Mit unseren Freunden sterben auch die Erinnerungen an frühere Zeiten. Als kürzlich Bernd Mlodoch anrief, hätte ich nicht erwartet, dass er mich über den Tod eines gemeinsamen Freunds informieren würde: Joachim Krass, den alle Jochen nannten, ist in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 2020 in Koblenz an unheilbarem Krebs gestorben; die letzten Monate seines Lebens müssen schmerzhaft gewesen sein, nur durch gespritzte Schmerzmittel gelindert.

Ich hatte Jochen zuletzt im Frühling 2019 in seiner Marburger Dachwohnung im Wehrdaer Weg besucht, die immer noch so studentisch wie vor 30-40 Jahren aussah, als wir uns kennenlernten. Ich weiß nicht mehr, auf welchem der zahlreichen Floh- und Kunsthandwerkermärkten irgendwo im Umkreis von 50-300 Kilometern von Marburg das war: Ich finanzierte mein Studium als „Maler Mäckler“ mit Zeichnen und Verkaufen gedruckter Postkarten und Kalender sowie Original-Miniatur-Aquarellen – sogenannten „Minnis“ –, und Jochen finanzierte sein Studium der Sozialwissenschaften mit der Herstellung von Bilderrahmen und dem Handel mit Bernd Mlodochs feinen Radierungen. Nach unserem ersten Kennenlernen irgendwo auswärts war klar, dass Jochen und ich fortan von Marburg aus an den Wochenenden zusammen auf die Märkte fahren würden, das sparte Kosten und machte auch mehr Spaß. Manchmal begleiteten uns Bernd Mlodoch oder mein Freund Dieter Hajek (Kassel, dann Blickershausen), von dem ich viel über das Zeichnen und Vermarkten gängiger Bilder gelernt hatte und der sich überregional einen Namen als Zeichner und Illustrator machen sollte; in Marburg dabei war auch Ralph Speck, der neben seinem Medizinstudium Cartoons zeichnete und mit dem ich noch heute befreundet bin.

Meist fuhren Jochen und ich vor Sonnenaufgang los, um möglichst früh auf einem der Märkte zu sein und einen guten Standplatz zu ergattern. Mit der Zeit sammelten wir Erfahrungen, was wie und wo am besten lief. Abends gingen wir essen und ließen den Tag mit ein paar Flaschen Bier und Wein im Freien ausklingen; schlafen taten wir im Auto, im Zelt oder unter freiem Himmel mit Isomatte und Schlafsack neben dem Markt. Das war eine schöne, abenteuerliche Vagabundenzeit, selbst dann, wenn uns der Regen einen Strich durch die Rechnung machte und wir ohne Einnahmen wieder nach Hause fuhren („außer Spesen nichts gewesen“). Den letzten Markt, den Jochen und ich zusammen machten, war vor meinem Einstieg ins Berufsleben: Das war 1988 der Weihnachtsmarkt in Offenbach. Wir hatten Standbetreiber in unserem Alter kennengelernt, die alljährlich 10-15 Weihnachtsmärkte bestückten und das restliche Jahr über gut von dem Ertrag leben konnten, das wurde später nicht mehr so leicht möglich – zumindest nicht mit unserem Warenangebot.

Ich arbeitete ab 1989 als Kunstbuchlektor in München und Jochen nahm eine Stelle als Sozialarbeiter in Marburg an. Wir verloren uns aus den Augen, aber immer, wenn ich der Nostalgie wegen von Bayern aus nach Marburg einen Abstecher machte, um auf alten Spuren zu wandeln, besuchte ich Jochen, der bis zuletzt auf mich immer einen fitten Eindruck machte, jahrzehntelang Tennis spielte, auf gesunde Ernährung achtete, nicht rauchte und wenig trank, keine Drogen nahm … und dann diese Nachricht! Traurig. Jochens Asche wird am 19. Juni 2020 um 16 Uhr im Ruheforst Oberweimar beigesetzt.