Nach dem 19. Oktober 2015 brauchte ich einige Tage, bis mir bewusst geworden war, warum mich im Fall Akif Pirinçci die Frage zur Verhältnismäßigkeit zwischen Delikt und anschließendem Strafaufgebot bis hin zur öffentlichen Schändung so stark beschäftigt, obwohl ich keine persönliche Beziehung zu dem Autor habe und seine Pegida-Rede in Dresden vom 19. Oktober 2015 ebenso empörend empfinde, wie vermutlich Millionen andere Menschen auch (gleichwohl bin ich ein Bewunderer seiner schriftstellerischen Kunst, insbesondere der Katzenkrimis).

1992 boykottierte der Buchhandel mein erstes Buch mit dem Künstler Gottfried Helnwein, „Malerei muss sein wie Rockmusik“, im renommierten Verlag C. H. Beck erschienen. Bei einer Startauflage von 10.000 Exemplaren und rund 7.500 Vorbestellungen wurde damals nach Erscheinen des Buchs etwa die Hälfte vom Buchhandel sofort wieder an den Verlag zurückgeschickt, als in den Medien verbreitet wurde, dass Helnwein Scientologe ist, und gegen Scientology wurde in dieser Zeit gerade exzessiv öffentlich gehetzt. Der Verlag verramschte daraufhin den Rest der Auflage und ich bekam kein Honorar mehr – was nicht lustig ist, als Autor, der vom erfolgreichen Verkauf seiner Arbeit leben möchte, unschuldig in dieser Form abgestraft zu werden.

Bei Gottfried Helnwein, mit dem ich seit der Zusammenarbeit an zwei Büchern über sein künstlerisches Werk nach wie vor befreundet bin, wurden die persönlichen Anfeindungen und Ausstellungsboykotts damals so stark, dass er aus Deutschland wegzog – nach Irland und später nach Los Angeles; inzwischen ist er einer der erfolgreichsten Künstler österreichischer Herkunft weltweit. Ich hatte Mühe, u.a. in einer Befragung durch den Verfassungsschutz, darzulegen, dass ich (bis heute) mit Scientology nie etwas zu tun hatte und es mir einzig um das Schreiben eines substanziellen, spannenden Künstlerbuchs ging, von dem auch zwei Jahrzehnte später, 2011, das Magazin „BogArt“ noch schrieb: „Mäckler hat Helnwein über viele Tage befragt und herausgekommen ist dabei eines der aufregendsten und ungewöhnlichsten Künstlerinterviews.“

Diffamierung als Prinzip der Ausgrenzung

Diesen Buchhandelsboykott eines Werks, das objektiv gut war, habe ich bis heute als ungerechtfertigt und persönlich verletzend empfunden, denn in dem Buch stand nichts von Scientology oder gar einer „Scientology-Kunst“. Wenige Jahre vorher, von 1985-1992, hatte ich zwei Bücher (inklusive meiner Dissertation) zur anthroposophischen Malereigeschichte erarbeitet und publiziert (u.a. beim Dumont Buchverlag), und musste bereits bei diesem Thema Diffamierung in Fachkreisen erleben („Sektenkunst“, „völlig irrelevant in der Kunstgeschichte“, „keine akademische Laufbahn möglich mit diesem Thema“). In diesem Jahr, 2015, wurden meine Arbeiten zur anthroposophischen Malereigeschichte u.a. in dem Katalog Aenigma – 100 Jahre anthroposophische Kunst gewürdigt, der in drei Sprachausgaben ediert wurde (tschechisch, deutsch, englisch).

2010 brach in der Wikipedia ein Shitstorm gegen mich los, der auch in anderen Medien, beispielsweise der taz, mit Entsetzen kommentiert wurde. Und schaue ich mir derzeit die Diskussionen und Artikelergänzungen zu Akif Pirinçci in der Wikipedia an, wo deren Betreiber in Anspruch nehmen, lexikalische, objektiv relevante Sachartikel zu verfassen, dann kann ich nur auf meine Beobachtungen zu diesem Thema verweisen: „Diffamierung in der Wikipedia“.

Angemessenheit der Strafmittel?

Bei all diesen persönlich erlebten Diffamierungen als Autor bis hin zum Buchhandelsboykott, deren Dimension in keinster Weise an das Inferno heranreicht, das Akif Pirinçci nunmehr widerfahren ist, konnte ich eines feststellen: Es ging nur selten um sachliche, kluge Kritik zum Thema, sondern zumeist um Ausleben niederer Instinkte und oberflächlichen Reflexionen bis hin zur Dummheit, die von oben herab sowie aus der Deckung der Anonymität heraus an einzelnen Menschen ausgetragen wurde, die mit ihrem Werk objektiv etwas Großartiges geschaffen hatten, ohne jedoch den Rückhalt eines deckenden, korrupten Polit- und Industriesystems zu haben, wie wir es nicht nur in afrikanischen Staaten der „dritten Welt“, sondern auch hier in Deutschland vorfinden.

Was daher dem in rund 30 Jahren erstellten und millionenfach mit Freude und Spannung gelesenen literarischen Werk von Akif Pirinçci in den letzten Wochen widerfahren ist, empfinde ich als erschreckend und beschämend zugleich! Vor allem schäme ich mich für die vielen Autorenkollegen, die der Abstrafung des Schriftstellers durch Medien, Verlage, Buchhandel und öffentliche Bibliotheken hirnlos applaudiert haben – letztlich wohl auch aus dem tiefsitzenden Neid und der Frustration heraus, kein annähernd so erfolgreiches Werk zustande gebracht zu haben wie der Gescholtene.

