Der Dienstag, 31. August 2011 war ein schöner Tag, denn der Briefträger brachte mir eine Büchersendung ohne Absender. Ich öffnete das braune Kuvert und zog das neue Buch meines Freundes Christoph Poschenrieder hervor: Der Spiegelkasten, frisch von Diogenes ausgeliefert. Ich schlug die ersten Seiten auf und las die Widmung in filigraner Handschrift: „Für Doc Mac, meinen alten Wurstgenossen! Christoph Poschenrieder August 2011“.

Ich schreibe es nicht, weil wir befreundet sind, uns seit Jahren regelmässig alle paar Monate zum zünftigen Weißwurst-Frühstück mit Freunden in der Münchner Gaststätte Großmarkthalle treffen und ich ihm (für eine Freiwurst) schmeicheln müsste: Aber Christoph Poschenrieder schreibt derart brillant, dass mir beim Lesen manchmal der Atem stockte und ich mich fragte, wie man einen alten, historischen Stoff aus dem 1. Weltkrieg szenisch so minutiös und in der Feinzeichnung detailliert in Worten zu Papier bringen kann. War Christoph Poschenrieder – 1964 geboren – dabei gewesen? Wer nicht an Wiedergeburt glaubt, wird diese Frage wohl verneinen.   

In seinem Blog (http://poschenrieder.de/blog/der-spiegelkasten/) liefert der Autor ein Indiz, um diesem Phänomen näher zu kommen: Christoph Poschenrieder recheriert sehr gewissenhaft. Doch Recherche allein bringt noch keinen spannenden, excellent geschriebenen Roman zustande, bestenfalls ein Geschichtsbuch oder eine schlichte Biographie. Wobei wir beim Thema wären, das ich an dieser Stelle kurz bemerken möchte.

Wie schon seinen ersten ausgezeichneten Roman Die Welt ist im Kopf (https://www.meine-biographie.com/2010/neuerscheinung-die-welt-ist-im-kopf/), kann man gerade auch den Spiegelkasten als ein Meisterwerk des historisch-biographischen Romans betrachten, der alle Elemente der biographischen Recherche enthält: Da ist ein Nachgeborener, in diesem Roman praktischerweise ein Münchner Medienbeobachter der Gegenwart, ein „Media Analyst“, der einige alte Fotoalben findet und sich auf die Suche macht, herauszufinden, wer diese Menschen waren, die einst abgebildet, jetzt nur noch vergilbt und patiniert vorliegen. Doch das, was Christoph Poschenrieder daraus in seinem auch sehr tricky komponierten Roman macht, ist Lichtjahre davon entfernt, was Millionen Hobby-Familienforscher zuwege bringen. Deshalb werde ich den Roman auch unseren Schülern in der Akademie des Biographiezentrums als Pflichtlektüre empfehlen. 

Aus der Verlagsinformation: Ein junger Mann vertieft sich in die Kriegs-Fotoalben seines Großonkels aus dem Ersten Weltkrieg. Und je mehr er sich fragt, wie dieser der Hölle unversehrt entkommen konnte, umso tiefer gerät er selbst hinein.

Im Frühling 1915 schreibt der deutsch-jüdische Offizier Ismar Manneberg aus dem Schützengraben einen Brief an eine Frau, die es nicht gibt – ein x-beliebiges Fräulein Müller –, schließlich schicken alle seine Kameraden Nachrichten in die Heimat. Völlig unerwartet erhält er eine Antwort. Die Zeilen der fremden Frau sowie die merkwürdigen Methoden eines Militärarztes helfen ihm, in der schrecklichen Realität des Stellungskriegs nicht den Verstand zu verlieren.

Neunzig Jahre später findet ein Großneffe Ismar Mannebergs dessen Kriegs-Fotoalben und darin auch das verwischte Bild eines ›Spiegelkastens‹. Der junge Mann steckt gerade in einer persönlichen und beruflichen Krise und verliert sich zunehmend in den körnigen Schwarzweißaufnahmen des Irrsinns. Und als eine E-Mail von ›WarGirl18‹ eintrifft, die etwas über den geheimnisvollen Spiegelkasten zu wissen scheint, gerät er vollends aus der Bahn. Weit zurückliegende Ereignisse erlangen eine ungeheure Sprengkraft bis hinein in die Gegenwart. Ein großer Stoff, den man zu kennen meint – aus einer radikal neuen Perspektive erzählt.