Der »passive Widerstand«
Die Jahre 1923-1925

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Wenn ich abends mal ausging, kam ich in der Regel nicht weiter als in das Gasthaus Zur Pfalz, das auch Stammlokal von Herrn Mees und etlicher Handwerksmeister war. Zeitweise erschienen dort auch Herr Oberregierungsrat Dr. Jung und Herr Ziegler wie auch mein Nachbar Kaufmann Duttlinger.

Im Februar 1923 war Mees einmal wieder hochpatriotisch in Fahrt, schlug auf den Tisch und meinte: »Mein halbes Vermögen gäbe ich her, wenn die Franzosen draußen wären!« Kaum war das letzte Wort verklungen, steckte der französische Gendarm Minier den Kopf zur Tür herein. Da zog es Mees vom Stuhl hoch: »Wen suchen Sie denn, Herr Minister?« Der schloss still wieder die Tür.

Wenige Wochen später wurde der »passive Widerstand« erklärt und Fritz Mees und Fritz Walter waren die Ersten, von den Franzosen über den Rhein Abgeschobenen. Die Familienangehörigen durften bleiben.

Von der Regierung in Speyer wurde bei mir angefragt, ob ich nicht bereit wäre, die Unterstützung für die Erwerbslosen auszuzahlen, was die Franzosen allgemein zu unterbinden suchten, und auch kein Geld mehr über den Rhein ließen. Ich erklärte mich zur Überweisung der Gelder an die Gemeindeverwaltungen bereit und, um die nötigen Mittel beschaffen zu können, schlug ich Herrn Dr. Jung vor, er möge meinen jungen Leuten zu Fahrten nach Kaiserslautern sein Dienstauto zur Verfügung stellen, weil dies ja kaum angehalten würde. Das wurde mir natürlich verweigert, und Herr Oberregierungsrat Dr. Jung ließ sich in meinem Zimmer, in dem die Unterredung stattfand, zu der Bemerkung verleiten: »Hätten Sie die Finger davongelassen! Es geht ja doch schief.«

Es wurde von einem Schwätzer mitgehört und sollte später nochmals eine Rolle spielen. Dann meinte er, die jungen Leute könnten doch auch per Rad nach Kaiserslautern oder Ludwigshafen fahren, und tatsächlich waren unser Lorch und unser Mattern sofort dazu bereit.

Diese beiden Freiwilligen hatten hinter meinem Rücken auch schon eine andere heikle Angelegenheit eingefädelt. Sie hatten mit Förster Förster (Förster hieß er und Förster war er) einem Draufgänger, der später die Separatistenfahne vom Bezirksamtsgebäude stahl, vereinbart, die Gelder, die dieser für an verschwiegene Bauern verkauftes Holz vereinnahmen würde, nachts an vereinbarten Stellen in Empfang zu nehmen, und die Sparkasse würde es auf ein Konto bei der Staatsbank in Würzburg gutschreiben lassen. Forstmeister Blättner war auch ausgewiesen worden. Die Franzosen hatten einen Waldhüter bestellt (Anderhuber, nun Anderhueber), der das Holz verkaufen sollte und mit ihnen abrechnen. Der Verräter wagte sich aber wohl kaum in den Wald und konnte nur an Separatistenfreundliche verkaufen. Viele Bauern, die von Förster kauften, kamen dadurch in den Geruch, auch Separatisten zu sein, und mussten doch schweigen.

Als ich von Heidelberg wegfuhr, löste ich abends kurz vor zwölf Uhr
meine Karte nach Leipzig, die 200.000 Mark kostete. Als ich am Morgen
aus Neugier fragte, was ich nun bezahlen müsste, hieß es 600.000 Mark.

Mattern und Lorch hatten nun eine schwere Zeit! In der Regel holten sie Geld bei der Girozentrale Kaiserslautern. Fahrt über Johanniskreuz, wohl noch bei Tag hin, aber nachts zurück. Um die Holzgelder in Empfang zu nehmen, wurden nächtliche Treffpunkte an Hohe Derst, Drei Eichen, Marienlinde, Silzer Lind usw. vereinbart.

Rucksackwechsel: So viel ist’s, und es hat immer gestimmt. Die Gelder kamen nachts zwischen zwölf und zwei Uhr in den Kassenschrank, und am Morgen standen die beiden wieder an ihren Plätzen.

