Vor kurzem dachte ich näher über die Frage nach, welchen Wert unser Ich hat. Gestern rief mich ein Millionär an. Okay, einige meiner Kunden sind wohlhabend – das gehört zum Geschäft, schließlich sind die biographischen Portraits, die ich schreibe, nicht billig, sondern preiswert.

Der 83-jährige Herr hatte mir einige Tage zuvor eine selbstgemachte CD geschickt, auf der seine Lebensgeschichte als 10-minütige Fotoshow mit etwas gesprochenem Text abgespeichert worden war: eine nette biographische Würdigung, von einem Freund gefertigt, wie der Senior mir erklärte, leicht verschämt. Ich hatte die dilettantische Machart angesprochen.

Nun fragen Sie sich selbst: Was kann jemand aus einem 83-jährigen Leben in einer 10-Minuten-Fotoshow erfahren? Genau das war die Frage zu dieser biographischen Eigenproduktion. Schauen wir uns Hochglanz-Gazetten und die People-Magazine an, dann wimmelt es nur so von Schönen und Reichen. Aber wie sehr geht das, was über sie geschrieben wird, in die Tiefe? Wie sehr individualisiert Geld? Offenbar nur wenig, wenn man eine dünne Memoiren-CD hinterlässt, wie dieser Millionär, die kaum mehr wiedergibt als ein kleiner bebilderter Lebenslauf im Zeitraffer.

Oft könnte man meinen, gerade reichen Leuten seien materielle Werte (Gold, Geld, Häuser) wertvoller, als der Spiegel ihrer selbst: ihre Autobiographie. Sterben sie, sind sie als Persönlichkeiten schnell vergessen, als schämten sie sich, aus ihrer Persönlichkeit so wenig gemacht zu haben. Nicht nur das äußere Vermögen bildet eine Persönlichkeit, sondern vor allem die innere Biographie wird davon gestaltet, was jemand aus sich selbst und seinem Leben macht. Unsterblich werden wir nur mit einer guten Biographie, die die Zeiten überdauert und den Nachkommen eine fundierte Erinnerung erlaubt.

Ich erleben es täglich mit großem Schrecken bei den Interviews von Kunden und deren Angehörigen: Da steht das Foto des verstorbenen Opas auf der Vitrine, und keiner kann mehr etwas Wesentliches über ihn sagen. Was nützen da Millionen, wenn der höchste Wert eines Menschen, sein Ich, schon nach wenigen Jahren postmortem dem Vergessen preisgegeben und damit wertlos wird? Ich verstehe es wirklich nicht, wie man seinen materiellen Werten mehr Aufmerksamkeit widmen und sie vererben kann, und seine höchstpersönliche Lebensgeschichte dem Vergessen anheim gibt. Doch nur wer eine Biographie hinterlässt, kann nicht vergessen werden.