Dann berichtete Dora von den Konten von Frau Edith Martin, der Schwester des Erblassers, für die sie nach dessen Steuererklärungen für Erbschaft und Schenkung auch noch einmal 8.400,- DM Erbschaftssteuern zu zahlen hatte. Und das war so gekommen: Nachdem Herr Häußler etwa zwei Wochen tot war, erhielt Dora von seiner Nichte unter anderem zwölf Sparbücher ausgehändigt, die sich in Onkel Hellmuts Schubladen befanden. Darunter war jedoch eines – und das muss der allzu beschäftigten Nichte in der Aufregung wohl entgangen sein – das lautete auf den Namen Edith Martin. Als Dora dieses bei der Bank vorlegte, hieß es, dass sie nur die Erbin Herrn Häußlers sei. Für das Konto seiner Schwester besäße aber eine andere Dame die Vollmacht, worauf Dora vollendete: „Ja, ich weiß, Annelie Schlamm!“ Darauf beendete die Bankangestellte das Gespräch, weil sie darüber nicht sprechen dürfe. Zur Rede gestellt, sagte Annelie bloß: „Zerreiß das Buch doch mit dem lächerlichen Sparbetrag von 135,- DM. Es mag sich zwar wirklich etwas geringfügig angehört haben angesichts der hier und da auftauchenden enormen Summen, aber Dora legte ein Jahr darauf noch einmal dieses Sparbuch bei der Deutschen Bank vor und versicherte, dass Frau Martin wirklich bereits sieben Jahren tot sei. Daraufhin wollte man der Sache einmal nachgehen und händigte Dora den kleinen Betrag auch aus, denn sie war inzwischen selber eine gute und glaubhafte Bankkundin, nachdem sie Hellmuts restliches Schweizer Guthaben gleich auf ihr Konto hier in Berlin hatte überweisen lassen. Zwar musste sie neben den Erbschaftssteuern alleine ein Drittel des überschriebenen Schweizer Guthabens an Schenkungssteuern dem Finanzamt überlassen, aber sie schlief aufgrund eines guten Gewissens bedeutend besser als ihr uneinsichtiger Hellmut es je getan hatte – vorerst jedenfalls.

Einige Monate später mussten daraufhin die beiden Frauen nochmals eine Steuererklärung, und zwar diesmal für Frau Edith Martin, abgeben, die zwar an Dora adressiert gewesen war, aber nur von der bevollmächtigten Nichte und Steuerberaterin ausgefüllt werden konnte, da diese von jeher über das Vermögen ihrer Tante bestens Bescheid wusste und auch noch sämtliche Belege hierüber besaß. Nachdem Dora das alles dem Anwalt geschildert hatte, endete sie damit, dass Frau Schlamm ganz alleine immer und bestimmt heute noch im Besitz weiterer Unterlagen sei, die sie ihr aber nicht herausrückt.

„Nun ja, verehrte Frau Kueper, haben Sie denn gar keine Beweise – ich meine etwas Handfestes, das Sie vorbringen könnten? Wie ich schon sagte, wir benötigen hier in Deutschland für alles Beweise, auch darüber, dass diese Frau Schlamm die Vollmachten der Frau Martin besaß beziehungsweise besitzt und sich so das Geld der Konten ihrer Tante aneignen konnte und anscheinend immer noch tut.“ „So etwas habe ich nicht“, antwortete Dora, die ja auf Hilfe dieses Anwalts oder auf die von Detektiven gehofft hatte. „Ich erhalte auch keine Auskunft seitens der Banken, da nicht ich, sondern lediglich Frau Schlamm von jeher über Frau Martins Vollmachten verfügte. Sie hat den Tod ihrer Tante nie gemeldet, wohl aber deren Vollmachten behalten und genutzt, denn sie händigt sie mir nicht aus!“, sagte Dora.

„Ich werde Ihnen ein Schreiben mit der Forderung einer einmaligen Vergleichszahlung von – sagen wir mal – runden 100.000,- DM aufsetzen! Was meinen Sie, wären Sie damit einverstanden? Dann sehen wir ja, wie sie darauf reagiert. Vor Gericht können wir diese Frau ohne Beweise unmöglich bringen. Es ließe sich aber eventuell so eine außergerichtliche Einigung herbeiführen“, schlug Herr Roetzer vor, und Dora nickte wortlos und etwas enttäuscht.