Doch nicht immer langte das Geld, um die Erwerbslosen rechtzeitig zufrieden zu stellen. Zuerst bemängelte das Bezirkstagsmitglied Hauck von Rohrbach unsere vermeintliche Lässigkeit in einer Bezirkstagssitzung. Seine Äußerungen waren derart verletzend, dass ich zuerst einmal die Sitzung verlassen und mich beruhigen musste. Und dann ernannte ich ihn zum Geldbeschaffer. Da konnte er ja nicht ausweichen. Also wurde der Herr Schneidermeister Hauck von mir ermächtigt, Gelder zu beschaffen, wo es zu erreichen sei. Aber er kam leer zurück. Ja, wenn ich Bezirkstagsmitglied geschrieben hätte, dann… Also erhielt das Bezirkstagsmitglied den Auftrag. Aber auch das Bezirkstagsmitglied hatte keinen Erfolg, vielleicht weil die Kassen bei einer Kontrolle des Hauck durch die Franzosen befürchteten, dass er die Zweckbestimmung der Gelder verraten und sie somit selbst gefährden könnte. Nun kam es trotzdem wieder einmal zu einem Auflauf vor der Sparkasse mit großem Murren. Da musste der Sprecher der Erwerbslosen in den sauren Apfel beißen und die Fahrten unentgeltlich mitmachen.

So ging es gut bis Mitte September 1923. Da standen eines Morgens gegen zehn Uhr plötzlich zwei Franzosen vor mir und forderten von mir die Herausgabe von 2,5 Milliarden Mark Erwerbslosengelder. Ich versicherte natürlich, einen solchen Betrag nicht zu haben, und verweigerte die Herausgabe aus Sparkassenmitteln, was ja verboten sei. Es ist merkwürdig, wie wortreich man sein kann, wenn man in der Zange steckt. Bald gesellte sich ein dritter Gendarm hinzu. Sie hatten zu dritt zuerst bei Inspektor Bouquet nachgeforscht und dort, wie dieser mir später erzählte, die Erwerbslosenliste auf seinem Tisch entdeckt. Da hatte er die Zahlstelle preisgegeben. Nach halbstündigem Hin und Her hieß es, Geld oder Verhaftung und Schließung der Kasse. Da musste ich zahlen, weil die Folgen bei Schließung der Kasse nicht abzusehen waren.

Wenige Tage danach erschien der »rechtsbeflissene« T., ein Spitzel der Franzosen, mit der Frage: Wie ich mich zu den Separatisten stellen würde, wenn sie die Kasse besetzten? Ich bemerkte, dass es für mich eine solche Frage nicht gäbe, worauf er tückisch äußerte: »Sie werden doch Ihre Familie nicht unglücklich machen«, und verschwand.
Der junge Koch, bei dessen Vater Separatisten in der Wirtschaft verkehrten, ließ mich wenig später durch unsern Lorch warnen, dass die Separatisten tatsächlich die Kasse besetzen wollten. Wir schafften das Geld aus dem Weg, aber sie kamen doch nicht.

Dagegen erschien am 5. Oktober 1923 der französische Gendarm Minier bei mir mit dem Ausweisungsbefehl für mich und meine Familie. Mein Abtransport sollte sofort geschehen, die Familie nach vier Tagen folgen müssen. Minier hatte ein gutes Herz und versicherte mir: »Ich nix dafür kann!« Bis zum Eintreffen des Lastwagens schickte er mich zum Packen zu meiner Familie, während er sich in den Schalterraum setzte. Mit ausgewiesen wurde Herr Ziegler, zu dem Gendarm Krämer geschickt worden war. Von Ziegler hörte ich, dass dieser ihm bis zum Erscheinen des Lastwagens nicht mehr von der Seite gewichen sei.

