An kaum einen Menschen, den ich als Biograf in meiner dreißigjährigen Berufslaufbahn begleiten durfte, habe ich derart gemischte Erinnerungen wie an Rudi Gutendorf, genannt Riegel-Rudi. Ein „bunter Hund“ sei er gewesen, was durchaus einschließt, dass er auch ein Schlitzohr war.

In meinem Fall hatte er den Verlag kurz vor Drucklegung dazu überredet, meinen Namen vom Cover „seiner“ Autobiographie Mit dem Fußball um die Welt (2002) zu löschen, die weitgehend ich (mit kleineren Manuskript-Teilen von Heinz Zimmermann) nach Archivrecherchen und Interviews mit Rudi geschrieben hatte. Da musste ich einen Anwalt engagieren, um durchzusetzen, dass mein Name und der von Heinz Zimmermann wieder auf das Buchcover gebracht wurde. Dass ich dann dem Verlag und Rudi entgegenkam und die halben Anwaltskosten übernahm, obwohl ich das nicht hätte tun müssen, wurde mir zur Lehre, NIEMALS mehr nett zu Leuten zu sein, die einen über den Tisch ziehen. Auch später bei  Honorarzahlungen aus dem Buchverkauf beschiss Rudi mich aufgrund eines „special deals“ mit dem Verlag, aber lassen wir das …

Bei seinem nächsten Buch im Verlag Die Werkstatt,  „Machen Se et jut“. Vom Deutschen Eck in alle Welt (2004), toppte Gutendorf sich, indem weder er noch der Verlag in dem 184-seitigen Fotobildband einen Bildnachweis für nötig hielten, geschweige denn irgendwelche Abdruckrechte eingeholt wurden für die Nutzung von Hunderten von Fotos; gezahlt an die Fotografen und Agenturen wurde – meines Wissens – nichts. Auch da reichte ich keine Klage ein. Ja, Rudi war in manchem schon eigen, wenn es um sein Ego und dessen Legendenbildung ging …

Ich erinnere mich gut, wie er mir ausgerissene Seiten aus Abenteuer-Groschenromanen zuschob, damit ich die Stories in seine Autobiografie einflechte nach dem Motto: besser gut erfunden als schlecht erzählt. Zum Beispiel: der Raub eines Babys durch einen Dingo im Australischen Outback. Darüber gab es sogar einen Film – Ein Schrei in der Dunkelheit (1988) -, doch das störte Rudi nicht. In seiner Version rettete natürlich er das Baby seines Assistenz-Trainers, als sie gemeinsam im Australischen Outback picknickten. Die FAZ schrieb daher in einer wohlwollenden Kurzrezension des – weil ich es gut geschrieben habe – vergnüglichen Buchs: „Das Ergebnis: ein bisschen Parzival, wohl nicht wenig Münchhausen, in der Mischung also guter Hemingway für Daheimgebliebene.“

Nun ist Rudi Gutendorf am 13. September mit 93 Jahren gestorben – ein durchaus gesegnetes Alter, um abzutreten. Über seine kleinen Gaunereien kann ich heute auch lachen, nachdem ich ebenfalls viel in Afrika rumgekommen bin: „Jeder bescheisst jeden“, wurde mir dort erklärt – das hat Rudi wohl früh in seiner Trainerlaufbahn kapiert.