Zu diskutieren wäre, ob ein literarisches Gesamtwerke überhaupt als Strafmittel angemessen ist, um seinen Autor wegen einer partiellen Verfehlung abzustrafen: Die Kunst- und Literaturszene ist voller Verrückter und Fehler (auch grobe) machen wir alle hin und wieder. Im Härtefall kann man dafür vor Gericht angeklagt und bestraft werden, aber nach Ableistung der Strafe sollte der Gerechtigkeit genüge getan sein, oder nicht? Doch was nach der zu verurteilenden PEGIDA-Hassrede gegen Akif Pirinçci und seinem literarischen Werk an Bestrafungsinstrumenten aufgeboten worden ist, halte ich für völlig unverhältnismäßig!

Konzerne wie Random House und Amazon als moralische Instanzen?

Mehrere Wochen lang wurde selbst bei Amazon, wo nahezu alles verkauft wird, kein Buch von Akif Pirinçci mehr angeboten. War das nicht bereits des Strafens zu viel? Nicht nur der Autor wurde damit ja bestraft, sondern ebenso die vielen Händler, die über Amazon Marketplace und den restlichen Buchhandel Bücher verkaufen, bekamen die Strafaktion wirtschaftlich zu spüren, und letztlich wurden wir Leser bestraft, indem wir nicht mehr frei wählen konnten, was wir kaufen und lesen! Wenn einzelne Bücher indexiert und gerichtlich verboten werden, kann ich das verstehen und in Einzelfällen gutheißen. Doch hier wurde ein Gesamtwerk von Katzenkrimis und anderen Spannungsromanen mit ein paar Klicks ín der Lieferbarkeit deaktiviert, was letztlich – im Verbund mit dem Auslieferungsstopp von Random House und Buchhandels-Grossisten – einem Verbot der Bücher von Akif Pirinçci gleichkommt.

Dass sich ausgerechnet Pirinçcis Verlag Random House und Amazon moralisch aufspielten, wo beide Konzern u.a. auch Nazi- und Kolonialliteratur edieren und verkaufen, inklusive all der anderen rassistischen, homophoben, frauenfeindlichen und sonstigen handelsüblichen Literatur in ihrem Angebot – da merkt man schon, wie lächerlich und unglaubwürdig solche Konzerne sich mit ihrem Boykott gegen Akif Pirinçci machten. In England beispielsweise wird Hitlers Hetzschrift, „Mein Kampf“ von Jaico Publishing House ediert, das zu Random House gehört, und u.a. von Amazon sowie dem übrigen Buchhandel vertrieben. So viel zur Doppelmoral der Konzerne und des Buchhandels, die jetzt Akif Pirinçcis Katzenkrimis und andere Romane abstrafen.

Ich war dann gespannt, wann die ersten Stadtbibliotheken die Entfernung seiner Bücher aus dem öffentlich zugänglichen Bereich melden würden, und wir mussten darauf nicht lange warten. Man stelle sich die übereifrigen Bibliothekare vor, die in Eigenjustiz Akif Pirinçcis Bücher aus dem Publikumsbereich entfernt haben (die dort immer noch, seit rund zwei Jahrzehnten, zu den Top 5-10 der meistgelesenen Büchern gehören). Da mag die Frage erlaubt sein: Ist es akzeptabel, wenn öffentlich finanzierte Institutionen des Buchhandels eigenmächtig Strafjustiz betreiben, ohne dass irgendein Gerichtsurteil gegen Akif Pirinçci und damit auch kein gesellschaftlicher Auftrag vorliegt – nur aus einem sogenannten „gesunden Volksempfinden“ heraus, von dem irgendwelche Funktionäre glauben, es zu repräsentieren?

Ich wünschte uns allen wirklich mehr Besonnenheit in diesem Fall, der sicherlich in die Literatur-, aber auch in die Rechtsgeschichte eingehen wird! Denn natürlich kann jeder Mensch selbst entscheiden, ob er nach dem Eklat die Bücher von Akif Pirinçci weiter liest oder boykottiert, aber ein derart politisch und wirtschaftlich gelenkter Boykott von oben herab auf die Leser erinnert mich an Systeme, von denen wir in Deutschland dachten, sie überwunden zu haben.

Akif Pirinçci wehrt sich – juristisch und publizistisch

Jetzt dürfen wir gespannt sein, wie sich Akif Pirinçcis Klagewelle entwickelt, die er derzeit mit dem Anwalt Joachim Steinhöfel gegen rund 100 Personen und Unternehmen eingeleitet hat, wegen Verleumdung, Geschäftsschädigung etc. Einige Erfolge vor Gericht hat er schon zu verzeichnen, und man müsste bar jeglichem wirtschaftlichen und juristischen Einschätzungsvermögen sein, zu glauben, Akif Pirinçci würde keine weiteren Prozesse gewinnen. In der Gesamtsumme geht es wohl um Millionen – ich wünsche ihm nach dieser beispiellosen Hetzjagd auf ihn und sein literarisches Gesamtwerk, dass er sie auch bekommt. Manchmal leben wir in einer Schlangengrube, und das merkt man an solchen Fällen besonders deutlich. 😉

Weitere Infos zu dem Fall auch im Blog des Autors: www.der-kleine-akif.de