Die Jury des Biographiezentrums hat derzeit viel zu lesen, gilt es doch, die nominierten Bücher für den deutschen Biographiepreis 2009 zu küren. Halten sich die Eingaben im Bereich der Privatbiographien leider in Grenzen, so ist die Auswahl der Verlagspublikationen erfreulich größer.

Um es gleich zu sagen: Ich lese nicht jedes Buch. Ziehen die ersten Seiten mich nicht in die Lebensgeschichte hinein, blättere ich nur noch durch und lese stichprobenartig einige Seiten, um mich zu vergewissern, dass es sich um kein Meisterwerk handelt. Ein gutes Buch erkennt der geübte Leser schnell.

Diese Autobiographie von Isabell Steiner habe ich ganz gelesen, denn sie ist sehr gut, vor allem gemessen an der Kategorie „Books on Demand“, die aufgrund des Selbstverlagsprinzips höchst unterschiedliche Niveaus bedient. Die Lebensgeschichte von Isabell Steiner berührt von der ersten Seite an, und das Buch ist ansprechend und wertig produziert.

Stellen Sie sich vor: Eine junge attraktive Stewardess, der die Welt förmlich zu Füßen liegt, erleidet über Nacht im Schlaf einen Stammhirninfarkt mit Locked-in-Syndrom – was das genau ist, lesen Sie am besten selbst (eine Thrombose im Hirn) – und ist völlig gelähmt. Dass sie überlebt, erscheint als Wunder. Nach 16 Monaten kommt Isabell Steiner aus der Klinik und Reha wieder nach Hause und ihr Lebens ist ein vollkommen anderes… Diese „Geschichte meiner Lebenskrise“ hat sich Isabell Steiner von der Seele geschrieben.

Isabell Steiner
Einen Tag noch…
Geschichte meiner Lebenskrise

BoD 2008

Das Buch ist gut geschrieben – aber leider nicht gut genug, um in letzter Konsequenz meine Stimme zu erhalten und sie gegen andere Bücher der engeren Wahl durchzusetzen. Ohne die Autorin und Ihr Werk zu diskreditieren – was ohnehin vollkommen unwürdig wäre, denn jede Lebensgeschichte ist einmalig und wertvoll -, so möchte ich dennoch meine Entscheidung öffentlich begründen, und zwar deshalb: Wird ein Buch publiziert und zu einem Wettbewerb eingereicht, muss es  sich der Kritik stellen, die in diesem Fall positiv ausfällt. Doch die stilistische Schwäche dieser Autobiographie erscheint mir exemplarisch für viele Lebensgeschichten, die von Laien und nicht von erfahrenen Autoren und Ghostwritern verfasst werden. Daher hat meine öffentliche Begründung eine didaktische Funktion, wodurch Sie lernen können.

Eines der wichtigsten Prinzipien des lebendigen Schreibens, wie wir es auch an der Akademie des Biographiezentrums unseren Studenten lehren, lautet: „Show, don’t tell – Erzähle weniger, und zeige mehr!“ Dieses Grundhandwerkszeug wird in jedem besseren Kurs für kreatives Schreiben gelehrt. Doch dieses szenische, sinnliche Schreiben fehlt in Isabell Steiners Buch weitgehend. Es enthält kaum Dialoge, kaum atmosphärische Schilderungen. Die Autorin erzählt in einer durchaus feinen und klugen Sprache, aber sie geht nicht in die (szenische) Tiefe.

Unseren Studenten – auch in diesem Schreibkurs – geben wir in solchen Fällen einen kleine Fragenkatalog in die Hand, der auch Ihnen beim Schreiben helfen wird, Ihre Texte lebendiger zu gestalten.
Konzentrieren Sie sich auf die Szene Ihrer Erinnerung und beschreiben Sie, was Ihre Sinne wahrgenommen haben:

  • Was haben Sie gesehen?
  • Was haben Sie gehört?
  • Was haben Sie gerochen?
  • Was haben Sie geschmeckt?
  • Was haben Sie empfunden und gefühlt?
    Je sinnlicher Sie erinnern, desto sinnlicher können Sie beschreiben.
    _______
  • Wer mehr lernen möchte, dem empfehle ich Stefan Schwidders Ratgeber: „Ich schreibe, also bin ich“ – Schritt für Schritt zur eigenen Biographie