Gestern erhielt ich ein lobendes Feedback zu meinem Schreibkurs – von der Biographin Silvia Dammer, die den 100-Wochen-Kurs ihrer Mutter geschenkt hat. Hier ihre Mail, die gleichzeitig eine Frage an alle Biographen enthält. Was sind Eure Erfahrungen dazü
Lieber Andreas,
momentan ist meine Mutter noch in der Geschichten-Sammelphase und sie füllt akribisch ihre Karteikarten aus. Es macht ihr Freude, mit deinem Material zu arbeiten. Ein-, zweimal war sie ein wenig ungeduldig und wollte schon den nächsten Lehrbrief haben. Im Großen und Ganzen allerdings findet sie (sie ist 74) die Arbeitsportionen ausreichend. Das Schöne an dem gemeinsamen Projekt: Wir haben lange nicht mehr so intensiv miteinander gesprochen.
Übrigens habe ich ein anderes Problem, was wir unter den Kollegen vielleicht mal zur Diskussion stellen könnten:
Eine Lebensgeschichte sollte lebendig und auch sinnlich erzählt werden.
Wie verhält man sich als Biograph, wenn der Klient absolut auf seinen Formulierungen beharrt, die statisch udn gekünstelt im Stil eines Lageberichtes daherkommen?
Ich habe gerade so einen Fall und bin geneigt, auszusteigen. Der Klient hat den Text selbst geschrieben: im schönsten Bürokratendeutsch, kein Satz unter 50 Worten, Adverbialkontruktionen en gros (Der mit Fernglas das Gebäude schon lange beobachtende, mit einem Kradmantel bekleidete Soldat lag längs der am Hang liegenden Landstraße zwischen T. und L ca. 20 m jenseits des Busches, der das Gebäude verdeckte, und vernahm das Flupp-Flupp der Granatwerfer, bevor er tödlich getroffen wurde. 😉 Ich habe das Material mindestens einmal wütend in die Ecke geworfen.
Alle meine Lektoratsvorschläge führen nur dahin, dass der Klient sich im Text nicht mehr erkennt und auf seinen Formulierungen besteht.
Hinzu kommt noch ein großer Altersunterschied zwischen mir und dem Klienten und die Tatsache, dass er ein Mann ist, immer der Befehlsgeber war und keinen Widerspruch gewohnt ist. („Ich habe 50 Jahre lang sehr gute Berichte geschrieben, die immer gelobt wurden. Sollen sich so viele Leute geirrt haben?“ – Kunststück: Wer kritisiert schon seinen Chef?) Mir bleibt nur, den Text zu korrigieren, aber es wird nie ein lesbares Buch daraus werden. Mein Auftrag – und ich sehe ihn immer noch so – bestand aber darin, aus dem Text ein lesbares Manuskript zu machen, das Grundlage für eine lebendige Autobiographie ist.
Wie würdet Ihr euch in diesem Fall verhalten?
Liebe Grüße
Silvia
www.biografischer-dienst.de
Liebe Silvia,
ich habe dazu die pragmatische Haltung eines Script Doctors: So lange mein Klient meine Arbeitsstunden bezahlt, kann er sie nach Belieben in Anspruch nehmen. Als Script Doctor ist es zwar meine Aufgabe, Patienten – äh Manuskripte 🙂 – zu kurieren, aber manche erweisen sich als unheilbar. Das gehört zu unserem Leben dazu, dass nicht alles so läuft, wie wir es gern hätten und den Regeln der Kunst entspricht.
Eine befreundete Psychotherapeutin pflegt ihren Patienten zu sagen: „Ich brauche Ihren seelischen Müll nicht. Aber wenn Sie ihn bei mir entsorgen wollen, kostet das EUR 80,- pro Stunde.“ So ähnlich handhabe ich es auch – mit gutem Erfolg. Ich bin der Überzeugung, dass sich Kunde und Biograph „finden“ und bisweilen auch wieder trennen müssen.
Vor einiger Zeit hatte ich eine missglückte Firmenpräsentation. Einer der Manager resümierte nach einer halben Stunde bedauernd: „Die Chemie zwischen uns stimmt leider nicht. Vielen Dank für Ihren Besuch, auf Wiedersehen.“ Nicht alles führt zum Erfolg.
Auch wenn ich persönlich Distanz zu meinen Kunden pflege, um mich so konzentriert wir möglich ihrer Biographie zu widmen, sind bei mir durch die Arbeit viele Freundschaften entstanden. Morgen beispielsweise besuche ich „meine geliebte Freundin“ Frau Obermüller, die jetzt ihre zweite Biographie mit mir realisieren will. Die erste hat hier im Landkreis für ziemliche mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Da kam einfach alles zusammen: eine spannende Biographie, eine Kundin, die zum Wagnis bereit war, ein guter Biograph (ich 🙂 ) und ein Journalist, der den Stoff „sensationell“ in der Presse lancierte.
Also mein Rat: Kopf hoch und heiter weiter! Es kommen auch wieder Kunden „zum knutschen“! Ich stelle mir in schwierigen Fällen vor, andere Menschen haben bisweilen ebenso wenig Freude mit ihrer Arbeit – beispielsweise Lehrer renitenter Pennäler… Da hilft oft nur noch Humor und unerschütterlicher Optimismus. Wichtig ist, sich als Dienstleister nicht mit Pauschalbeträgen knebeln zu lassen. Als Biographen sind wir Handwerker wie andere auch. Kein Installateur käme auf die Idee, auch nur eine Stunde unberechnet zu arbeiten (von Kulanzfällen abgesehen).
Herzlichst
Andreas