Wir wurden in die Kaserne an der Weißenburgerstraße in Landau verfrachtet und mussten dort von morgens elf bis abends acht Uhr sitzen. Gegen zwei Uhr nachmittags bat Ziegler, ihm wenigstens etwas Essen zu holen, was Streit unter den französischen Offizieren auslöste. Der eine wollte etwas holen, der andere sagte nein, worauf der erste sein Käppi aufsetzte und nicht mehr erschien. Abends acht Uhr wurden wir zum Bahnhof gebracht, wo wir etwas essen durften. Begleitmannschaft: ein Unteroffizier und zwei schwarze Soldaten. Mit diesen fuhren wir mit der Eisenbahn nach Germersheim, wo nochmals zwei französische Gendarmen zu uns stießen. Diese Fünf brachten uns zwei Männle über die Rheinbrücke, wobei ein Schwarzer von jedem von uns einen Koffer tragen durfte, und über der Brücke wurden wir in die Dunkelheit laufen gelassen. Gegen elf Uhr vielleicht kamen wir in Rheinsheim an, übernachteten mit vielen anderen Ausgewiesenen in einem Saal und fuhren am nächsten Morgen Ziegler nach Karlsruhe, wo er ein Filialgeschäft unter Leitung seines Sohnes betrieb, und ich nach Heidelberg.

Meine Frau hatte noch am Tage meiner Ausweisung ihre Eltern verständigt, worauf die Schwiegermutter angereist kam und einen in der Aufregung wenig beachteten kleinen Schlaganfall erlitt, der am 17. November 1923 zum Tode führte. Infolge dieser Krankheit mit Todesfolge wurde meine Familie nicht ausgewiesen.

Von Heidelberg fuhr ich nach Leipzig bzw. Böhlitz-Ehrenberg zu Schwager und Schwester meiner Frau, um zu sehen, ob meine Familie dort unterkommen könnte, denn Heidelberg war mit Ausgewiesenen stark besetzt, und nur die Herren Oberbürgermeister von Großstädten bekamen Vergünstigungen über ein Tagegeld hinaus. Ein Beispiel: Weingutsbesitzer Lorch war auch ausgewiesen und hörte, dass ein Obersowieso Wohnzimmer und Küche, d. h. Geld zum Kauf von der Regierung bekommen hatte. Da wandte er sich an den Betreuer der freien Berufe, Herrn Oberregierungsrat Fritz (der mein zweiter Chef in St. Ingbert und als Vorstand des Finanzamts Neustadt ausgewiesen worden war) und bat ihn um Geld für ein Paar Hosen. Er wurde abgewiesen. Dafür sei kein Geld da. Nun verwies Lorch auf die großzügige Bewilligung für den Herrn Ob. Da lachte Herr Fritz und meinte: »Ja, der war auch kühner wie Sie!« –  das heißt, er hatte sich direkt an den Herrn Präsidenten Mathäus gewandt.

In Leipzig herrschten die Kommunisten. Es war dort so ungemütlich wie in der Pfalz mit den Separatisten. Am 20. Oktober rückte wohl Reichswehr ein, aber mein Tagegeld kam so verspätet, dass ich der Überweisungsstelle, als sie mir erstmals schrieb, sie habe, weil ich so weit weg sei, mein Wochengeld früher als üblich abgeschickt, antworten musste, dass ich für die Fürsorge wohl danken müsste, aber mit dem ganzen Geld hätte ich mir gerade noch ein Paar Schuhnestel kaufen können. Zum Glück bekam mein Schwiegervater, der sich damals auch in Bergzabern aufhielt, seine Geschäftsmiete von seinem Sohn in Franken (Homburg-Saargebiet), so dass davon auch für mich etwas abfiel. Die Geldentwertung war damals ja aufs Höchste gestiegen. Als ich von Heidelberg wegfuhr, löste ich abends kurz vor zwölf Uhr meine Karte nach Leipzig, die 200.000 Mark kostete. Als ich am Morgen aus Neugier fragte, was ich nun bezahlen müsste, hieß es 600.000 Mark.

»Die Hakenkreuzler haben die Regierung gestürzt!«

Ich kehrte also wieder nach Heidelberg zurück und nahm mit verschiedenen Bergzabernern, Lorch, Fräulein Kärner & Jahnke usw. am 6. November 1923 an einer Versammlung der freien Berufe teil, die von einem Regierungsbeamten einberufen worden war. Der Vertreter des Reiches mahnte: Jeder solle versuchen, zurück über den Rhein zu kommen, denn man könne den Unterhaltsbeitrag bald nicht mehr zahlen. Das löste einen Sturm aus. Rufe: Sollen wir es machen wie der und jener Lump, die sich den Franzosen und Separatisten in die Arme geworfen haben? Der bayerische Vertreter wiederum suchte zu beschwichtigen, so dürfte es natürlich nicht sein. Aber abends beim Bier im Perkeo meinte der Reichsvertreter doch wieder: »Am besten ist’s, sich eine blauweißrote Kokarde an den Hut zu stecken und über den Rhein zu marschieren.« Unser größter Patriot (Mees) handelte ähnlich, und das war dann auch wieder verkehrt. Nur eine fortgeschrittene Krankheit (Krebs) bewahrte ihn vor Kerker und Prozess.