Wohl zwei Wochen mochten seit Doras Besuch beim Rechtsanwalt vergangen sein, da begegnete sie ganz unvermutet ihrer Widersacherin an einer Bushaltestelle am Kurfürstendamm. „Liebste Dora“, flötete Annelie mit untermischtem Mollklang in der immer weinerlicher werdenden Stimme. „Warum hast du das gemacht? Wir haben einen Brief deines Anwalts erhalten. War denn das nötig? Volker und auch ich sind ganz krank deswegen.“ „Ich möchte das jetzt endlich ausfechten“, sagte Dora fest und spürte die Unsicherheit ihres Gegenübers. Sie wollte nicht länger nachgeben, sondern die Sache nun ernsthaft behandelt wissen, wollte einfach nur ihr Recht bekommen, und vor allem endlich auch sorgenfrei in die Zukunft sehen können, wie das freche und unverschämte Gaunerpärchen es schon seit langem auf ihre Kosten tat. Sie verlangte nur ein wenig von dem, was ihr zustand, bevor die beiden Spitzbuben am Ende ihr gesamtes Geld verjuxten. „Ich hatte versucht, mit euch friedlich zu reden, aber ihr bildet euch ein, dass es von Anfang an mit mir ein leichtes Spiel gewesen sei und es dabei bliebe.“ Annelie erkannte Doras Entschlossenheit und sagte nach einer Pause schnippisch: „Jetzt wirst du aber einmal meinen Anwalt kennen lernen“, und während sie sich noch einmal umdrehte, fügte sie hinzu: „Solche Anschuldigungen muss man erst mal glaubhaft machen können, das musst du handfest beweisen können, und das wirst du nie schaffen!“

Das Argumentieren dauerte ein Jahr, bis es Annelie mit Hilfe ihres überlegeneren Staranwaltes gelungen war, Dora zur Verzweiflung und Aufgabe zu bringen. Es begann damit, dass sie zuerst das Testament vorlegen sollte, das sie überhaupt als Alleinerbin ausweist. Dann stritt Annelie zuerst alles ab und behauptete sogar, wie der gegnerische Anwalt schrieb, dass nicht Frau, sondern Herr Schlamm die Briefmarkensammlung von Frau Kueper geschenkt bekommen hätte! Warum sollte sie aber? Den Mann kannte sie doch überhaupt nicht, jedenfalls noch nicht zu dem Zeitpunkt. Und der Flegel hatte sich auch nicht einmal vorgestellt oder „Guten Tag“ gesagt, als er an jenem Sonntagvormittag, als die beiden Frauen mit dem Aufräumen der verwaisten Wohnung begonnen hatten, in einer ominösen Blitz- und Nebelaktion die Schatztruhen Herrn Häußlers unbemerkt abservierte und beiseite schaffte. Das war wirklich ein gelungener Coup des sauberen Pärchens gewesen!

Immer wieder bezichtigte Annelies Rechtsanwalt die bestohlene Erbin der Lüge, während Doras Anwalt sich beinahe phlegmatisch verhielt und manchmal selbständig und ohne Absprache mit seiner Mandantin Briefe an die Gegenpartei abgesandt hatte. Dora wies ihn erschrocken gleich nach seinem ersten Schreiben drauf hin, dass es sich doch ganz anders zugetragen hätte und beileibe nicht so, wie er es in seinem Brief da formulierte, worauf der Rechtsverdreher lapidar antwortete, dass er ja irgendwie beginnen müsse! „Sie besitzen doch überhaupt nicht den kleinsten Beweis, diese Frau vor den Kadi zerren zu können oder auch nur das Geringste gegen sie zu unternehmen.“ Dora gewann zeitweise den Eindruck, dass da gleich zwei Anwälte für die im Vorteil befindliche Steuerberaterin arbeiten. Frau Kueper würde da wohl schon einiges durcheinander bringen, hieß es letztendlich von der gegnerischen Seite, und es wurde beteuert, dass Frau Schlamm absolut und rein gar nichts mit der Wohnungsauflösung ihrer alten Verwandten zu tun gehabt habe. Frau Kueper hätte damals in aller Hast und Eile ganz alleine die großräumige Wohnung ihres Freundes aufgelöst, und dabei müsse ihr wohl einiges verloren gegangen sein, das könne schon mal vorkommen. Dora schäumte vor Wut!

