»Sie suchen ein Lehrmädchen? Hier ist es!«
Meine Lehre als Hutmacherin 1939-1941

Als ich wieder nach Hause kam, sagte Mutter zu mir: »Kind, du bleibst jetzt daheim!«

Das war allerdings das allerletzte, was ich mit meinen 15 Jahren wollte! »Nein Mutter, ich will Mode-Designerin werden!« Denn ich hatte eine Tante Maria in Münster/Westfalen, die Mode-Designerin war, und das wollte ich auch werden. Zu ihr wollte ich, doch sie nahm mich nicht mehr als Lehrling an, weil sie sich schon zu alt fühlte und den Beruf bald an den Nagel hängen wollte. Sie hatte viel für die Königshäuser in Europa genäht.

Auch Vater war ebenfalls ernsthaft der Ansicht, dass ich zu Hause bleiben sollte. Ich rebellierte: »Ich putze meinen Geschwistern nicht die Schuhe, ich putze nicht das Haus. Ich haue ab!«

Dann sah ich bei einem Spaziergang durch die Stadt im Schaufenster eines Hutladens ein Schild: »Lehrmädchen gesucht.« Sofort stürmte ich in den Laden: »Sie suchen ein Lehrmädchen? Hier ist es!«

Schon am nächsten Morgen konnte ich mit der Lehre anfangen. So wurde ich Hutmacherin. Meine Mutter war natürlich entsetzt, als ich singend nach Hause kam. »Ich hab ‘ne Arbeit! Bei Frau Staubermann!«
»Wieso? Was für Arbeit?« fragte meine Mutter völlig aufgelöst.
»Ich geh ab morgen zur Frau Staubermann in die Lehre! Sie hat ja gesagt. Jetzt muss nur noch Vater ja sagen!«

Alle daheim schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Natürlich fügte sich mein Vater schließlich seinem Schicksal, aber mehr als einmal sagte er: »Wehe, wenn Klagen kommen! Ich höre mir keine Beschwerden an, ich will nix hören!«

Mit Kriegsanfang am 1. September 1939 begann mein erster Arbeitstag. Schon lange war alles, was man für das tägliche Leben brauchte, rationiert worden. So wurde am 20. November auch die Reichskleiderkarte eingeführt, bei der das Bezugsrecht von Textilien nach einem Punktesystem geregelt wurde. Bürger von 14 Jahren an hatten 100 Punkte auf ihren Kleiderkarten, die in Zeitabschnitten eingelöst werden konnten. Für einen Anzug mussten Männer zum Beispiel 60 Punkte hinlegen, ein Frauenkostüm kostete 45 Punkte. Die Skala reichte von einem Punkt für ein Taschentuch bis 50 Punkte für einen Regenmantel. Ein Hut kostete 3 bis 5 Punkte.

Überall herrschte Mangel, aber das war nicht der Grund, weshalb die folgenden drei Jahre meiner Lehrzeit keine schöne Zeit waren. Meine Lehrmeisterin war herrschsüchtig und gemein, eine Ausbeuterin reinsten Wassers. Ich musste arbeiten bis zur Erschöpfung, und dann noch putzen im Keller, in ihrer Wohnung, überall – vor allem auch in meiner Freizeit. Nachts musste ich die Hüte füttern und garnieren, die die Modistinnen angefertigt hatten. Dann die Wäsche der Chefin waschen und bügeln, den ganze Haushalt in Ordnung halten. Das einzige, was ich gern getan habe, war das Dekorieren – das tue ich heute noch gern.

Viel arbeiten, viele böse Worte, das war mein täglich Brot. Ich habe die Lehre nur durchgestanden, weil ich liebenswerte Kunden hatte, die mich als Lehrmädchen schätzten. Doch wegen der Kunden gab es auch oft Streit. Wir hatten eine Kundin, Frau Reh, die immer, wenn sie ins Geschäft kam, zuerst fragte: »Wo ist Veronika«.
Einmal war die Chefin so sauer, dass sie schnippisch zurückfragte: »Gnädige Frau, jetzt muss ich Sie mal ganz höflich bitten: Wer ist denn hier die Chefin? Das Lehrmädchen oder ich?«
Frau Reh war irritiert: »Das tut mir leid, aber ich möchte nur Veronika, weil sie mich immer so gut betreut.«

Auch das Ende meiner Lehrzeit war unschön. Meine Chefin hatte mich wieder einmal geschimpft, ich hätte nicht sauber genug den Boden geputzt. Da nahm ich den Kübel Wasser und schüttete ihn ihr wutentbrannt vor die Füße. Das war nachts um zwölf! Samstags musste ich fast immer durcharbeiten bis Sonntags in der Früh – ohne Frühstück, und auch ohne Abendessen. Morgens musste ich die Hüte rechtzeitig wegbringen, damit die Damen sie zum Kirchgang oder Nachmittagsspaziergang rechtzeitig hatten. Nach einiger Zeit nannte man mich nur noch »Rehkizle«, weil die Leute mich mit meinen Hüten in den Kartons, die ich ausliefern musste, immer nur in der Stadt rumspringen sahen – so sehr musste ich mich beeilen.

Aber man muss nicht glauben, dass ich von den Damen gut behandelt worden wäre oder vielleicht ein kleines Trinkgeld bekommen hätte. Im Gegenteil: Viele waren ungnädig – ich war ja nur das kleine Lehrmädchen, das ließen mich die reichen Leute spüren. Manche machten nur die Tür einen Spalt weit auf und ließen mich die Tüte durchschieben. Und zu Essen bekam ich von der Chefin auch nichts am Wochenende. Sie machte Brotzeit und ließ es sich wohl ergehen, ich starrte auf meine Arbeit. Hunger war damals alltäglich. Als Lohn bekam ich zuerst 1,5o Mark, im zweiten Lehrjahr 2,50 Mark, im dritten 3,50 Mark. Das war noch nicht mal ein Trinkgeld, so ging ich zur Deutschen Arbeitsfront, um mich zu informieren. Da wurde mir gesagt, dass 25 Mark Lohn für ein Lehrmädchen angemessen wären. Doch meine Chefin wollte davon nichts wissen, sie war überaus geizig. Als ich ihr durch die Deutsche Arbeitsfront ein Schreiben zukommen ließ, das auf den Missstand hinwies, bekam sie einen Tobsuchtsanfall. Es war immer die totale Demütigung, aber ich blieb lustig, eine fröhliche Person.

Am 4. Oktober, am Tag des Endes meiner Lehre, packte ich mein Handwerkszeug und ging. Natürlich hat es ihr nicht gepasst, dass ich so abrupt meine Lehre beendete. Ich habe meine Sachen und mein Werkzeug gepackt und ging. Zum Dank hat sie mir noch nicht einmal ein Zeugnis geschrieben. Sie hielt mich fest und ist mir auf die Strasse nachgelaufen. Ich schrie um Hilfe. »Wenn Sie mich nicht sofort gehen lassen, sag ich allen Mädchen, die sich bei Ihnen bewerben, dass sie einen Strick mitnehmen sollen, damit sie sich schon vorher aufhängen können!«
Es war tiefste Nacht und niemand auf der Strasse. So bin ich nach Hause gekommen.

»Was ist mit dir denn los?« fragten alle.
»Ich komme vom Geschäft«, schluchzte ich.
»Die ganze Nacht warst du dort?«
»Ja«, sagte ich. »Sie wollte mich nicht laufen lassen. Sie hat mich festgehalten auf der Strasse und ich hab geschrieen. Ich gehe dort nicht mehr hin! Niemals! Ich bleib jetzt ganz bei euch!«