Wie über eine frühere Geliebte schreiben, die am 7. April 2017 gestorben ist? Zuletzt telefonierten wir im Winter 2016 miteinander, da hatte der Krebs sie zweifach gepackt. Cordula wollte mich mit einem russischen Filmemacher bekannt machen, der vorübergehend in meiner Gegend wohnte und vielleicht Unterstützung gebrauchen konnte; sie habe sich etwas in ihn verliebt, fügte sie hinzu. So war sie: bis zum Schluß verliebt in Männer, die weit entfernt oder sonstwie nicht erreichbar waren. Zu einer dauerhaften Liebesbeziehung, bürgerlichem Zusammenwohnen oder gar Familie hatte es bei ihr nie gereicht.


Als ich im Sommer 1985 in einen Seitenflügel des Schlosses von Friesenhausen zog (bei Hofheim/Ostunterfranken), um meine Dissertation zu schreiben, wurde mir schnell das Bibliotheks- und Informationszentrum (BIZ) Haßfurt zur zweiten Heimat, weil ich dort via Fernleihe die vielen Bücher zur Doktorarbeit bekam. So lernten wir uns kennen, die BIZ-Leiterin Cordula Kappner und ich, und Anfang 1986 wurden wir ein Liebespaar. Dann reiste Cordula im Spätsommer des gleichen Jahrs nach Israel und kam mit einem Gabriel zurück; sie konnte sich schnell ver- und entlieben, insbesondere, wo unser großer Altersunterschied ihr Sorgen für die Zukunft bereitete. So blieben wir Freunde. In meiner Anthologie Was ist Liebe..? 1001 Zitate geben 1001 Antworten aus dem Jahr 1987 steht: „Dank sei dem Bibliothekszentrum Haßfurt, besonders Cordula Kappner, die mit viel Zuneigung und Hilfe diesem Kompendium nahe war.“ Über diese Formulierung lachten wir auch später noch.

Was bleibt? Vor der Todesnachricht waren es bei mir vor allem schöne erotische Erinnerungen, und es stimmt natürlich auch, was Jahrzehnte später Angehörige und Freunde in der Todesanzeige über Cordula schreiben: „Wir trauern um einen besonderen Menschen: großzügig, aufrichtig, unangepasst, ehrlich, weltoffen, energisch und zutiefst menschlich.“

Cordula war intelligent, klug und belesen, von rascher Auffassungsgabe; ihr Arbeitstempo im BIZ atemberaubend, wie ohnehin Effizienz eine ihrer Eigenschaften war. Sinnstiftende Arbeit brauchte sie, um nicht am banalen Alltag und Leben zu verzweifeln. Sie litt an Minderwertigkeitskomplexen, weil ihr Busen zu klein und ihr Verstand zu groß war für die Männerwelt, wie sie meinte; ihr Humor diente als Mittel gegen Depressionen und zur Lebensbewältigung. Inmitten der ostunterfränkischen Gutbürgerlichkeit war sie ein Exot; das Wort „unangepasst“ trifft es recht gut. Sie war eigen. Ich glaube nicht, dass viele Menschen Cordula Kappner in ihrem Wesenskern erfasst haben oder gar verstehen konnten. Gleichwohl empfand sie die zunehmenden öffentlichen Ehrungen gegen Ende ihres Lebens als Bestätigung ihrer Arbeit.

„Am Freitag starb Cordula Kappner nach langer Krankheit mit 75 Jahren“, schreibt der Fränkische Tag am 11. April 2017. „Mit der früheren Leiterin des Bibliotheks- und Informationszentrums in Haßfurt verliert der Landkreis eine seiner profiliertesten Persönlichkeiten, vor allem eine moralische Instanz: Cordula Kappner hat sich einen Namen gemacht als akribische Sucherin nach Spuren jüdischen Lebens unter dem Nationalsozialismus.

Geboren in der ehemaligen DDR, reiste sie 1962 mit ihrer Familie in den Westen. Ihr Vater war evangelischer Pfarrer. 1978 kam Cordula Kappner als Bibliothekarin nach Haßfurt, wo sie am neuen Schulzentrum das Bibliotheks- und Informationszentrum aufbaute und sich den Schicksalen aller 250 jüdischen Familien widmete, die unter dem Nazi-Regime im Gebiet des heutigen Landkreis Haßberge lebten. Nahezu alle wurden Opfer von Repressionen, waren zur Ausreise gezwungen oder wurden schließlich zu Beginn der 1940er Jahre in den Konzentrationslagern im Osten getötet. Akribisch zeichnete Kappner Lebenswege auf, sprach mit Zeitzeugen und brachte dieses Wissen durch Ausstellungen in vielen Orten des Landkreises an die Öffentlichkeit. So wurden Jahre der braunen Herrschaft vor Ort für die jüngere Generation greifbar, was Cordula Kappner zeitlebens ein Herzensanliegen gewesen ist – ebenso wie ihre Kontakte zu den Nachfahren der jüdischen Familien.

Dafür erlebte sie private Anfeindungen, aber auch hohe Ehrungen: Cordula Kappner erhielt unter anderem 2005 das Bundesverdienstkreuz, 2004 vor allem den German Jewish History Award der Obermayer Foundation, eine der renommiertesten Auszeichnungen für Verdienste um das deutsch-jüdische Zusammenleben. Es gibt etliche Veröffentlichungen von Cordula Kappner, die bekannteste ist die Buchführung des Todes.

Inmitten der furchtbaren Schicksale fühlte sie sich vielleicht weniger einsam, insbesondere bei ihrer täglichen Arbeit, weltweit die Nachkommen der im Landkreis Haßberge ermordeten Juden zu ermitteln und auf diese Weise Familienangehörige auch nach deren Tod wieder mit den Lebenden zusammenzuführen; so unterhielt Cordula Kappner bis an ihr eigenes Lebensende eine rege Kommunikation.

Ich erfuhr von ihrem Tod erst gestern – eher zufällig.

Wer mehr lesen mag:

Artikel in der Mainpost vom 10.4.2017. Zur öffentlichen Trauerfeier im großen Saal der Stadthalle Haßfurt siehe hier. 

http://www.hagalil.com/2017/06/cordula-kappner/

Artikel in der FAZ vom 27.5.2008

Cordula Kappners Arbeit weiterführend: Vergißmeinnicht. Eine Wanderausstellung gegen das Vergessen