Weil über die Ausweisung oder den Verbleib meiner Familie immer noch keine Klarheit herrschte, entschloss ich mich, nach Partenkirchen zu Bruder und Schwägerin meiner Frau zu fahren, um dort eine Unterkunft für alle Fälle zu suchen. Am Morgen des 8. November kam ich in München an und verständigte meinen »Betreuer«, wohin er mein Tagegeld überweisen solle, und bekam zum ersten Mal neben Billionen auch Rentenmark.

Die Münchener Kost verursachte bei mir immer veränderten Blutdruck, was sich durch Schmerzen an meinem Beinstumpf und durch Nasenbluten äußerte. Am Abend dieses Tages ging ich darum schon um acht Uhr zu Bett. Gegen zehn Uhr erklangen Soldatenlieder und man hörte den Schritt vieler Marschierer. Ich wohnte im Roten Hahn am Stachus für RM 1,50 die Nacht, so billig fing es an.

Am Morgen lag Schneematsch. Reichswehroffiziere fuhren gerade vorbei, als ich um sieben Uhr die Straße betrat, und warfen Flugblätter aus ihren offenen Wagen. Auf meine Frage hieß es: »Die Hakenkreuzler haben die Regierung gestürzt!« Ein altes Mütterchen, das mir entgegenkam, blieb vor mir stehen und meinte: »I hob nix mehr zu verlier’n und nix mehr zu g’winnen, aber Gott sei Dank, jetzt wird’s anders!«

Gegen 11 Uhr vormittags fuhr ich nach Garmisch, und in den gleichen Zug stieg ein Trupp Reichswehr ein. »Meine Regierung hat mir befohlen, dem Herrn Oberst Gehorsam zu geloben.«

»Meine Regierung hat mir befohlen,
dem Herrn Oberst Gehorsam zu geloben.«

Als wir bei wärmstem Wetter nachmittags auf dem Balkon saßen (Schwägerin, Schwager und Nichte), war eine große Unruhe unter der Bevölkerung bemerkbar. Die Nichte verschwand, um Erkundigungen einzuziehen, und bald wiederzukommen mit der Nachricht, dass der Putsch in München missglückt wäre, der und jener verwundet oder über die Grenze sei usw. Die Reichswehr war von der Bürgerschaft von Garmisch-Partenkirchen freudig begrüßt worden. Sie besetzte das Bezirksamt, ohne in den Betrieb weiter einzugreifen. Die Menschen schleppten Betten, Esswaren, Getränke herbei, »und wenn die Herren noch was wünschen!…«

Da kam die Schreckenskunde, und die armen Soldaten wurden scheeler angesehen wie bei uns in der Pfalz die Separatisten. Bürgermeister von Partenkirchen und Garmisch sicherten mir zu, dass sofort eine Wohnung bereitstände, wenn meine Familie noch kommen sollte. Nun wurde mir eine Stelle als 2. Beamte bei der Sparkasse in Nürnberg angeboten, oder ich könnte auch eine Stelle als Bezirksamtsoberinspektor bekommen. Misstrauisch geworden durch die Bemerkungen in der Heidelberger Versammlung, lehnte ich beides ab. Ich hielt die Gesellschaft für fähig, uns sitzen zu lassen, wenn die Franzosen es forderten.

Aber ich wollte doch wieder zurück. Durch das viele Fleisch und kaum Gemüse war mir das Gehen sehr erschwert, und schließlich wurde dadurch meine Prothese schadhaft. Am 28. November nahm ich Abschied von Partenkirchen, übernachtete für RM 1,50 im Deutschen Kaiser in München und kam am nächsten Abend in Karlsruhe an. Weil mir das Laufen Schmerzen verursachte, übergab ich meine Koffer einem Dienstmann mit der Bitte, mich in das nächste Hotel oder eine gute Gaststätte zu bringen. Er brachte mich in die Wirtschaft Zum Albtal, eine Fuhrmannskneipe. Essen widerstand mir vor Ekel. Wenn nur das Bett erträglich ist, war mein Stoßseufzer. Ich musste das Übernachten mit 1,25 RM vorausbezahlen und die Wirtin brachte mich ins Zimmer. Neuer Schreck wegen des Aussehens des Raumes. Die Wirtin verschwand. Ich schlug das Bett auf und nahm meine Koffer. Ich konnte laufen!