Erst nachdem sie die von Annelie unterschriebene und an den Hauswirt gerichtete Kopie der Wohnungskündigung vorlegte, wurde deren Version, wie viele andere auch, abermals widerlegt. Immerhin hatte Dora diese Heuchlerin mit dem Beweisstück diesmal absolut der Lüge überführen können, denn das Schriftstück bestätigte doch definitiv deren maßgebliche Beteiligung an der Auflösung der Wohnung ihres Onkels. Aber der Gegenanwalt ging überhaupt nicht auf derartige Unterlagen und Beweise ein und Doras Anwalt reagierte nur zögerlich und schien weiterhin desinteressiert an dem hoffnungslosen Fall, wie er die Angelegenheit immer nannte, erbat sich hin und wieder einen runden Vorschuss und meinte höchstens: „Ist doch eigentlich alles sinnlos, Sie haben zu lange gezögert, etwas gegen die offensichtlich missgünstige Nichte zu unternehmen.“ Er bestand auch nicht mehr länger auf die anfangs angeforderte Inhaltsaufstellungen der von der ungetreuen Steuerberaterin in den beiden Schreibtischen vorgefundenen Wertgegenstände, während deren Anwalt kurz schrieb, dass sich darin doch bloß wertloses Zeug und Kitsch befand, was eben alte Leutchen alles so aufbewahren. Dass Frau Kueper jedoch an manchen Tagen von Frau Schlamm eine ganze Handvoll Goldmünzen übergeben worden war oder einmal sogar zwei kleine Schachteln mit je einem Brillanten, wovon die clevere Nichte auch gleich wieder den exakten Karatwert beziffern konnte und sich einen aussuchen durfte – so wie die eigentliche Erbin sämtliche Kostbarkeiten mit ihr teilte –, das wurde glatt unter den Teppich gekehrt. Frau Kueper würde sich nur nicht mehr richtig erinnern können, das Geschehen läge ja auch bereits drei lange Jahre zurück. Lediglich eine Vase, zwei Mokkatassen und einen alten Schirm hätte Frau Schlamm von Frau Kueper geschenkt bekommen. Tatsächlich hatte diese ihr für ihren Mann wunschgerecht den großkarierten Burberry-Schirm Onkel Hellmuts überlassen, als sie hörte, dass der absolut Volkers alias Humphrey Bogarts Geschmack entspräche. Dagegen wurden die wirklich wertvollen Geschenke einfach geleugnet, wie die vielen edlen und teueren Schmuckstücke Tante Ediths sowie die mit kostbaren Perlen und Brillanten verzierten Krawattennadeln und Uhren von Onkel Hellmut und Onkel Stephan, die Annelie der alten Dora „nach Überprüfung“ der Schubladen von sich zu Hause zurückbrachte und vor der eigentlichen Erbin ausbreitete. Geleugnet wurde auch der Fund zahlreicher 100- und 1.000-DM-Scheine, die überall herumlagen und nur eingesammelt zu werden brauchten, um dann abends unter den beiden Frauen geteilt zu werden.

Als Dora in den ersten Tagen ihres gemeinsamen Wirkens in der Wohnung des Verstorbenen einmal die flache Schublade eines Chippendale-Schränkchens nicht sogleich öffnen konnte, weil sich ein unförmiger Umschlag darin verklemmt hatte, wusste Annelie sofort Rat. Um das gute Stück nicht zu beschädigen, schließlich gehörte es zu der kompletten Chippendale-Einrichtung des Musikzimmers, rückte sie es etwas vor. „Nun packen Sie doch mal mit an“, sagte sie zielstrebig, nahm eine Taschenlampe, um zwischen zwei rückwärtigen Brettern in das hohle Innenfach unterhalb der oben befindlichen Schublade sehen zu können, wo man gleich auch wieder mehrere Tausendmarkscheine erkannte, die aus dem beschädigten Umschlag heruntergefallen waren. Flink wurde ein Brett entfernt, und sie konnten die Geldscheine aufsammeln und zusammen mit dem Umschlag zu den anderen Kleinoden auf den großen runden Tisch packen, und am Abend wurden die angesammelten Schätze wieder geteilt. Annelie war sehr umsichtig, brachte das lädierte Schränkchen in Ordnung und meinte, dass sich dieses Zimmer vielleicht gut verkaufen ließe. Doch Pech gehabt! „An Chippendale ist kein Mensch mehr interessiert“, sagte die Entrümpelungsfirma, und so hatte Dora lediglich wieder die Abholkosten dafür zu zahlen.

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