessen begann im Jahr 2004“, lesen wir in der Verlagsankündigung des Buchs, „nur wenige Wochen, nachdem in den Medien ausführlich diskutiert wurde, dass Walter Jens 1942 Mitglied der NSDAP gewesen ist. Kann es sein, dass diese alte Geschichte die Demenz ausgelöst oder zumindest beschleunigt hat?“

Die Frage – kontrovers beleuchtet – nimmt einen breiten Raum in den publizierten Erinnerungen des Sohnes ein: Warum Walter Jens seine (wohl kurze und harmlose) Vergangenheit in der Nazizeit bis zuletzt geleugnet hat – wie so viele Vorzeigemenschen, als seien sie bereits im Kern besser gewesen als die Millionen Mitläufer, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, über die kein Wort verloren wird.

Dass solche Diskussionen rhetorisch sind, belegt Tilman Jens‘ lesenswerte Buch auf beklemmende Weise. Als sei über den Menschen Walter Jens und sein Werk alles gesagt, und nur noch ein dunkler Fleck von öffentlichem Interesse – die terra incognita der letzten Fragen. Schade, dass sie sich an einem solchen banalen Thema entzünden – dem kleinen Fehltritt eines bedeutenden Menschen, der wie alle anderen auch den Weg alles Irdischen geht.