Unten hieß es: »Ja, wollen Sie wieder fort? Ich geb Ihnen Ihr Geld zurück.«
»Behalten Sie’s«, schrie ich und war draußen. Da stand ich auch gleich vor einem Hotel Europäischer Hof. Balkonzimmer kostete die Nacht 6 Reichsmark.

Am nächsten Tag nistete ich mich im Karpfen ein, der gerade umgebaut wurde. Er war damals schon übermodern, weil mein Zimmer Tapeten mit drei verschiedenen Farben hatte, die teilweise herabhingen. Im Zimmer hatte ich einen Koksofen und bezahlte für die Herrlichkeit pro Tag 2,99 RM. Dort verblieb ich bis Mitte Dezember und musste dann ins Diakonissenkrankenhaus, weil eine Wunde, die ich mir auf dem Nachtmarsch am 5. Oktober zugezogen hatte, ungemütlich zu werden begann. Die Abende hatte ich bis dahin mit Herrn Ziegler und Eisenbahndirektionsrat Lang gewöhnlich bei Monninger oder auch im Kreise der Familie Ziegler zugebracht.

Im Krankenhaus erbat ich mir ein Bad, was vom Geheimrat verweigert wurde. Schließlich wurde ich dadurch so gereizt, dass ich eines Abends bat, der 61-Jährige Herr Geheimrat möge mir verzeihen, aber ich müsse sagen, seine Behandlung käme mir vor, wie wenn ich eine Maus im Hause hätte, stopfe das Loch mit Glasscherben zu und bilde mir ein, die Maus sei gefangen. Bei meiner Behandlung im Krankenhaus Frankenthal als 21-Jähriger hätte ich täglich oft eine halbe Stunde im Bad gelegen. Er meinte, das verstünde ich nicht, aber am nächsten Morgen kam die Oberin, Freiin von Egglofstein, und rief: »Sie haben gesiegt!« Ich bekam ein Bad.

Am 23. Dezember wurde mir ein Telegramm der Regierung zugestellt, dass die Franzosen mir einen Aufenthalt von vier Wochen in der Heimat bewilligt hätten. Ich hätte mich an die Fürsorgestelle in Mannheim zu wenden und dort nähere Weisungen entgegenzunehmen. Abends erschien unser damaliger Lehrling Hugo Hengen bei mir, von Karch geschickt, um mir zu helfen. Er übernachtete im Karpfen, und am nächsten Morgen fuhren wir nach Mannheim. Dort wurden meine Papiere für die französische Kommandantur in Speyer fertig gemacht und Hengen fuhr damit los, um den Passierschein zu holen. Aber die Franzosen jagten ihn davon: Es müsse ein naher Verwandter von mir kommen und um den Schein bitten. Hengen fuhr heim und ich nach Heidelberg. Denn bei der Fürsorgestelle war mir eröffnet worden, dass die Regierung von mir fordere, dem Oberst Faber in Bergzabern bei der Rückkunft einen Besuch zu machen und ihm Gehorsam zu geloben.

Ich wollte bei der Regierung im Klingenteich gegen diese Zumutung am 27. Dezember protestieren. Mein erster Besuch galt dort Regierungsrat Alexander, den ich von der Schule in Winnweiler her kannte. Aber dieser lehnte eine Stellungnahme ab und deutete lächelnd nach oben. Also ging ich zum Präsidenten Mathäus. Als ich ihm gesagt hatte, dass ich niemals dem Oberst Faber Gehorsam leisten würde, sprang er auf und stieß mir vor die Brust: »Das müssen Sie, und kommen Sie mir nimmer rüber!«

Geringschätziges Lachen von mir: »Das liegt nicht in meiner Hand. Wenn die Separatisten die Sparkasse besetzen, wie schon mal beabsichtigt…«
»Da müssen Sie protestieren!«
Ekel stieg mir auf: »Habe ich schon mitgemacht!«
»Kommen Sie mir nimmer rüber!«

Ich dachte an Regierungsdirektor Stähler, den die Franzosen monatelang eingesperrt hielten. Und hier ein fader Spruchmacher.

Nach Mannheim ins Hotel Union zurückgekehrt, fand ich Regierungsrat Krebs und Oberinspektor Doll, beide vom Finanzamt Bergzabern als Mitbewohner. Meine Frau hatte hernach den Bittgang zu den Franzosen in Speyer gemacht, und am 7. Januar 1924 konnte ich wieder pfälzischen Boden betreten. Am 9. Januar wurde der Separatistenhäuptling Heinz von Orbis im Wittelsbacher Hof in Speyer von Studenten erschossen. Da war vorerst nicht an einen Besuch bei Oberst Faber zu denken. Ich verschob ihn bis Ende Januar oder Februar.

Ich meldete mich bei Kapitän Ludmann, dessen Frau eine Einnehmerstochter von St. Ingbert war, der ich in meiner St. Ingberter Zeit fast jeden Morgen im Vorbeigehen den Morgengruß zunickte, wenn sie ihre Zimmer in Ordnung brachte. Bei Begegnungen hier hatte ich natürlich auch immer gegrüßt, wodurch Ludmann mich kannte. Beim Betreten des Oberstenzimmers setzte Faber, der in Zivil war, sein Käppi auf und wetterte sofort über die Mörderbande in Heidelberg los. Als er geendet hatte, sagte ich: »Meine Regierung hat mir befohlen, dem Herrn Oberst Gehorsam zu geloben.«

Sofort platzte er los: »Und wenn die Mörderbande befiehlt, nicht zu gehorchen, gehorchen Sie eben nicht!«
Achselzucken, Verbeugung und Abtreten. Ludmann riet mir, nochmals einige Wochen zu warten und dann erst ein Gesuch um dauernden Aufenthalt einzureichen, eine Begründung würde ich dann doch wohl finden. Ich befolgte seinen Rat und begründete meinen Antrag mit der Wunde am Bein, die ich mir am Abend des 5. Oktober zugezogen hatte, und die sieben Jahre nicht zuheilen sollte.

Von Karch hatte ich erfahren, dass er die Herren Finanzrat Arras und Geistlichen Rat Breitling gebeten hatte, sich für meine Rückkehr bei den Franzosen zu verwenden. Die Dankbesuche bei diesen Herren fielen mir leichter als der Gang zu Oberst Faber. Herr Oberregierungsrat Dr. Jung hatte schon am 6. Oktober 1923 bei der Regierung im Klingenteich, Heidelberg, angerufen, wo ich gerade anwesend war, und mir versichert, dass er sich für meine Rückkehr einsetzen würde. Voller Patriotismus war mein Ruf: »Aber nichts zugestehen, was gegen meine Ehre geht!« Vielleicht hatte ich ihn dadurch verschnupft.

Es dürfte am 23. Februar 1924 gewesen sein, als ich abends im Schwanen allein am Stammtisch saß, während an den anderen Tischen gekartet wurde. Da kam Postbeamter Koch und setzte sich zu mir und flüsterte, dass in Pirmasens ein Kampf gegen die Separatisten im Gange sei und das Bezirksamtsgebäude brenne. Er trank sein Glas rasch aus und verschwand wieder, um eine Stunde später nochmals zu kommen und zu erzählen, dass der Separatistenführer Schwab, als er aus dem brennenden Bezirksamtsgebäude flüchten wollte, von der erregten Menge in die Flammen zurückgeworfen worden sei, weil ein Arzt, der einen Verwundeten auf der Straße verbunden hätte, von einem Separatisten erschossen worden ist. Von Regierungsrat Heintz wusste ich, dass sein Kollege Stempel von Pirmasens wenige Wochen zuvor ihn eines Sonntags sprechen wollte, damit er in Bergzabern einen Aufstand inszeniere. Er war ihm ausgewichen und hatte durch die Hintertür seiner Wohnung die Flucht ergriffen, als Stempel an der Haustür klingelte. Stempel hatte seine Frau nach Bekannten ihres Mannes gefragt, die ihm Bäckermeister Junker nannte.

Für den 24. Februar war von Heintz und mir eine Fahrt nach Ludwigshafen, Heidelberg und München vereinbart, und zwar mit der Eisenbahn. Am Morgen sagte ich meinen Leuten noch, sie möchten sich an einem Aufstand, wenn er kommen sollte, nicht beteiligen. In einer anderen Stadt sei am Vortag nach meinem Dafürhalten genug geschehen.
Hatte Heintz vom Tag des Aufstandes gewusst und deshalb die Fahrt an diesem Morgen vorgeschlagen? Er sprach hierüber nichts zu mir. Junker aber hatte zu handeln versucht. Der Auflauf in Bergzabern jedoch wurde durch anreitende Spahis auseinander getrieben. Bäcker Junker, sein Sohn, Karl Kuhr und Correl Heiner von der Wappenschmiede wurden von den Franzosen als Rädelsführer verhaftet und Wochen oder Monate gefangen gehalten. Kaum waren wir zurück, wurde ich von den Franzosen über unsere Reise verhört und insbesondere, was Heintz dabei zu tun hatte. Als verräterischen Lumpen betrachtete ich den »rechtsbeflissenen« T., der beim Bezirksamt beschäftigt wurde.

Die traurigen Augen einer Frau werde ich nie vergessen, die sie bekam,
als ich ihr sagen musste, ich könne ihr den gewünschten Kredit nicht gewähren.

Während der Inflationsjahre hatte die Geschäftswelt von Bergzabern großen Zuspruch von Elsässern, wobei teilweise auch der Franc eine Rolle spielte. Bei der Währungsumstellung hatten nur wenige Reservelager und kamen dadurch gleich wieder in erhebliche Schulden. Mancher Geschäftsmann wollte sich nun von der Volksbank lösen, aber die Sicherheiten, die wir für Kredite verlangen mussten, reichten vielfach nicht aus. Blankokredite durften damals nur bis zu RM 300 gewährt werden. Die traurigen Augen einer Frau werde ich nie vergessen, die sie bekam, als ich ihr sagen musste, ich könne ihr den gewünschten Kredit nicht gewähren.

Die Elsässer blieben nun aus, der Umsatz stockte, wodurch Neid und Hass sich einnisteten. Früher hatten viele Handwerker noch Rückhalt an Weinbergen, aber die Zahl derer war nur noch gering. Diese Umstände drängten mich dazu, bei der Stadt eine stärkere Werbung für den Kurbetrieb zu fordern. Insbesondere müsste diese Werbung auch der Wahrheit entsprechen. Die »Kurfremden«, wie man sagte, dürften nicht als Ausbeutungsobjekte angesehen werden. Ein Lesezimmer dürfte nicht vorgelogen werden, sondern müsse vorhanden sein, ein Tennisplatz nicht vergrast sein usw. Aber dazu meinte der Herr Obersekretär Blumröder, der so gewissenhafte: »Wir haben noch andere Sorgen!« Dass ein Raum, der als Lesezimmer geeignet ist, zu finden wäre, bezweifelte er. Zwei Stunden später konnte ich ihm einen anbieten, und da fiel der obzitierte Spruch.

Nun wandte ich mich an die Bezirkstagsmitglieder: Sie möchten mir RM 1.500 bewilligen für die Einrichtung eines Lesezimmers in der Pfälzer Weinstube, das von Kurgästen und im Winter von Klein- und Sozialrentnern ohne Trinkzwang besucht werden könnte. Sie bewilligten ohne weiteres. Ich legte die damals besten Monatsschriften darin auf: Die Bergstadt, Der Türmer, Hochland, Vellhagen & Klassings Monatshefte, Westermanns Monatshefte, die von den Franzosen verbotenen Süddeutschen Monatshefte und dann noch Gartenlaube und Reclams Universum.

Nach einem Jahr forderte ich von der Stadt, im Sommerhalbjahr die Kosten zu tragen, was sie auch tat. Aber im nächsten Sommerhalbjahr kam der große Egoismus wieder zu seinem Recht: Die Monatsschriften wurden abbestellt und nur geschenkte Tageszeitungen aufgelegt, Zeitungen, die die Kurgäste ja auch in ihren Unterkünften fanden oder sich nachschicken ließen. Und dabei war der Bürgermeister ein Oberlehrer!

Von drei Lesezirkeln mit je 15 Personen, die ich ins Leben gerufen hatte, gingen zwei bald wieder ein, während der dritte bis 1933 fortbestand. Als der Bade- und Schwimmverein durch Schuhhändler Frank ins Leben gerufen war, übernahmen schließlich unser Mattern von der Sparkasse als Schriftführer und ich als Rechner die ganzen Arbeiten und Planungen.

Im Frühjahr dieses Jahres bekam ich auch meinen Dank für die Übernahme der verschiedenen Kassen ohne Bezahlung, so dass der Bezirk doch allerlei Gelder sparte. Man stufte mich eine Gruppe tiefer ein, als ich bisher war. Das tat ein armseliger Schreiber und ich erkundigte mich nicht mal, ob Oberregierungsrat Dr. Jung und die Bezirkstagsmitglieder etwas davon wussten, denn zur Bezirkstagssitzung war ich erstmals nicht geladen worden. In Bergzabern waren die Menschen damals wirklich arm und verschuldet, so dass ich mich einige Jahre weigerte, eine Aufwandsentschädigung anzunehmen, bis sie Herr Revisionsdirektor Fickeisen in einer Sitzung erzwang. Heute ärgere ich mich, dass ich so einfältig war und auch später nicht die Einreihung in die frühere Gruppe forderte. Denn heute sind die Bergzaberner Besitzende, wie sie Bernanos sah: Die Höflichkeit ist heute nicht mehr der Ausdruck einer menschlichen Haltung, einer Lebensauffassung. Sie wird zunehmend zu einem System von Riten, deren ursprünglicher Sinn längst entfallen ist, zu einer festgelegten Abfolge von Grimmassen, Kopfbewegungen, Glucksern, genormten Lächeln – gemeinsamer Abzeichen einer durch die gleiche Gymnastik dressierten Sorte von Bürgern. Hunde haben ähnliche Verhaltensweisen untereinander – selbstverständlich nur unter sich. Selten werdet ihr beobachten, dass ein Hund den Hintern einer Katze oder eines Schafes beschnuppert. Genauso verhält es sich mit dem Höflichkeitsgetue meiner Zeitgenossen: Sie vollführen ihre Gestikulationen ebenfalls nur in Gegenwart von Angehörigen ihrer Klasse.

Der Sohn eines armen Schluckers von Handwerkers der 20er Jahre meinte vor Jahresfrist zu mir: Ich sei mir gleich geblieben und hätte keine Schätze gesammelt wie andere, und er hat wahr gesprochen. Aber solch Besitzender, wie diese Sorte, möchte ich nicht sein. Gegen diese Aufgeblasenheit war mein früheres Bedauern und Zurückstehen fehl am Platze.

Im Jahre 1921 war ein neuer Baumeister angestellt worden, der auch den Titel Baurat erhielt, wie ihn sein Vorgänger hatte. Nun meinten manche Bezirkstagsmitglieder, ein solcher »Rat« müsse auch für mich zu finden sein. Diese Titelsuche währte bis 1929. Man fand den Finanzrat oder Rechnungsrat für anwendbar. Ich winkte stets ab, wie auch den Direktorentitel. Zu meinem 60. Geburtstag wurde er mir unter Beistand von Fickeisen aufgezwungen, aber ich blieb gleichwohl der »Herr Verwalter«. Und das mit gutem Grund. Als ich hierher kam, gab es wohl Familien Bock, aber Geiß? Das auszusprechen schien etwas schwer, und wenn mal die Rede auf eine vierbeinige Geiß kam, fing das Stottern an, und es kam eine Ziege heraus. Also wurde ich der »Herr Verwalter« und meine Frau die »Frau Verwalter«, ohne dass jemand einen roten Kopf bekam.

Im Jahre 1924 schloss ich mich der Deutschen Volkspartei an, der Partei der »Fritze«. Als die Stadtratswahl anstand, lehnte ich jedoch ab, mich auf die Liste setzen zu lassen, besonders, nachdem H. fordern ließ, als Stadtratskandidat aufgestellt zu werden, aber nicht wagte, selbst zu den Besprechungen zu erscheinen, denn es lagen allerlei Beschuldigungen gegen ihn vor. Aber schließlich waren die Menschen bei der Volksbank verschuldet und er der Herr der Bank.